Ein Festival lebt von Erneuerung. Kristoffer Gansing, künstlerischer Leiter der Berliner transmediale, über Overheadprojektoren, Emotionen in der digitalen Kultur und Entscheidungen gegen Instagram und Facebook.

Die transmediale findet zum 32. Mal statt, und in den letzten zehn Jahren hat sie sich rasant verändert. Der Direktor des Berliner Digitalfestivals Kristoffer Gansing spricht im Interview darüber, warum die transmediale nicht überflüssig wird und wieso das Internet nicht automatisch ein Schritt in eine bessere Zukunft bedeutet.

Kristoffer Gansing, Sie hören bald auf als künstlerischer Leiter der transmediale.

Ja, aber so bald auch wieder nicht. Ich habe noch Zeit bis 2020. Dann waren es fast zehn Jahre in dieser Position, das ist auch angemessen, denn ein Festival lebt von der Erneuerung. Jetzt haben wir eine gute Infrastruktur. Das Team gab es so nicht, als ich angefangen habe.

Was haben Sie gemacht, bevor Sie 2011 die künstlerische Leitung des Festivals übernommen haben?

Ich komme aus der Medienwissenschaft und aus der experimentellen Kulturszene in Dänemark und Schweden. Dort habe ich ein kleines Festival initiiert und geleitet: „The Art of the Overhead“.

Kristoffer Gansing, 2017, Foto: Julian Paul, CC BY-SA 4.0

Hatte das etwas mit Overheadprojektoren zu tun?

Ja, das war ein Festival für Overheadprojektoren. Obwohl, das klingt ziemlich nerdy, war es vielleicht auch. Der Projektor ist ein Medium, das fast jeder kennt: Das Gerät stand immer irgendwo im Klassenraum, man hat das aber nie als ein eigenes Medium behandelt. Die ersten PowerPoint-Programme wurden gemacht, um Folien zu designen, die man dann ausdrucken konnte, deshalb verkörpert dieses Gerät einen Übergang vom Analogen zum Digitalen. Das ist immer mein Ansatz gewesen: ein Blick auf Geschichte, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig. Aber genug über Overheadprojektoren!

Gut! Wie kamen Sie nach Berlin?

Ich habe mich für die Stelle als künstlerischer Leiter beworben. Zwar war ich als Besucher immer bei der transmediale, hatte aber keine enge Verbindung zum Festival. Wahrscheinlich wurde ich als Außenseiter genommen, der nicht so verstrickt war in der Berliner Szene und in der Kulturpolitik. 

Damals war das eigentlich schon ein altes Festival. Das fing doch in den 80ern an, als Teil der Berlinale.

Ja, da gibt es eine Vorgeschichte. Das war eigentlich eine Videosektion der Berlinale, aber es hat sich schnell als Videofest selbständig gemacht.

Das ist immer mein Ansatz gewesen: ein Blick auf Geschichte, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig.

Kristoffer Gansing

Was hat sich denn in den letzten sechs Jahren verändert? Hatte es einen Einfluss, dass digitale Kunst plötzlich in den Galerien und den großen Institutionen war?

Es gibt so eine regelmäßig wiederkehrende Meinung in der Presse: Schon 2005 gab es Stimmen, die die Meinung vertraten, man müsse das Festival eigentlich abschaffen, denn alles sei sowieso vernetzt und digital. Aber das Festival hebt sich ab. Vieles, was im digitalen Feld passiert, ist entweder eher kommerziell, wenn es mit Start-Ups und Kreativwirtschaft zu tun hat. Oder, wenn das Schlagwort Post-Internet fällt, ist das eher an die zeitgenössische Kunst angedockt. Bei der transmediale geht es gleichermaßen um eine kritische wie um eine künstlerische Auseinandersetzung mit digitaler Kultur. 

Hat sich die Rezeption des Festivals verändert?

Die Künstler und Theoretiker, die wir zur transmediale einladen, kommen jetzt in anderen Kontexten auch vor. Aber für mich ist das ein Argument, weshalb man Foren wie das Festival braucht, als Ort der Reflexion und Vertiefung Es gibt hingegen eine markante Veränderung in den Reaktionen: Die Rezensenten arbeiten sich seit einigen Jahren am kuratorischen Konzept ab. Fast jeder Artikel hat Stellung bezogen. Das letzte Festival war politisch, hat sich mit tagesaktuellen Themen beschäftigt und wurde polemisch diskutiert.

Wie, polemisch? Gab es Verrisse?

Klar, es gab zum Beispiel den Blog-Post „Fuck off, Transmediale“. Das ging via Facebook viral und landete bei e-flux Conversations.

Bei der trans­me­diale geht es glei­cher­ma­ßen um eine kriti­sche wie um eine künst­le­ri­sche Ausein­an­der­set­zung mit digi­ta­ler Kultur.

Kristoffer Gansing
Adelita Husni-Bey, The Reading, 2017 (video still), Courtesy of the artist
Grame Arnfield, Sitting in Darkness, Courtesy of Graeme Arnfield

Was ist passiert?

