Ihre gemeinsamen Jahre in Kalifornien haben sie verbunden: Ein Interview mit dem Künstler Mike Bouchet über Richard Jackson als Lehrer, die Grenzen der Malerei und Hierarchien im Kunstbetrieb.

Mit seinen Arbeiten hinterfragt der in Frankfurt lebende Künstler Mike Bouchet  gesell­schaft­li­che Prozesse und bedient sich dazu unter­schied­lichs­ter Medien wie Skulp­tur, Instal­la­tion, Gemälde und Film. In seinen Werken widmet er sich Fragen der Urba­ni­tät und des Konsums. Bevor Mike Bouchet nach Deutschland kam, studierte der gebürtige Kalifornier bei Richard Jackson an der University of California in Los Angeles, woraus sich eine lange Freundschaft entwickelte. 

Richard und Du, Ihr seid schon seit Langem befreundet, teilt bestimmte Vorstellungen und Praktiken miteinander, und kommt darüber hinaus auch aus derselben Gegend in Kalifornien. Wie hast Du seine Haltung zur Kunst erlebt?

Richard ist erstaunlich offen. Außerdem ist er sehr pragmatisch, lebensnah und ein hart arbeitender Mensch mit einem extrem ausgeprägten Sinn für Humor. In seiner Lebens- und künstlerischen Arbeitsweise ist er nie stereotypen Vorstellungen gefolgt, wie ein Künstler sich verhalten oder leben sollte. Richard hat sich eine gesunde, scharfsichtige Skepsis gegenüber aufgeblähten Sichtweisen auf die Kunst und Künstler bewahrt. Ich würde sogar sagen, er ist eine Autorität in dieser Hinsicht, wenn man bedenkt, mit wie vielen Künstlern er eng verbunden ist. Für ihn ist der Sinn künstlerischer Arbeit mit der Entscheidung, wie man seine Zeit verbringt, verbunden. So gesehen ist seine Arbeitsweise sehr politisch und offen.

Die Kunstwerke, die Richard produziert, verlangen ihm immer viel ab. Ich habe nicht den Eindruck, dass er dem künstlerischen Schaffensprozess eine Art höhere emotionale Bedeutung beimisst, wenn dann eher einen persönlichen Wert. Ein gutes Beispiel sind wohl seine Installationen. Richard konstruiert alle Bestandteile selbst – Wände, Boden, sämtliche Objekte und elektromechanischen Elemente. Im Laufe dieses Prozesses trifft er eine Fülle kreativer und spielerischer Entscheidungen – die meisten davon sind unsichtbar. Anschließend bemalt er die verschiedenen mechanischen und unpersönlichen Materialien – was aber letztlich dabei herauskommt, entzieht sich seiner Kontrolle, die Wirkung ist nicht absehbar. Vielleicht kann man sich das in etwa so vorstellen, als würde ein Bäcker monate-, jahrelang an der perfekten Hochzeitstorte arbeiten, und dann steckt er sie in die Waschmaschine, weil er wissen will, wie sie nachher aussieht. Das hat etwas Absurdes, und gleichzeitig sehe ich darin eine hochpolitische Geste.

Für ihn ist der Sinn künst­le­ri­scher Arbeit mit der Entschei­dung, wie man seine Zeit verbringt, verbun­den.

Mike Bouchet über Richard Jackson

Du hast an der University of California (UCLA) studiert, als Richard Jackson dort Dozent war. Wie hast Du ihn damals erlebt?

Der Fachbereich Kunst bildete eine kleine Enklave in einer großen Universität, die an sich schon ein intensives akademisches Umfeld hat. Damals lehrten an der Fakultät mehrere Professoren mit einem Hintergrund in Performance und Konzeptkunst. Der Kunstmarkt existierte noch nicht so, wie wir ihn heute kennen. Ich würde mal sagen, die Kunstschule bot eine relativ puristische und konzeptionelle Atmosphäre. Der Fachbereich für Kunst war nicht akademisch ausgerichtet, aber stringent. Richard unterrichtete mehrere Fächer: Skulptur, konzeptuelle Kunst und auch Malerei. Seine Praxis umfasste verschiedene Medien. Bei den Studierenden war er schnell ziemlich beliebt, denn er war begeisterungsfähig und vermittelte ihnen praktisches Wissen für die Zeit nach dem Studium.

