Im Interview erzählt der britische Medien- und Performancekünstler Ed Fornieles, was ihn am Kontrollwahn der Selbstoptimierungs-Kultur interessiert und was seine kommende "Bio Hacking Nail Art" Performance in der SCHIRN damit zu tun hat.

Bekannt für seine vielfältigen Kunstpraktiken, die zwischen digitalen, skulpturalen und performativen Ausdrucksformen wechseln, nutzt der 1983 geborene Brite Ed Fornieles seine Arbeiten für die aktive Teilnahme an aktuellen, gesellschaftlichen Debatten. Als Pionier der sogenannten Post-Internet–Kunst hat er bereits an international renommierten Häusern ausgestellt, wie zum Beispiel dem Palais De Tokyo in Paris, dem New Museum in New York oder der Serpentine Gallery in London. In seinen Arbeiten beschäftigt sich Fornieles oft mit sozialen Konzepten wie Authentizität und Identität, und hinterfragt sie mit inszenierten online- und offline Events oder performativen Sitcoms, die als Plattformen für manipulierte Begegnungen zwischen realen Menschen fungieren. Sein Avatar, ein freundlicher Cartoon-Fuchs, ist Teil dieser fiktionalen Narrative und verwischt die Grenze zwischen Realität und Virtualität. Anlässlich seiner "Bio Hacking Nail Art" Performance, die Fornieles am 23. April in der SCHIRN inszeniert, haben wir mit ihm über hypnotische Visualisierungen, Diät-Kultur und Kontrollverlust gesprochen.

Anna-Lena Werner: Ed, deine Kunst umfasst gesellschaftliche online Projekte und inszenierte Live-Events, aber auch Skulpturen und Installationen, die Du aus den übriggebliebenen Resten der Performances zusammenbaust. Es entsteht ein Kreislauf innerhalb deiner Kunst. Ändert sich die Hierarchie der Arbeiten, wenn sie von einem Genre ins andere übertragen sind? 

Ed Fornieles: Anstatt als Teil einer Hierarchie, betrachte ich sie lieber als Netzwerk, bei dem jede Arbeit ganz einfach ein Knotenpunkt eines Systems ist. Jeder Knotenpunkt verweist auf einen anderen, sodass eine Skulptur auf eine Performance deutet und dabei hilft ihre Intentionen zu kommunizieren  – und natürlich auch umgekehrt. Jede Komponente dieser Matrix kann auf ihre Weise repräsentativ sein. 

ALW: Am 23. April wird dein "Bio Hacking Nail Art"-Projekt mit dem Titel “Hack your body, upgrade your mind” in der SCHIRN KUNSTHALLE in Frankfurt stattfinden. Worum wird es bei der Performance gehen? 

EF: In der Rotunde der SCHIRN wird eine Installation aufgebaut sein, bei der Leute ihre Nägel bemalt bekommen. Man liegt in gemütlichen Sesseln, trägt Kopfhörer und eine Augenbinde. Die Kopfhörer werden einen hypnotischen Soundtrack spielen. Man wird im Geist einen Strand konstruieren und die Stimme der Tonaufnahme über Kopfhörer hilft dabei, eine Art Palast zu imaginieren. In diesem Palast kann man mit seiner Vorstellung experimentieren und Erinnerungen speichern. Es ist der erste hypnotische Track einer Serie, die den Hörer mitnimmt auf eine Reise, bei der man mit seiner Visualisierungs- und Erinnerungsfähigkeit experimentieren kann.

ALW: Also ist es wie eine Meditation? 

EF: Ja, eine Visualisierungsübung, die Meditationspraktiken nutzt. Die Idee kam mir durch das beobachten der "Selbst-Management-Kultur", dem "Biohacking" und der "Diät-Kultur", worum es übrigens auch bei meiner kommenden Ausstellung bei Arratia Beer in Berlin gehen wird. Die Diät-Kultur versucht das Individuum als etwas zu begreifen, das beobachtet, manipuliert und kontrolliert werden kann. Ich glaube in dieser Herangehensweise liegt ein Problem: es fragmentiert das Individuum und auch das Zerbrechen seiner Identität wird dabei sichtbar.  

ALW: Was genau ist denn die Idee des "Biohacking"? 