Die Autorin haben sich über die Eröffnungszeremonie empört. Es gab eine Aktion von zwei Aktivisten, die gegen den damals noch geplanten Google-Campus in Berlin-Kreuzberg protestiert haben. Die Kritik lautete, dass zwei maskierte Hipster aus Kreuzberg gegen Google protestieren, und ob denen nichts Besseres einfällt würde. Die Aktivisten waren natürlich alles andere als Hipster, und diese Bewegung hat ja auch Resultate gebracht. Dieses Beispiel zeigt sehr gut, wie viele unterschiedliche Erwartungen und Vorkenntnisse es von Seiten des Festivalpublikums gibt.

Über die Polemik hinaus, was war die Kritik?

Dass die Formate mehr leisten müssen. Manchmal sind die Erwartungen, was ein Festival leisten kann, überzogen. Als müsste es die Welt auch gleich verändern, weil es ein politisches Thema hat. Aber grundsätzlich finde ich die Diskussion ganz erfrischend; sie kann nur dazu beitragen, das Festival besser zu machen.

2019 beschäftigt sich das Festivals mit Affekten. Von der Politik zur Emotion?

Beim letzten Festival hatten wir den Titel „Face Value“, und es ging um Populismus und reaktionäre Wenden in der Netzkultur. Von dort ist der Weg zum Affekt ziemlich kurz. Das hat mit einer emotionalisierten politischen Landschaft zu tun.

Ist das Persönliche nicht auch politisch?

Das Politische und das Persönliche sind natürlich immer schon eng verbunden. Aber uns interessiert die Instrumentalisierung von Gefühlen. Zum Beispiel, wenn das innerhalb von Technologie passiert. Es gibt den Bereich des Affective Computing, der hat eine lange Geschichte. Sprachassistenten und Künstliche Intelligenz sollen ein empathisches Verhältnis zum Nutzer aufbauen. Die Interfaces sind immer schon emotional gestaltet, und sie werden immer humaner. Das finde ich sehr interessant, auch im Vergleich mit den weiteren Entwicklungen einer emotionalisierten Politik. Das kann man auch positiv bewerten, wenn ein Affekt neue soziale Bewegungen inspiriert. Das sehen wir gerade, zum Beispiel in Frankreich mit den Gilets Jaunes.

Das Festival hat ein Thema, aber wie ist es mit dem Titel?

Das Festival hat in diesem Jahr keinen Titel. Wir haben erst den Begriff „Structures of Feeling“ für das Festival benutzt, das war uns aber zu trocken und zu akademisch. Ohne Titel, das ist sehr ungewöhnlich. Seit 1998 hatte das Festival immer einen. Das hängt natürlich auch mit dem Thema zusammen, weil wir Affekt als ein Feld in Entstehung begreifen möchten. Das ist ein weiter Bereich, gerade in einer Zeit, in der Gefühle in die neuen sozialen Infrastrukturen einfach eingebettet werden. Ich glaube aber auch, dass es eine Chance gibt für Affekte, nicht nur instrumentalisiert oder quantifiziert zu werden.

Wie sehen diese Chancen aus?

Wir haben zum Beispiel eine Künstlerin eingeladen, die während der Eröffnungszeremonie eine Art von Tech-Tutorial macht und erklärt, wie man mit Machine Learning und Künstlicher Intelligenz menschliche Emotionen klassifiziert, und wie man Bilder oder Klang mit Emotionen als Filter manipuliert. Das ist auch unter ästhetischen Gesichtspunkten spannend. Man muss mitmachen, um zu verstehen, wie man das in eine andere Richtung betreiben könnte. Das ist wichtiger, als zu beurteilen, ob es dystopisch oder utopisch ist.

Ich glaube aber auch, dass es eine Chance gibt für Affekte, nicht nur instru­men­ta­li­siert oder quan­ti­fi­ziert zu werden.

Kristoffer Gansing
Marija Bozinovska Jones, Fascia, Courtesy of Marija Bozinovska Jones

Total interessant: Die transmediale ist nicht mehr auf Facebook und Instagram aktiv. Warum verzichten Sie darauf?

Seit Oktober sind wir nicht mehr da, selbst war ich da nie. 2011, 2012, ist die transmediale da eingestiegen. Ich mochte das damals nicht, aber es war eben praktisch. Dann habe ich gesehen, wie sich das in den letzten Jahren zu unserem wichtigsten Kommunikationsmittel entwickelt hat. Dann kamen die ganzen Skandale um die Plattform, und es war nicht mehr radikal, auszusteigen. Aber wir haben uns dafür entschieden. Das heißt natürlich nicht, dass in Zukunft ein neuer künstlerischer Leiter kommt und das wieder einschaltet. Das Konto ist noch da. 

Ich kenne keine andere Institution, die so radikal mit den Sozialen Medien gebrochen hat.

Heute kann man nicht mehr sagen, es ist Internet, das ist automatisch schon die Zukunft — nein, es ist eine gesellschaftliche Frage: Wo möchte man dabei sein? Wenn man überhaupt Alternativen schaffen möchte, kann man nicht weiterhin Facebook benutzen. Für uns ist es ein Luxus, das machen zu können. Wir waren schon bekannt, und für das nächste Festival haben wir schon früh viel Interesse an unserem Ticketverkauf bemerkt. Wir sind nicht plötzlich unsichtbar geworden.

Heute kann man nicht mehr sagen, es ist Internet, das ist automatisch schon die Zukunft — nein, es ist eine gesellschaftliche Frage.

Kristoffer Gansing

transmediale

31. Januar – 3. Februar 2019

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