Peter Doig lässt sich von der Group of Seven inspirieren und schafft einzigartige, fast unheimliche Malereien. Doch was macht die Kunst der kanadischen Landschaftsmaler so faszinierend?

Wenn man nach längerer Zeit in der Stadt aufs Land, oder besser noch in die Wildnis fährt, zum Beispiel an einen See, umgeben von steilen Ufern und Nadelwäldern, dann fällt einem nach kurzer Zeit die Abwesenheit von Geräuschen auf. Dann, meist ein wenig später, als müssten die Ohren sich erst sensibilisieren, beginnt man wieder zu hören: die Vögel, den Wind, vielleicht die Wellen auf dem See. Und trotzdem bleibt ein Gefühl der Leere, das ein bisschen unheimlich werden kann. Der Maler Peter Doig fängt dieses Twin-Peaks-artige Unheimliche ein. Seine Motive sucht er gerne im Umfeld der Group of Seven.

Zum Beispiel bei einem Foto von Joachim Gauthier, selbst Maler, der gelegentlich mit der Group of Seven ausstellte, aus dem Jahr 1934. Es zeigt eine Person, die mit geradem Rücken auf einem Felsen hockt, eine dunkle, spitze Kapuze auf dem Kopf, neben sich ein offener Rucksack. Auf den Knien balanciert er – wir wissen, dass es sich bei der Person um den Group of Seven-Maler Franklin Carmichael handelt – eine kleine Leinwand, oder vielleicht ein Zeichenbrett. Im Hintergrund öffnet sich die Landschaft, wie sich Landschaften auch auf Gemälden öffnen: Ein großer See, eingefasst von Bergen. Aufgenommen wurde das Foto auf Manitoulin Island, einer Insel im Lake Huron, und es sieht aus als wäre es schon gemalt. Der Künstler ist als Rückenfigur zu sehen, die Anhöhe begrenzt den Bildraum, der sich erhaben zum Horizont hin öffnet. Gauthiers Foto folgt den Konventionen der Landschaftsmalerei. Von links unten ragt ein Kiefernzweig ins Bild. Man kann die Brise fast spüren, in der sich der Baum sanft wiegt, aber der Blick bleibt bei der seltsam dunklen Figur haften, die das Foto so sehr dominiert.

Die Figur bleibt rätsel­haft

Wenn man nicht wüsste, dass es sich hier um Carmichael handelt, wäre er schwer zu identifizieren. Die Figur bleibt rätselhaft. Vielleicht ist das der Grund, weshalb der Maler Peter Doig – geboren 1959 in Schottland, aufgewachsen in Kanada – sich dafür interessiert. So sehr, dass er sich Ende der 90er gleich in einer Reihe von Arbeiten mit dieser Fotografie auseinandersetzt, genauer: sie reproduziert. Am unheimlichsten ist das Gemälde, das Doig „Figure in a Mountain Landscape“ (1997) nennt, als wollte hier ein Maler den anderen Maler anonym machen. Doig malt die Figur, gespiegelt, vor einer psychedelischen Farbexplosion wie auf einem stark überbelichteten Foto. In anderen Varianten, die der Künstler in den 90ern anfertigte, ist der hockende Carmichael als dunkle Silhouette vor monochromen Himmeln zu sehen, die Landschaft auf ein paar rudimentäre Elemente reduziert, nämlich die Bergkette im Hintergrund, eine harte Horizontlinie, den See.

Franklin Carmichael sketching at Grace Lake, 1935, Photograph by Joachim Gauthier, McMichael Canadian Art Collection Archives

Peter Doig, Figure in a Mountain Landscape, 1997,
Courtesy the artist, Image via www.artnet.com

Wenn man der leeren kanadischen Landschaft ausgesetzt ist, schrieb Northrop Frye, dann verhält es sich wie mit einem Kind, das zu viel Kuchen gegessen hat. Man träumt schlecht, irgendwann blickt einen aus der Dunkelheit etwas Unbekanntes, potenziell Schreckliches an: der Alb. Auch wenn das Land kartografiert ist und von Handelsstraßen durchzogen, bleibt ein Rest von Leere. Die Vorstellungskraft habe sie noch nicht absorbiert, so der Kritiker in einem Aufsatz von 1940. Dieser Alb geht von den Entdecker*innen auf die Künstler*innen über, fortan müssen sie mit der Leere fertigwerden und ihre Rätsel lösen. Vor dieser Aufgabe standen die Maler der Group of Seven, schrieb Frye. Die Leere gehört freilich zu den beständigsten Erzählungen, die koloniale Expansion rechtfertigen sollen: Aber Nordamerika war nicht leer, vielleicht liegt gerade darin das Unheimliche. In den Gemälden der Group of Seven sind Menschen abwesend, paradoxerweise wird ihre Anwesenheit aber spürbar. Da ist der Mythos der Leere ein willkommenes Instrument, um Gewalt gegen die Indigene Bevölkerung zu verdrängen.

