Das international besetzte Ensemble Interface prägt seit 10 Jahren die aktuelle Musikszene. Ein Gespräch über ihre erste Arbeit im White Cube, Musiktheater und die Freiheit, Dinge neu zu denken.

Ihr seid als Ensemble Interface eine Gruppe von sechs international tätigen Musikerinnen und Musikern – wie habt ihr überhaupt zusammengefunden und was verbindet euch musikalisch?

ANNA D‘ERRICO: Wir haben uns vor zehn Jahren bei der Internationalen Ensemble Modern Akademie [in Frankfurt] kennengelernt. Wir waren dort Stipendiaten, das war natürlich eine tolle Erfahrung, ein Jahr lang intensiv zusammenzuarbeiten und viel von der experimentellen Musikwelt zu erfahren. Ein Teil von uns hat dann entschieden, weiterzumachen, weil es so gut gepasst hat. Wir wollten auch etwas Selbstständiges machen, unsere Entscheidungen auf die Bühne bringen.

BETTINA BERGER: Als Sextett haben wir eine sehr klassische Besetzung. Das ist eine enorm reiche Palette an Klängen: zwei Streichinstrumente, zwei Blasinstrumente, zwei Schlaginstrumente. Uns fasziniert die Interaktion beim Zusammenspielen: In dieser Besetzung wird häufig ohne Dirigent gespielt, das heißt wir müssen viel kommunizieren und zusammen musikalische Entscheidungen treffen.

Viele eurer Projekte sind interdisziplinär angelegt, mit einem Fokus auf performative Ansätze. Wie ist dieser Schwerpunkt entstanden?

ANNA D‘ERRICO: Wir haben uns ziemlich bald für die Richtung des Musiktheaters interessiert. Uns ist wichtig, dass die gesamte Erfahrung [bei einem Konzert] auch Teil des musikalischen Erlebnisses sein darf – was man sieht, was man hört, dass man das als Ganzes erlebt.

BETTINA BERGER: Wir haben es nicht so geplant, es waren Begegnungen mit einzelnen Künstlerinnen und Künstlern oder Komponisten, die uns dahin geführt haben. Der Musiker, Komponist und Regisseur Heiner Göbbels war anfangs zum Beispiel ein starker Impuls für uns. Das klingt klischeehaft, aber es geht um das Konzert als ganzheitliches Erlebnis. Vom Auftritt bis zum Abtritt, dass es einen Bogen hat.

Eines dieser interdisziplinären Projekte ist die Zusammenarbeit mit dem Künstler Hans van Koolwijk. Mit ihm habt ihr unter dem Titel „KlangMøbil“ Instrumente entworfen, die jetzt in der Ausstellung „Big Orchestra“ zu sehen sind. Wie hat sich dieses Projekt entwickelt?

ANNA D‘ERRICO: Anfangspunkt war eine Idee des Komponisten Beat Gysin, der auch zu unserem Team gehört. Er hat vorgeschlagen, Instrumente zu entwickeln, die als Hybride gedacht sind, und dafür Kompositionen zusammenzustellen. Hans van Koolwijk wurde von einem anderen Komponisten, Sergey Khismatov, vorgeschlagen. Hans kommt aus dem Bereich der Sound-Installation und Klangkunst, das ist etwas anderes als das, was wir machen. Es war eine sehr enge Zusammenarbeit mit ihm, um herauszufinden, was zu uns und unserer Praxis passt. Wir fanden es genial, wie er die Instrumente kombiniert: Blas-, Streich- und Schlaginstrumente kommen in einem Instrument zusammen. Das ist der Klangteil. Und dann gibt es den mobilen Teil. Diese Instrumente sind beweglich, das ist uns wichtig. Klang hat Richtungen – Klang bewegt sich. Klangt nimmt Zeit, aber auch Raum ein. Und diesen Raum wollten wir deutlich sichtbar und hörbar machen. Deswegen die Mobilität.

BETTINA BERGER: Das Projekt ist auch mobil im übertragenen Sinne, weil es ein sehr flexibles Projekt ist. Wir sind jetzt zum ersten Mal in einem White Cube, sonst waren es eher Black Boxes, in denen die Lichtinszenierung sehr wichtig war. Wir wollen auch für unterschiedliches Publikum spielen können, mit unterschiedlichen Menschen in Berührung kommen.

Klang hat Richtungen – Klang bewegt sich.

Anna d‘Errico
Hans van Koolwijk, Trumpets (klangmøbil), 2015, Courtesy the artist, Foto: Herre Vermeer

Wie habt ihr die Situation wahrgenommen, live in der Ausstellung zu proben, innerhalb der Öffnungszeiten? Jeder Teil des Prozesses war ja transparent, das Diskutieren, das Ausprobieren von Dingen, die auch mal nicht funktionieren, bis hin zu den Proben.

BETTINA BERGER: Ich habe sehr genossen, dass bei unseren Proben immer auch andere Ohren mitgehört haben. Immer wieder mache ich die Erfahrung, dass mir das Publikum hilft, ein Werk zu verstehen: Obwohl wir uns selbst beim Üben und Proben im Ensemble sehr viel und gut zuhören, ist nochmal eine andere Art von Aufmerksamkeit im Raum, wenn es Zuhörer gibt, und das habe ich jetzt bei der Arbeit in der Schirn als sehr schön und wertvoll erlebt.

Im Juli werden einige Musikerinnen und Musiker aus eurem Ensemble Sessions gestalten, in denen ihr euch in gemischten Gruppen – von Musikstudierenden bis hin zu musikalischen Laien – mit den Werken der Ausstellung beschäftigen werde. Was erwartet ihr euch von diesem Format?

BETTINA BERGER: Jeder Mensch bringt einen anderen Hintergrund, andere Erfahrungen, ein anderes Potential mit. Das ist für die Zusammenarbeit sehr bereichernd und erfrischend. Gleichzeitig bringe ich als Musikerin eine bestimmte Haltung mit, wie ich mit einem Objekt als Instrument umgehe. Diese Sensibilität ist vielleicht nicht bei allen vorhanden. Wir können anderen Menschen unsere Ohren leihen.

Wir können ande­ren Menschen unsere Ohren leihen.

Bettina Berger

Was bedeutet es für euch persönlich als Musikerinnen, sich jetzt im Rahmen der Ausstellung intensiver mit der visuellen Seite eines Instruments oder des Musikmachens auseinanderzusetzen?

ANNA D‘ERRICO: In jeder Disziplin ist es sehr einfach und gleichzeitig sehr gefährlich, in einer Schublade festzustecken. Vieles ist für uns so selbstverständlich, weil wir diese lange Verbindung mit unserer Disziplin haben. Aber manchmal ist es wichtig, sich von dieser Vergangenheit zu lösen und Eindrücke anderer Menschen aufzunehmen, von Künstlern anderer Disziplinen, aber auch Menschen aus anderen Welten. Dann hast du die Freiheit, Dinge neu zu denken, einen frischen Blick auf die eigene Disziplin zu bekommen.