EF: "Biohacking" ist das Hacken von Ideen. Es bedeutet, dass man ein System kontrollieren kann, wenn man es versteht. In dieser Behauptung steckt aber eine Menge Spannung. Es ist auch leicht wahnsinnig, denn man wird seinen Körper ja nie vollkommen verstehen können. Befürworter glauben aber wirklich, dass man es kann. Bei den Diäten soll man kontrollieren was man isst, um gewisse Dinge zu bekommen, wie zum Beispiel ein gesteigertes Bewusstsein, einen freien Willen oder eine erhöhte Selbstüberwindungsgabe. Im traditionellen Sinne manipuliert man seinen Körper, um gewisse soziale Erwiderungen zu erhalten. Schließlich merkt man aber immer wieder, wie wenig Kontrolle man eigentlich hat. 

ALW: Während die Diät-Kultur die Kontrolle über den eigenen Körper in den Vordergrund stellt, hast du selbst mal gesagt, dass du die Kontrolle über deine eigenen Kunstwerke verlieren möchtest. Warum? 

EF: Ich konstruiere Performances oder auch Aktionen auf sozialen Plattformen wie Facebook, als Modelle und stecke viel Arbeit in das Festlegen ihrer Grenzen. Danach darf alles passieren, was eben passiert. Ich habe es dann nicht mehr unter Kontrolle. Das ist sehr aufregend, denn egal was mir in den Kopf kommt – es kann ja nicht so interessant sein wie das, was eine ganze Gruppe von Menschen manifestieren kann. Das gleiche gilt für die hypnotische Visualisierung: Es besteht ein Rahmen und eine Behauptung, aber was dann wirklich geschieht ist rein innerlich und individuell. Dein Strand sieht nur so aus wie dein Strand.

Copyright Ed Fornieles, 2016

ALW: Für Deine Performance “New York New York Happy Happy” hast du 2013 eine fiktionale Wohltätigkeitsgala im New Museum in New York inszeniert und dabei die Begegnungen mit 'falschen' Menschen in die Museumsräume verlegt. Wie ändert so ein Event Deine Rolle als Künstler? 

EF: Meine Rolle ist es, den Event zu programmieren. Sobald es stattfindet habe ich praktische keine Kontrolle mehr und bin auf dem gleichen Level wie alle anderen Leuten. Ich muss im Vorhinein Regeln aufstellen. Gäste durften bei diesem Event sie selbst sein, aber nur in einer verstärkten Version. Sie sollten sich extrovertiert verhalten, also so, wie man sich bei diesen Events sowieso verhält: selbstvermarktend und dominierend. Es passieren erschreckend echte Dinge bei solchen Events: Wir haben Beziehungen erlebt, die dort angefangen haben und andere, die dort beendet wurden. Viele seltsame Sachen geschehen. 

ALW: Ein bisschen so wie bei einer Live-Sitcom... 

EF: …ja, aber auch in einer Tradition mit der "Happening"-Bewegung aus den 1960er-Jahren. Auch da wurden Regeln für einen bestimmten Raum aufgestellt, die von normalen Situationen abgewichen sind. Und dann sind außergewöhnliche Sachen passiert. Das ist ziemlich machtvoll. 

ALW: Viele Deiner Arbeiten kommentieren den Einfluss des Internets auf soziale Verhaltensweisen. "Nail Art", also das künstlerische bemalen von Finger- und Fußnägeln, ist gerade zum Beispiel ein beliebtes Thema online, es ist "trending". Glaubst du, dass diese digitalen Narrative unsere Gesellschaft tatsächlich widerspiegeln, oder repräsentieren sie vielmehr eine Parallelwelt?

EF: Was gerade "trending" oder "viral" ist, zeigt sich als gute Metapher für etwas, das gestreut und aus welchen Gründen auch immer plötzlich super populär wird. Durch die Popularität erklärt es auch seine Macht. Das, was gerade im Trend liegt, der konstante Bilderfluss und der visuelle Faden, sind nur die Symptome einer größeren Struktur. Sie markieren spezielle Online-Gruppen. “Nail Art” ist nur ein Beispiel von vielen. 

ALW: Mit welchen weiteren, populären Internetthemen hast Du dich noch beschäftigt? 

EF: Ich habe mir die amerikanische Landhaus-Kultur angeschaut. Sie verändert ihre Form ziemlich schnell – in Bezug auf das, was die Leute tragen, was sie hören oder wie sie miteinander sprechen. Aber die innere Struktur bleibt fast statisch. 

ALW: Ging es bei Deiner Einzelausstellung "Modern Family”, bei der Du dich vor zwei Jahren in der Londoner Chisenhale Gallery mit Familienrollen beschäftigt hast, auch um diese inneren Strukturen? 

