Klassenkampf mit einer gewissen Aura von Status, Extravaganz und Zeitlosigkeit – so lässt sich die Mod Culture der 1960er Jahre zusammenfassen. Doch was hat das mit Gilbert & George zu tun?

Es gibt Menschen, die schaffen es ihren Stil und ihre damit einhergehende Stilsicherheit nahezu mühelos, ja lächerlich einfach erscheinen zu lassen. Durch ihre Existenz scheint belegt, dass es sich für manche um ein Kinderspiel handeln muss, sich nicht nur für eine bestimmte Art der Kleidung, der Materialien oder der Farben zu entscheiden, sondern es auch eine Selbstverständlichkeit ist darin gut, oder mitunter gar hinreißend auszusehen. Dabei ist es gewiss eine drastische Entscheidung – der Stil wird schließlich nicht durch Wind, Wetter, Krise oder Übellaunigkeit gebrochen – und fordert wohl nicht nur einen einigermaßen starken Willen, sondern auch das Glück, dem eigenen Stil nicht müde zu werden.

Gilbert & George haben ohne Zweifel so einen Kleidungsstil. Das Künstlerpaar tritt im Anzug auf. Oder sagen wir: in Anzügen. Schließlich tragen sie zwar Partnerlook (das gleiche Outfit) aber nicht dieselbe Ausführung. Wie ich soeben die Bildersuche betrachte, sehe ich vor mir schicke Hosen und die entsprechenden Sakkos, in jeglichen Farben und Muster, bunte Krawatten und gute Schuhe. Gilbert & George passen mit ihrem Stil in ihre Stadt (London) und der Stil in ihre Zeit (na gut, in welche Zeit und in welche Stadt würde ein extravaganter oder gutsitzender Anzug nicht passen?).

Dennoch, einer der Stile, die von London aus zum internationalen Trend wurden, ist die Mod Culture. Eine Subkultur, die in den späten 1950er Jahren in der britischen Jugend der Arbeiter:innenklasse ihren Ursprung fand (und immer noch tragbar ist). Während also Gilbert & George sich vor mehr als fünfzig Jahren in London kennenlernten und ihre Zusammenarbeit begannen, waren mitunter die Looks der Mods (kommt übrigens von „modernist“, was sich wiederum von Modern Jazz ableiten lässt) en vogue. Und so sah man auch Gilbert & George schon in ihren frühen Jahren als „Living Sculpture“ in ihren Anzügen.

Gilbert & George, 2003, photo: Timothy Allen

Gestrickte Polos, Jacquard- und Paisley, unaufgeregte aber schlanke Schnitte, Slipper, Chelsea Boots. Freilich alles klassisch konservativ, zweifelsohne schick und etabliert, aber auch gänzlich unüblich in der Arbeiter:innenklasse der Nachkriegszeit. Nun ist es wohl ein Zeichen jeder Jugendbewegung einen eigenen Stil entwickeln zu wollen und für eine eigene Haltung oder Lebensweise zu stehen. Dementsprechend waren die Mods in der Lage, sich in diesem Aufzug von der Elterngeneration und deren Gewohnheiten und Vorstellungen und gleichzeitig von anderen Subkulturen, wie den zeitgleich angesagten Teddy-Boys, zu distanzieren (natürlich, in jeder Jugendbewegung geht es auch um die Musik, die sie hören und verehren, ebenfalls ein wichtiges Distinktionsmerkmal.)

Der Anzug als Zeichen für Eleganz, Geschmack und sozialem Ansehen

Als sich die Mode der Mods entwickelte, trugen Männer bestimmter Klassen noch selbstverständlich Anzüge, Hüte, Aktentaschen. Ein sicheres Zeichen für Eleganz, Geschmack und zumindest ein gewisses Maß an sozialem Ansehen. Irgendwo zwischen respektabel und Gentleman und langweilig und konform. Eine Ausstrahlung, die gute Manieren versprach und ihrem Träger eine (wichtige) Rolle innerhalb der Gesellschaft zuschrieb. Kleidung diente schon immer als Mittel der Manifestation und Verdeutlichung von Reichtum, Status, Macht und Zugehörigkeit. Doch konnte sie auch schon immer täuschen, ent- oder neu bewertet werden. Die Aneignung bestimmter Kleidungsstücke oder ganzer Kleidungsstile ist eine Möglichkeit, aus der eigenen sozialen Gruppe auszubrechen und sich als einer anderen zugehörig darzustellen. Kleider machen Leute, oder?

