Überbordend, humorvoll, exzentrisch und voller Anspielungen: Die Schirn präsentiert die erste Einzelausstellung des iranischen Künstlerkollektivs in Deutschland.

Die raumgreifenden Installationen des iranischen Künstlerkollektivs entführen in eine eigene Welt und sind vom 3. September bis 13. Dezember 2020 in der Schirn zu sehen. Immer wieder kreist ihr Werk um die Krisen des Nahen Ostens, um Krieg, Exil und Migration. Mit melancholischer Poesie und beißendem Humor verwandeln sie düstere Szenen in karikaturhafte Grotesken, die die globalisierte Welt spiegeln. Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian schaffen überraschende Begegnungen, richten die Aufmerksamkeit auf dringliche politische und soziale Konflikte der Gegenwart und hinterfragen Machtmechanismen genauso wie normative Geschlechterrollen oder die Kunstwelt.

In der Schirn führen die Künstler ihrem Prinzip des „work in progress“ folgend neue und ausgewählte ältere Werke zu einem immersiven Environment zusammen. Ausgangspunkt und Herzstück ist ein eigens für die Ausstellung entstandenes, monumentales Bodengemälde – ein dichtes Geflecht aus Erzählungen und Referenzen. Es wird von weiteren Werken ergänzt, darunter fünf Videoarbeiten, Skulpturen sowie Texte, Fotografien und Sound.

Das Trio schafft ein immersives Environment

Basis und Zentrum der künstlerischen Arbeit des Trios ist sein Haus in Dubai. Hier entstehen in einem Prozess des gemeinsamen Lebens und Arbeitens Kunstwerke und Ausstellungen – häufig im Austausch mit Freundinnen und Freunden oder anderen Künstlerinnen und Künstlern. So sind auch in der Ausstellung mehrere Skulpturen zu sehen, die in Zusammenarbeit mit der ägyptischen Künstlerin Hoda Tawakol entstanden sind, wie auch die performative Videoarbeit „We Are the Eighth of a Kind“ (2014) mit dem US-amerikanischen Künstler und Musiker Lonnie Holley. Gemäß ihrer Definition des Kollektivs arbeiten Haerizadeh, Haerizadeh und Rahmanian in ihrem jeweils eigenen Stil sowohl zusammen als auch unabhängig voneinander.

Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh, Hesam Rahmanian in Zusammenarbeit mit Lonnie Holley, We are The Eighth of a Kind, 2014, Robert Rauschenberg Residency, Captiva Island, Florida, Courtesy the artists

Für die Schirn haben die Künstler ein Environment entwickelt, das sie als alternative Landschaft verstehen. Grundlegend ist ein großformatiges Bodengemälde. Die Grundstruktur basiert auf einer beinahe rituellen Performance, bei der sich die drei in sogenannte Dastgah verwandeln. Der persische Begriff „dastgāh“ bezeichnet die Gesamtheit aller Werkzeuge, die man für einen bestimmten Zweck oder Prozess benötigt, in der traditionellen persischen Musik auch eine melodische Matrix für Improvisationen. Eine Art automatisiertes Wesen oder Transmitter verkörpernd, stellen die Künstler mit dieser Strategie die exklusive Subjektivität der Malerfürsten der Moderne in Frage. Das Gemälde verbindet Gestaltungsprinzipien und Motive der traditionellen persischen Malerei mit Aspekten der heutigen Zeit.

Zu sehen sind Schnappschüsse einer globalen Gesellschaft

Zahlreiche Einzelszenen sind miteinander verschränkt, abstrakt gemusterte Flächen finden sich unmittelbar neben gegenständlichen Darstellungen. Zu erkennen ist eine Art Landschaft am und im Wasser. Hier versammeln sich Touristen und kopflose Figuren, mit Mobiltelefonen oder Tablets beschäftigt. Sie alle haben die Konturen eines „Schamseh“ – ein geläufiges Ornament auf den Buchdeckeln antiker islamischer Manuskripte. Eine zentrale Figurengruppe sitzt auf einem überdimensionalen Finger und klammert sich erschöpft aneinander. Sie basiert auf einer Fotografie, welche ein mit Geflüchteten überfülltes Boot zeigt. All dies sind Schnappschüsse einer globalen Gesellschaft. Prominent ist auch ein großer schreiender Eselskopf zu sehen – eine Referenz auf Pablo Picassos berühmtes Gemälde „Guernica“ (1937). Die Figur des Esels taucht als subversives und vielschichtiges Motiv an unterschiedlichen Stellen dieser Arbeit sowie im Werk der Künstler auf. Der Esel gilt gemeinhin als geduldig und bescheiden, ist genügsam und gutmütig, bisweilen störrisch. In gesellschaftlichen Machtstrukturen steht er aber auch für jedermann, die graue Masse, ist das wenig anspruchsvolle Arbeitstier ländlicher Gesellschaften. 

Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh, Hesam Rahmanian, O You People!, 2020, Dastgah, Courtesy die Künstler und Galerie Isabelle van den Eynde, Dubai

Referenzen auf die Kunstgeschichte, auf die Popkultur ebenso wie auf aktuelle oder historische Ereignisse, erscheinen in vielen Aspekten im Werk des Trios. So zitiert der Titel der Schirn-Ausstellung „Either he’s dead, or my watch has stopped. Groucho Marx (while getting the patient’s pulse)“ den Filmklassiker „A Day at the Races“ (1937) der Marx Brothers. Grundlage für die „Moving Paintings“ der Künstler sind wiederum eigens angelegte Bildarchive von Fotografien und Medienberichten. Diese werden von den Künstlern übermalt und neu animiert. 

Das politische Zeitgeschehen prägt ihre künstlerische Arbeit

Die Künstler sind während des Iran-Irak-Kriegs (1980–1988) aufgewachsen, was ihr Leben und ihre künstlerische Arbeit bis heute prägt. Auf einem großen Vorhang ist in der Schirn die Fotografie einer Mutter abgebildet, welche die sterblichen Überreste ihres in diesem Krieg vermissten und zehn Jahre später wiedergefundenen Sohnes trägt. Auch die gesellschaftlichen Verwerfungen und Nachwirkungen der Iranischen Revolution (1978/79) finden Eingang in die Ausstellung. Eine Videoarbeit widmet sich einem populären Tanzstil, der sich trotz des Tanzverbotes im Iran der 1980er-Jahre entwickelte und tradierte Geschlechterrollen humorvoll neu interpretierte. Ausgelöst wurde dieser durch unter der Hand weitergereichte Tanz- und Fitnessvideos des im Exil in Los Angeles lebenden iranischen Tänzers Mohammad Khordadian.

Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh, Hesam Rahmanian, O You People!, 2020, Detail, Courtesy die Künstler und Galerie Isabelle van den Eynde, Dubai, produziert und realisiert von Schirn Kunsthalle Frankfurt

Als Kollektiv behandeln die Künstler aktuelle Ereignisse auch ganz unmittelbar. So zeigt die Ausstellung nicht zuletzt Arbeiten, die während der Corona-Pandemie entstanden sind. Ein Video gießt die Zeit der Quarantäne der Künstler in eine poetische Form. Während im Voiceover immer wieder die Wochentage Montag bis Sonntag wiederholt werden, fährt die Kamera langsam über ihren Ess- und zugleich Arbeitstisch, an dem Leben und Arbeiten auf engstem Raum stattfinden. Aus demselben Kontext stammen auch zwei Skulpturen aus Stahlgestellen mit Keramiktellern, auf denen die Künstler Motive aus dem Strom der Medienberichte dieser Monate übermalt, collagiert und in neuer Form zusammengeführt haben.

Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh, Hesam Rahmanian, Dance After the Revolution, 2020, Filmstill, Courtesy die Künstler und Gallery Isabelle van den Eynde, Dubai, Foto: © Mohammad Khordadian
Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh, Hesam Rahmanian, If I Had Two Paths I Would Choose The Third, 2020, Filmstill, Courtesy die Künstler und Gallery Isabelle van den Eynde, Dubai
“Either he’s dead or my watch has stopped” Groucho Marx (while getting the patient’s pulse)

RAMIN HAERIZADEH, ROKNI HAERIZADEH UND HESAM RAHMANIAN

3. September bis 13. Dezember 2020

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