EF: Ja! Es ist interessant, dass sich die Form ständig verändert, aber der Kern immer gleich bleibt. Ich habe die Ausstellung wegen der gleichnamigen Fernsehserie bei FOX “Modern Family” genannt. Es ist die erste Serie bei der ein gleichgeschlechtliches Paar die zentralen Charaktere spielt. Und gleichzeitig simuliert es die schwule Familie in dieses konservative Bild der Kernfamilie, das noch aus den 1950er-Jahren stammt, oder sogar noch älter ist. Innerhalb der Familie kennen wir unsere Rollen. Diese Einschreibung ist so stark und sie basiert sowohl auf kulturellen als auch auf biologischen Faktoren. Es ist unfassbar, wie einheitlich sie ist. 

ALW: Deine Arbeit “Modern Family” bringt auch die Online-Welt mit dem traditionellen Familienbild zusammen. Es geht deshalb auch darum, wo und wie man sich zuhause fühlen kann. Kann man sich in einem digitalen Raum zuhause fühlen und können wir digitale Online-Familien haben?

Copyright Ed Fornieles, 2016

EF: Ich glaube das Digitale funktioniert genauso wie Bildkulturen immer funktioniert haben. Die Familie kann man vielleicht als Portal verstehen, die einen Zugang von der Bildwelt zur gelebten Welt schafft. Im Grunde verstärkt und beschleunigt "online" ganz einfach den Zusammenhang zwischen Bild und Akt durch eine hohe Frequenz an Bildern und Geschichten. Es gibt einfach mehr. 

ALW: Gilt das auch für die digitale Selbstdarstellung? 

EF: Ja, ich glaube schon. Eben haben wir ja über zersplitterte Identitäten gesprochen und ich glaube, dass die Online-Welt diesen Entfremdungsprozess beschleunigt. Man existiert gleichzeitig in verschiedenen sprachlichen Zusammenhängen, je nachdem welche Website man besucht oder in welchem Kontext man sich befindet. Das gab es schon immer. Man hat eine Reihe von Sprachen, zum Beispiel für einen professionellen Kontext oder für einen freundschaftlichen. Jeder weiß genau, wie man zwischen ihnen wechselt. Die Online-Welt macht diesen Prozess einfach sichtbarer oder plastischer. Ich kann zum Beispiel ein Cartoon-Fuchs sein und die Leute verstehen was das ist und können damit kommunizieren. 

ALW: Der Cartoon-Fuchs ist Dein Avatar... 

EF: Ich sehe in ihm eher eine Evolution meiner Form, die es mir online erlaubt effektiver, ehrlicher und echter zu funktionieren. Er ersetzt auch mein äußeres Erscheinungsbild. Ich persönlich finde den Selfie-Modus ziemlich seltsam. Der Fuchs befreit mich davon. 

ALW: Zeichnest Du ihn selbst? 

EF: Ich habe ihn ziemlich schlecht skizziert und jetzt zeichnet ihn jemand für mich in Indien.

Copyright Ed Fornieles, 2016

ALW: Also hast Du dein Erscheinungsbild ausgelagert. 

EF: Künstler haben sich wirklich hin zum mittleren Management entwickelt und führen jetzt kleine Betriebe. Ich hab zwei Redakteure in der Ukraine, einen in Südafrika und einen in Spanien. Der Cartoonist lebt in Indien. ich verbringe meinen Tag damit, mit Menschen aus der ganzen Welt zu kommunizieren. Mich interessiert das Nachahmen größerer wirtschaftlicher Strukturen. Ich will deshalb dieses Jahr auch einen Teil meiner Produktion nach China auslagern, um meine Atelierarbeit zu fragmentieren. 

ALW: Bei "Modern Family" hing der Slogan "Sei Du Selbst" an der Wand. Glaubst Du, dass es so etwas wie ein "Selbst" online überhaupt gibt? 

EF: Rob Horning, ein toller Schriftsteller, spricht über das "digitale Selbst". Man mag diese Idee von sich selbst haben, die man für innerlich hält. Aber es gibt noch ein anderes "Selbst" – man kann sich auch durch alle Mikro-Entscheidungen betrachten, die man gemacht und kommuniziert hat. Das ist ein "Selbst", das auch von großen, wirtschaftlichen Betrieben interpretiert wird. Der Wert von Facebook wird buchstäblich durch die Ernte dieser Datensätze konstruiert. Und dann verwischt sich dein "Selbst" mit Millionen anderen Menschen. Ich finde genau diese Schwelle zwischen der Eigenwahrnehmung als einzigartig und gleichzeitig als Teil einer Gruppe interessant. So bringen wir uns miteinander in Einklang. Wir müssen beides bedienen, weil wir soziale Wesen sind. Wenn wir nicht so wären, dann würde alles keinen Sinn mehr machen.

Copyright Ed Fornieles, 2016