Mods in den 1960ern, Image via https://www.reddit.com

Teddy-Boys, Image via www.cg.fashion

Die Jugendkultur der Mods optimierte den bestehenden (männlichen) Dresscode indem sie sich weiter inspirieren ließ. Das bedeutet, sie verleibten sich andere Trends und Kulturen ein, wie beispielsweise die Schnitte der französischen und italienischen Anzüge und kombinierte und kreierte immer weiter. Sie folgten also nicht der eigenen britischen Tradition, sondern rissen die Augen weit auf. Durch die Appropriation mehrerer Stile wollten sie einen eigenständigen und originären Look entwickeln. Die (Mode-)Welt als Selbstbedienungstheke war eröffnet. Es konnte sich schamlos bedient werden. Sie verstanden sich also als weltoffen, modern und originell. Denn sie wollten für ein sich veränderndes Großbritannien stehen. Eins, das von Immigration und Toleranz beeinflusst wurde. In dem Klassenzugehörigkeit oder Hautfarbe keine Rolle spielen sollen. Ein Idealzustand.

Die (Mode-)Welt als Selbst­be­die­nungs­theke war eröff­net

In der Betrachtung der Moden stehen die männlichen Mods für die Mods. Den (männlichen) Anzug also nicht nur tragen, sondern für sich revolutionieren (Frauen trugen A-Linien Kleider und klare Schnitte). Ihr Blick war auf europäische und US-amerikanische Moden gerichtet. Ihre Ohren lauschten zu Beginn dem Jazz und später auch anderen Musikgenres, die über den Atlantik überschwappten. Sie wollten La Dolce Vita und Coolness erleben, und für Intelligenz und Stilbewusstsein stehen. Sie brausten auf Vespas und Scooter durch die Londoner Straßen und hingen in Coffee Bars rum. Suchten nach schwer zu findender Musik und steckten ihr Geld in die Beschaffung und die Pflege ihrer Klamotten.

Mods Photo © Janette Beckman, Image via www.huckmag.com

Mods, Image via artreview.com

Immer wieder von neuem behaupten zu können, neu und aufregend zu sein, fordert auch eine gewisse Fluidität: Slim-fit Anzüge, so fesch sie auch sein mögen, sind mitunter aber fürchterlich unpraktisch. Es kamen Turtleneck-Oberteile dazu, die Krawatte wurde nicht mehr zwangsläufig getragen, aber dafür weiter geschnittenen Blousons, später die Parka Jacke (praktisch fürs Roller fahren), dazu auch mal Jeans. Die Frisuren irgendwo zwischen klassisch aufgeräumten Kurzhaar- und Topfschnitten. Logos (waren zu Beginn) äußerst ungern gesehen (bis sie scheinbar ihr eigenes entwickelten, siehe „The Who“). Individualismus und die Hingabe, nach den richtigen Teilen zu suchen bis sie gefunden wurden. Mode von der Stange war verpönt.

Innovation, Detailverliebtheit und Konsequenz wurden gelobt und so ergab es sich, dass sie mit ihren maßgeschneiderte Anzügen, Hosen und Jacketts durchaus mit der Upperclass mithalten konnten und sich auch innerhalb der Mods eine Elite bildete. Wo doch die Mods ursprünglich selbst gegen die Elite rebellierten. Schick, ansehnlich und mit einer gewissen Aura von Status, Extravaganz und Zeitlosigkeit ist ihr retro-bourgeoiser Stil bis heute allerdings geblieben. Der Kampf gegen die Klassensysteme ebenfalls. Und auch Gilbert & George sind weiterhin in Anzügen anzutreffen.

Gilbert & George, 2015, Foto: Tom Oldham

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