Seine Klassen öffnete er immer mehr und weigerte sich, Noten zu geben. Jeder bekam eine Eins, egal was man tat. In seiner Klasse waren manchmal 50 Studierende. Er brachte eine positive Energie in die Hochschule, die sehr motivierend war und die Studierenden zu Diskussionen anregte. Ich würde sagen, seine Botschaft an sie war letztlich: „Macht Kunst, die euch gefällt, macht Kunst, weil ihr sie für euch selbst machen wollt. Und wenn ihr weiter als Künstler arbeiten möchtet, dann sitzt nicht herum und wartet darauf, dass man euch einlädt, manövriert euch nicht in eine Sackgasse, sondern findet Wege, euren Lebensunterhalt zu verdienen, damit ihr auch weiterhin künstlerisch tätig sein könnt. Es ist kein Problem oder uncool, einen Job zu haben, es ist okay, nach der Arbeit Kunst zu machen. Wer sich aber einfach nur der Hoffnung hingibt, einmal entdeckt zu werden, kompromittiert sich selbst.“

Traditionelle Hierarchien im Kunstbetrieb, mit dieser Dynamik von Professor und Meisterschüler, ignorierte er auch. Es fand ein fruchtbarer Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden statt, daraus ergaben sich Diskussionen, oft bis spät in die Nacht. Das war sehr offen, und es bildete sich eine Art Gemeinschaft, was wiederum zu starken Gegenreaktionen einiger Professoren führte, die ihn letzten Endes rausgeworfen haben.

RICHARD JACKSON. UNEXPECTED UNEXPLAINED UNACCEPTED, Installationsansicht, The Dining Room, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Marc Krause
RICHARD JACKSON. UNEXPECTED UNEXPLAINED UNACCEPTED, Installationsansicht, Bed Room und The War Room, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Marc Krause
RICHARD JACKSON. UNEXPECTED UNEXPLAINED UNACCEPTED, Installationsansicht, The Delivery Room, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Marc Krause

Was würdest Du über sein Werk als „erweiterte Malerei“ sagen?

Was er ganz allgemein zeigt, ist, dass es tausend Möglichkeiten gibt, ein Bild zu malen, vor allem auch, Farbe zu betrachten. Und dass die Leinwand an sich ein ziemlich konservatives Format ist. Das, was wir im Kunstkontext erleben, sind sehr konservative Strukturen, und darüber macht er sich lustig. Richard positioniert sich dagegen, gegen die Rarität des Objekts und der Kunstproduktion. Er nimmt dem Ganzen das mystische Element. Warum wird auf eine Leinwand gegossene Farbe als so bedeutungsvoll angesehen, aber auf dem Boden oder auf einem Möbelstück als problematisch? Es ist eine Frage der Intentionalität oder – in seinem Fall – der wahrgenommenen Intentionalität. Und damit eröffnet sich eine ganze Welt, mit der man arbeiten kann. Auf einer Ebene wird also die Malerei erweitert, ja, aber es geht natürlich um noch viel mehr. Er steckt einen viel weiteren Kontext ab, innerhalb dessen Malerei erfahrbar wird. Die gesamte Umgebung, die er für diese Kombination von Objekten, Akten, Gesten, Materialien, Farben und so weiter aufbaut, ist untrennbar mit dem für sie erbauten Raum verbunden. In vielen Fällen sind es Tableaus, die eine Ganzheit bilden, aber sie funktionieren nicht im traditionellen Sinne von Tableaus.

Siehst Du Zusammenhänge zwischen Deiner Praxis und der von Richard Jackson?

Man sagt mir immer wieder, dass es so etwas wie eine Haltung der Westküste gebe... Wahrscheinlich herrscht dort eine Art gegenkultureller Geist, der in Kalifornien eine längere Geschichte hat. Und ich glaube, eine solche Geisteshaltung vertritt auch Richard, aber eher in Bezug auf die Kunstszene oder die Kunstgeschichte. Die Kunst der Westküste der letzten mehr oder weniger 60 Jahre ist mit viel Gesellschaftskritik verbunden. Im Fall von Richard würde ich aber sagen, dass er nicht reaktionär ist, sondern er ist ein Reaktionär. Etwas, womit man nicht einverstanden ist, kann trotzdem als Sprungbrett für die eigene Arbeit dienen, aber es macht nicht ihren eigentlichen Kern aus. Eine solche Art des künstlerischen Schaffens lässt sich nicht einschränken durch kunsttheoretische oder akademisch-theoretische Erwägungen; man kann sich auf sie beziehen, muss es aber nicht. Meistens geht es doch, würde ich vermuten, um individuelle Beobachtungen und Reflexionen über das menschliche Leben in einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort.

RICHARD JACKSON

UNEXPECTED UNEXPLAINED UNACCEPTED

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