Streng vertraulich: Die Schirn widmet sich in einer internationalen Gruppenausstellung der Faszination für Spionage als Quelle künstlerischer Inspiration.

Die Schirn beleuchtet vom 24. September 2020 bis 10. Januar 2021 Spionage als Quelle künstlerischer Inspiration. So glamou­rös Spioninnen und Spione in der Popkultur bis heute oft präsentiert werden, so gesellschaftlich brisant sind ihre in verdeckten Aktionen gewonnenen Informationen. Beim Spionieren geht es um die unberechtigte Beschaffung geheimen Wissens oder vertraulicher Angaben. 

Wurden in der Vergangenheit Einzelpersonen oder Staaten durch Regierungen ausgespäht, machen in Zeiten der digitalen Kommunikation Bürger Staatsgeheimnisse öffentlich oder Whistleblower prangern das Ausspionieren der Bevölkerung durch die eigene Regierung an. Heute stehen der vermeintlichen Offenheit und Transparenz moderner Staaten neue Mechanismen der Überwachung, Manipulation und Spionage gegenüber. Digitale Netzwerke und Technologien sowie die bereitwillige Preisgabe persönlicher Daten öffnen ungeahnte Möglichkeiten, Informationen einzuholen und zu verbreiten. Vor diesem Hintergrund erwacht ein neues Interesse an den Strategien der Geheimhaltung.

Die Ausstellung präsentiert Werke von 40 Künstlerinnen und Künstlern. Rund 70 Gemälde, Fotografien, Videoarbeiten, Skulpturen und Installationen behandeln Aspekte der Spionage wie Überwachung, Paranoia, Verschwörungstheorie, Bedrohung und Tarnung, Kryptografie, Manipulation oder Propaganda aus einer zeitgenössischen Perspektive. Mit einer Viel­zahl künst­le­ri­scher Stra­te­gien wird der Höhe­punkt der Spio­nage während des Kalten Krie­ges genauso sicht­bar wie die aktu­elle Verhand­lung der media­len Durch­leuch­tung. Neue und bereits exis­tie­rende Arbei­ten sowie erstaun­li­che Objekte finden auf unor­tho­doxe Weise Eingang in die Präsen­ta­tion. Histo­ri­sche Appa­ra­tu­ren wie die Verschlüs­se­lungs­ma­schine Enigma gewäh­ren Einbli­cke in die Reali­tät von Über­wa­chung und Geheim­hal­tung.

Taryn Simon, American Index, The Central Intelligence Agency Main Entrance Hall, CIA Original Headquarters Building, 2007 © Taryn Simon. Von Kelterborn Collection, Frankfurt am Main

Parallel dazu zeichnet die Populärkultur ein glanzvolles Bild, das den Mythos des Spions zwischen Helden- und Schattengestalt prägt und das Publikum bis heute begeistert. Bereits im 19. Jahrhundert etablierten sich Agentenromane als eigene Erzählgattung und auch die Filmgeschichte hat viel zur Popularität des Themas beigetragen. Ausgewählte Buchcover, Kinoplakate und Filmauszüge zeigen in der Ausstellung, wie sich die Unterhaltungsbranche von der Spionagerealität anregen ließ. So verweist auch der Titel „We Never Sleep“ auf das Bild des stets wachsamen Spions, der – immer in Bewegung – seine Identitäten wechseln und im Verdeckten agieren muss.

Von Labyrinthen, Überwachungstechnologien und staatliche Manipulation

Die Ausstellung beleuchtet das Thema der Spionage durch das Prisma zeitgenössischer Kunst und Gestaltung. Die Kunstwerke und Objekte der Ausstellung werden in der Architektur von Adrien Rovero als immersives Environment inszeniert. Auftakt ist eine Raum- und Soundinstallation von Gabriel Lester in Zusammenarbeit mit Monadnock Architects. In einem Labyrinth aus Wegen, Sackgassen, Eingängen und Ausgängen ist ein Chor eindringlicher Stimmen zu hören, der manipulative Verhörmethoden aufgreift. Auch Lawrence Abu Hamdan beschäftigt sich mit Sound und Überwachungstechnologien in Verbindung mit forensischen Sprachanalysen. Im Fokus seiner ausgestellten Installation steht eine Audiodokumentation über eine Software, die die menschliche Stimme u. a. mittels eines Lügendetektors durchleuchtet.

Rodney Graham, Newspaper Man, 2017, Museum Voorlinden, Wassenaar (The Netherlands)

Von Doppelagenten und Überläufern, die im machtpolitischen Konflikt zwischen Nord- und Südkorea die Seite wechseln, erzählt die Videoarbeit der Brüder Park Chan-Kyong und Park Chan-Wook, die unter dem Namen PARKing CHANce auftreten. Das Thema des Doppelagenten greift auch das litauische Künstlerduo Nomeda & Gediminas Urbanos auf. Dora Longo Bahia widmet sich in ihrer eigens für die Ausstellung entwickelten Collagen-Serie berühmten Frauen der Spionagegeschichte. Sie traten in erster Linie als Personen des öffentlichen Lebens in Erscheinung, agierten zugleich aber in politischen Kontexten oder wurden als Agentinnen tätig. Stan Douglas adaptiert für seine Fotografien, Filme und Installationen Filmgenres und Literaturklassiker, um historische Ereignisse neu zu befragen. 