In den Gemäl­den der Group of Seven sind Menschen abwe­send

Leere und das Unheimliche, so Frye, verbergen sich in den Gemälden von Tom Thomson in den verdrehten Ästen und den verstreuten Felsblöcken, zwischen den leuchtenden Farben. Thomson war derjenige in der Group of Seven, der 1917 unter mysteriösen Umständen bei einem Kanuausflug ertrunken ist. Damit lieferte er den tragischen Mythos zu Beginn der Künstlergruppe, der so wirkmächtig ist, dass man noch heute im Distrikt Muskoka, Ontario Tom Thomson Getaways buchen kann, inklusive abschließender Kanutour.

Tom Thomson, The West Wind, Winter 1916-1917, Photo © Art Gallery of Ontario, 784
Tom Thomson, The Canoe, spring or fall 1914 © Art Gallery of Ontario
J.E.H. MacDonald, The Beaver Dam, 1919, Photo © Art Gallery of Ontario, 840

Umso gespenstischer das wiederkehrende Motiv bei Thomson: Kanus, immer wieder leere Kanus am Ufer, mit dem für ihn typischen pastosen Farbauftrag, mit einer chromatischen Vielfalt, die – gerade bei den späteren Werken – fast schrill wirkt. Da passen Peter Doig und die Group of Seven wieder gut zusammen, denn auch bei Doig finden sich immer wieder Boote auf leeren unbewegten Seen. Zum Beispiel in dem Gemälde „White Canoe“ von 1990/91, bei dem die Landschaft so abstrakt ist, dass die Bäume aus vertikalen weißen und rostroten Linien vor einem sehr dunklen Hintergrund bestehen und von der spiegelglatten Wasseroberfläche reflektiert werden.

Die Farben sind so intensiv wie bei Thomson, doch Doigs Gemälde bezieht seine Intensität auch aus dem nervösen Hell-Dunkel, das an einen heißen Sommertag in einem dunklen Nadelwald denken lässt. Nur das titelgebende Boot ist so weiß, dass man beim Betrachten fast die Augen zusammenkneifen möchte (Thomsons eigenes Kanu übrigens war graublau, nicht weiß). Und wenn man ganz genau hinsieht, bemerkt man, dass da in der Spiegelung etwas ist, was nicht da sein sollte. Eine Figur – vielleicht – die nur in der Reflexion da ist, nicht im Boot, wie ein Gespenst.

Peter Doig, White Canoe, 1990/1, Courtesy the artist, Image via www.artlyst.com

Der Kulturkritiker Mark Fisher hat in dem letzten Buch vor seinem Suizid 2017 – „Das Seltsame und das Gespenstische“ – eine Theorie entworfen, die eben jenes Gefühl der Leere, jene seltsame Gleichzeitigkeit von An- und Abwesendem auf den Punkt bringt. Das Gespenstische, schreibt Fisher, stellt eine Loslösung vom Gewohnten dar, es ist eigentlich auch eine ganz behagliche Ruhe, ihr fehlt jedes Schockmoment. Damit erinnert es sehr an den Wunsch der Group of Seven, sich von der Banalität der städtischen Moderne zu entfernen.

Das Seltsame hingegen ist die Anwesenheit von etwas, das nicht da sein sollte, so wie in Doigs späteren Bildern. In seinen Kanus sitzen bärtige, langhaarige Figuren, die mit leeren Gesichtern aus dem Bild starren. Sie schöpfen aus der Ikonographie der Popkultur, so kann man zum Beispiel in dieser Figur den dämonischen Bob aus David Lynchs Serie „Twin Peaks“ sehen – die ja auch nicht zufällig im waldigen Bergland an der nördlichen Pazifikküste spielt, ganz in der Nähe Kanadas, andere Bilder nehmen sich den Horrorfilm „Friday the 13th“ zum Vorbild.

Peter Doig, 100 Years Ago (Carrera), 2001, Courtesy the artist and Vittoria Miro Gallery London

Doigs Bilder lassen sich nicht so leicht in ein koloniales Narrativ einbauen, denn er benutzt die kanadische Landschaft nur indirekt als transzendenten Sehnsuchtsort. Seit 2002 lebt Doig nicht mehr in Kanada, sondern in Trinidad, wo er auch einige Jahre seiner Kindheit verbracht hat. „Ich hatte ein bisschen Angst, herzukommen“, sagte Doig dem Magazin The New Yorker, „als weißer Typ aus Großbritannien, der in eine ehemalige Kolonie geht. Aber ich fühle mich schon immer diesem Ort verbunden. Ich glaube aber, dass die meisten meiner Arbeiten aus Trinidad meine Anwesenheit hier in Frage stellen.“ Er malt aber immer noch Kanus, nur treiben sie nun in tropischen Gewässern.

Peter Doig, Pelican Island, 2006, Courtesy the artist und Michael Werner Gallery, New York and Berlin

MAGNETIC NORTH. Mythos Kanada in der Malerei 1910–1940

Nur noch bis 29. August 2021!

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