Beim alljährlichen Digitalfestival Transmediale im Berliner Haus der Kulturen der Welt werden Debatten zur Kunst und Gesellschaft der Zukunft geführt – und gelegentlich nostalgisch zurückgeblickt.

Wenn etwas ganz neu ist, muss erst einmal ein Wort dafür erfunden werden. Und dieses Wort dient häufig als Metapher. Ein Bild also, damit man das Neue versteht, zum Beispiel: Das Internet konnte man sich zunächst als weltweit verbundenes Netz von Computern vorstellen, beinahe wie ein Spinnennetz. Deshalb World Wide Web. Andere Metaphern klingen nach ein paar Jahren ziemlich alt: „Datenhighway“ oder „Cyberspace“. Wieder andere passen sich neuen Technologien an, wie das Bild der Wolke. 

Die Cloud lässt verstehen, wie unsere Daten an jedem Ort abrufbar sind - weil sie dezentral verteilt sind und dabei auch noch irgendwie immateriell. Nach einer Weile vergessen wir, dass wir Metaphern benutzen. Die ursprüngliche Bedeutung rückt in den Hintergrund, wie die Prägung einer abgegriffenen Münze.

Alte Romantik und verschärfte Widersprüche

Die Transmediale fand dieses Jahr vom 31. Januar bis 4. Februar schon zum 31. Mal statt. Bei dem Festival im Haus der Kulturen der Welt in Berlin geht es um das Internet, genauer: darum, dass das Internet, wie wir es kennen, nicht immer so war. Dass es eine Zeit vor den digitalen Hegemonialmächten Google und Facebook gab, weiß jeder. Nur kann sich kaum jemand an diese graue Vorgeschichte der weltweiten Vernetzung erinnern. Ein wenig von dieser Romantik haftet dem Festival dennoch an. Es geht um Kunst, um Bilder, um Identitätspolitik im Internet, es geht um Kryptowährung, um Memes und um all das, was Ungerechtigkeit im Netz erzeugt.

Kristoffer Gansing bei der opening rally der Transmediale 2018 face value, Photo: Adam Berry, transmediale, CC BY-SA 4.0

Das Motto der diesjährigen Transmediale heißt „Face Value“. Das ist der Nominalwert einer Münze. “To take something at face value” bedeutet übertragen aber auch „etwas für bare Münze nehmen“. Das Digitalfestival beginnt mit einer „rally“, also einer politischen Versammlung, bei der die Teilnehmer in meist zornigen Fünf-Minuten-Vorträgen aussprechen, was im und am Internet falsch läuft. Dabei bricht sich Enttäuschung Bahn, wenn die britische Kulturkritikerin Nina Power fragt: Warum müssen wir immer noch acht Stunden am Tag mit Leuten zusammenarbeiten, mit denen wir auf einer Party nicht einmal reden würden? Warum leben wir nicht schon längst in einer „post work society“?

Heather Dewey-Hagborg und Chelsea Manning, A Becoming Resemblance, Courtesy of the artists and Fridman Gallery, New York, Photo: Paula Abreu Pia

Die einstigen Utopien vom freien Netz seien gescheitert, heißt es, und anstatt Befreiung zu bringen, habe sich das Internet schnell in einen Raum verwandelt, wo die Widersprüche der analogen Welt noch verschärft sind: Rasse, Klasse, Gender.

Post-Internet Art von gestern

Nun ist die Transmediale nicht nur ein Festival für Zukunftsprognosen und politische Forderungen, sondern auch für digitale Kultur. Sicherlich taugen Begriffe wie Post-Internet oder Vaporwave nur noch bedingt, um präzise Aussagen über Kunstwerke zu treffen. Letzteres war ein Hype, der ungefähr 2011 begann und sich schnell verbreitete: Elektronische Musik aus Samples von Fahrstuhlmusik und Italo-Disco. Langsam waberten die melancholischen Klänge bei Soundcloud, YouTube und in progressiven Kunstgalerien. Schließlich wanderte Vaporwave ins Archiv der untergegangenen Pop-Trends.

Neue Metaphern

Ein Veteran dieser Bewegung ist James Ferraro, und wahrscheinlich das deutlichste Zeichen dafür, dass Post-Internet Art in ihre barocke Phase eintritt. Im Haus der Kulturen der Welt inszeniert Ferraro eine Art Oper zur Transmediale, Titel: „Plague“. Die ästhetische Vorlage dazu liefern Bertolt Brecht und sein Bruch mit dem illusionistischen Theater. Ein Schauspieler tritt als untoter Steve Jobs auf, der die Geister, die er rief, nicht mehr kontrollieren kann. Es gibt einen Chor und Musik. Auf einem Triptychon aus drei Screens läuft ein gerenderter Film: Es beginnt alles mit einer Wurzel, die ein wenig aussieht wie eine Ingwerknolle. Sie wächst und vernetzt sich. Und die Zuschauer lernen eine neue Metapher für das Internet kennen. Das neuronale Netzwerk, oder besser gesagt, die selbstlernende künstliche Intelligenz.

James Ferraro presents: Plague, Artwork by Nate Boyce

Warum, fragt der Künstler Zach Blas am dritten Tag des Festivals, wird das Internet als Weltkugel dargestellt? Er weiß die Antwort: Weil es derart totalisiert ist. Weil die Digitalisierung längst alle Lebensbereiche berührt, und es eigentlich keinen Sinn mehr ergibt, vom Internet als solches zu sprechen. Es gibt nämlich nichts mehr, was nicht damit zusammenhängt.

Eric Schmidt leitet den Google-Mutterkonzern Alphabet. Google ist einer der großen Kolonisatoren dieses globalisierten Internet — aber auch er hat Recht, wenn er sagt: „The Internet will disappear“. Aber nicht irgendwohin. Es verschwindet in die Geräte, bis jedes Objekt eine IP-Adresse hat, bis wir es nicht mehr wahrnehmen — die Idee vom Internet der Dinge ist geboren. Die Cloud ist nicht immateriell, sondern hat reale politische und soziale Auswirkungen. Die Metaphern täuschen, das Internet ist schon längst nicht mehr von der Realität zu unterscheiden.

Femke Herregraven, Screen capture "Sprawling Swamps" (2016–ongoing), courtesy of the artist