Wie Manipulation durch staatliche Systeme in die Gesellschaft und ihre Erinnerung eindringt, thematisiert das Künstlerduo Dias & Riedweg. Ihre Videoinstallation zeichnet die Ikonografie politischer und kommerzieller Propaganda des Kalten Krieges nach und kombiniert Auszüge aus Werbung, TV-Serien, Musik und journalistischen Dokumenten der 1960er- und 1970er-Jahre. Aus dieser Zeit stammt die Arbeit „Glimpses of the USA“ (1959) von Charles und Ray Eames. Im Auftrag der United States Information Agency legten sie mit mehr als 2200 Fotoaufnahmen und Bewegtbildern ein Porträt der US-amerikanischen Gesellschaft vor, das 1959 im Zuge des ersten Kulturaustauschs zwischen den USA und der Sowjetunion in der „American National Exhibition“ in Moskau präsentiert wurde und dem sowjetischen Publikum zugleich wirtschaftlichen Wohlstand und Menschlichkeit vermitteln sollte.

Trevor Paglen, Control Tower (Area 52); Tonopah Test Range, NV; Distance ~ 20 miles; 11:55 a.m., 2006 © Trevor Paglen, Courtesy of the artist, Metro Pictures, New York, Altman Siegel, San Francisco

Suzanne Treister zeigt eine große Anzahl von Arbeiten, die sich mit staatlichen und militärischen Forschungsprogrammen, Social Engineering und Ideen der Kontrollgesellschaft, Verschwörungstheorien, Kybernetik, wissenschaftlichen Zukunftsprojektionen und Gegenkultur beschäftigen. Henrike Naumann stellt eine Neubearbeitung ihrer Installation „Tag X“ vor, die ursprünglich für den 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer konzipiert wurde. Hintergrund der Arbeit ist eine Reihe 2018 bekannt gewordener Netzwerke, die Verbindungen zu Polizei, Bundeswehr und Verfassungsschutz unterhielten und einen gewaltsamen, systematischen Wandel in Deutschland herbeiführen wollten. 

Über­wa­chung und Zensur sind zentrale Themen der Ausstellung

Dora García reinszeniert in einer Performance eine während des Kalten Krieges vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR eingesetzte Spionagetaktik. Agenten nahmen dabei gezielt persönliche und bisweilen intime Beziehungen zu Sekretärinnen westdeutscher Politiker auf, um an vertrauliche Informationen zu gelangen. Überwachung und Zensur während des Kalten Krieges sind zentral für die präsentierten Arbeiten von Cornelia Schleime. Neben ihren fotografischen Selbstporträts zeigt die Künstlerin eine Serie, in der sie die über sie geführte Akte des Ministeriums für Staatssicherheit mit Selbstporträts ironisch konterkariert. Thomas Demand richtet seine künstlerische Strategie auf die mediale Konstruktion von Wirklichkeit. Seine Fotografien zeigen vom Künstler angefertigte detailgetreue Nachbildungen aus Papier und Pappe von politischen und gesellschaftlichen Schauplätzen, die sich durch ihre mediale Verbreitung in das kollektive Bildgedächtnis eingeschrieben haben. 

Cornelia Schleime, Ich halte doch nicht die Luft an / I won't hold my breath after all, 1982, Foto: Bernd Hiepe

Jonas Staal behandelt in seiner künstlerischen Praxis das Verhältnis zwischen Kunst, Demokratie und politischer Propaganda. In seinem Projekt beleuchtet er die langjährige Arbeit des ehemaligen Beraters von US-Präsident Donald Trump als Filmproduzent und macht in der Dekonstruktion zentraler Bildmotive und Verschwörungsnarrative den ideologischen Nährboden des Trumpismus sichtbar. Das 2007 von Vinca Kruk und Daniel van der Velden gegründete Designkollektiv Metahaven setzt sich für Informationsfreiheit im postfaktischen Zeitalter ein. Mit aktuellen Methoden der staatlichen Geheimhaltung beschäftigt sich die investigative Konzeptkünstlerin, Autorin und Filmemacherin Jill Magid. In der Schirn zeigt sie Teile von „The Spy Project“ (2005–2010). Die Arbeit wurde vom Niederländischen Geheimdienst (AVID) beauftragt, später in Teilen zensiert und konfisziert und verwickelte die Künstlerin selbst in die Geheimhaltungsstrategien der Organisation.

Die Gruppe Forensic Architecture untersucht weltweit verdeckte Fälle von Menschenrechtsverletzungen, staatlicher Gewalt und Desinformation. In ihrem interdisziplinären Verfahren der forensischen Architektur führt sie eine Vielzahl von Beweisquellen wie Video- und Bildmaterial, Zeugenaussagen und Materialanalysen zur Rekonstruktion eines Tathergangs zusammen. Zentraler Gegenstand der künstlerischen Arbeit von Simon Denny sind die Schnittstellen von Design, Technologie und Sprache in der Kommunikation von Geheimdiensten. Trevor Paglen widmet sich den Infrastrukturen globaler Überwachung und Datenerfassung. Der Künstler, Geograf und Autor ist dafür bekannt, das Unsichtbare durch das Sichtbare zu erforschen, und setzt hochentwickelte Technologie ein, um Fotos von geheimen Militärstützpunkten in abgelegenen oder gesperrten Gebieten aus mehreren Kilometern Entfernung zu machen. 

Jill Magid, I Can Burn Your Face: Miranda IV (Detail), 2019, Bridget Donahue, New York, Courtesy the artist and LABOR, Mexico City
Simon Denny, Modded Server-Rack Display with David Darchicourt Commissioned Map of Aotearoa New Zealand, 2015, Courtesy of the artist, Galerie Buchholz and Petzel Gallery, Foto: Nick Ash

We never sleep

24. September 2020 bis 10. Januar 2021

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