Toni Meyer fotografiert Straßenszenen in Großstädten. Erst auf den zweiten Blick merkt man, dass es sich dabei um raffinierte Collagen handelt.

Ein Café im Frankfurter Nordend. Die Fotografin Toni Meyer holt einen Stapel mit Fotografien im Postkartenformat aus ihrer Tasche und breitet ihn auf dem kleinen Terrassentisch aus – so flächendeckend, dass selbst für die beiden schlanken Gläser Latte-Macchiato, die wir bestellt haben, kaum noch Platz bleibt. „Wo soll ich das abstellen?“, fragt uns die Kellnerin dann auch mit gleichermaßen freundlicher und leicht ratloser Miene.

Meyers Motive sind Straßenszenen, aufgenommen in Großstädten überall auf der Welt. Ein Passant in Tokio zum Beispiel. Die weißen Flecken seiner ausgewaschenen Jeansjacke passen perfekt zu dem Muster der Schleierwolken, die sich über einem Hochhaus im Hintergrund abzeichnen. Oder ein junger Mann mit Rasta-Dutt, dessen rot-weiß gestreifte Windjacke farblich mit den beiden Absperrpfosten vor einer Edel-Boutique in der Frankfurter Goethestraße harmoniert. Eine Frau steht vor dem Schaufenster eines Ladens in London, der knuffige Stoff-Emojis verkauft. In ihrer zitronengelben Felljacke wirkt sie beinahe selbst wie ein Mensch gewordener Smiley. Ob sie tatsächlich lacht, ist für den Betrachter dabei nicht zu erkennen. Denn Meyer lichtet Menschen meist heimlich und von hinten ab.

Bei Meyers City-Porträts handelt es sich um raffi­nierte Colla­gen

Die Diskretion dient nicht bloß der Wahrung der Privatsphäre. „Ich möchte vermeiden, dass sie ihre natürliche Pose aufgeben – was schnell passiert, wenn sie meine Kamera entdecken“, sagt sie. Der Clou: Bei Meyers City-Porträts handelt es sich um raffinierte Collagen. Vordergrund und Hintergrund werden stets an verschiedenen Schauplätzen einer Stadt aufgenommen und anschließend mit Hilfe von Photoshop zusammengefügt. Meyer geht es dabei nicht etwa darum, den perfekten Fake zu erschaffen. Im Gegenteil. Manchmal lässt sie beim Zuschneiden ihrer Motive deutlich sichtbare Ränder stehen oder missachtet bewusst Größenverhältnisse und Perspektiven. 

Toni Meyer, Porträt, Courtesy of Toni Meyer
Foto: Toni Meyer, aus der Serie Tokio

„Ich finde es spannend, dass dem Betrachter solche Dinge erst auf den zweiten Blick auffallen – wenn überhaupt. Dabei würde man ja annehmen, diese Manipulationen müssten ziemlich offensichtlich sein.“ Es ist nicht zuletzt auch ein gekonntes Spiel mit Erwartungshaltungen und Sehgewohnheiten. Meyer ist die Tochter einer Fotografin. Sie interessierte sich schon früh für den Beruf. „Als Kind habe ich gerne meinen Hund verkleidet und vor die Kamera gesetzt oder mit meinem drei Jahre älteren Bruder Videos gedreht“, erzählt sie.

Nach dem Abi zog sie aus Frankfurt nach Berlin, um an der Universität der Künste verbale und visuelle Kommunikation zu studieren. Anschließend belegte sie in New York einen dreimonatigen Kurs am renommierten International Center of Photography, wo man ihr nahelegte, Fotografie zu studieren – was Meyer am Goldsmiths College in London auch schließlich tat. 

Ich finde es span­nend, dass dem Betrach­ter solche Dinge erst auf den zwei­ten Blick auffal­len – wenn über­haupt.

Toni Meyer
Foto: Toni Meyer, aus der Serie Frankfurt

„Dort herrschte ein sehr offenes und breites Verständnis von Fotografie. Man konnte sich mit neuen Medien beschäftigen und auch Video- und Programmierkurse belegen. Das hat mir sehr gefallen.“ In London begann sie, für kleinere Modelabels wie „A-Line“ zu arbeiten. „Wenn sich Mode und Kunst zusammentun, kommt dabei oft etwas Spannendes heraus“, findet sie. „Ich war ziemlich frei in meiner Arbeit und habe meine Aufträge damals eher als Kunstprojekte betrachtet.“ Meyer stellte Models vor Videoleinwände und schuf Collagen, die ihren heutigen City-Porträts nicht unähnlich sind. 

Dort herrschte ein sehr offenes und breites Verständnis von Fotografie. [...] Das hat mir sehr gefallen.

Toni Meyer

Ihr ging es darum, das Spektrum der klassischen Fotografie durch Stilmittel wie Schneiden, Projizieren und Kombinieren zu erweitern. Nach zwei Jahren als Texterin in einer Züricher Werbeagentur, konzentrierte sie sich voll und ganz auf die Fotografie. „Der Job war Vollzeit. Das ließ sich irgendwann einfach nicht mehr mit meinen freien Projekten vereinbaren“, erzählt sie. Auf dem Laptop zeigt sie uns einige ihrer älteren Arbeiten. Für ein Projekt hat sich Meyer in die Urlaubsfotos ihrer Eltern hineingeschmuggelt – mit Hilfe von Photoshop und den Achtzigerjahre-Klamotten ihrer Mutter, in die sie eigens dafür geschlüpft ist.

Außer­dem plant sie ein gesell­schafts­kri­ti­sches Foto-Projekt

„Ich fand es immer toll, wenn meine Eltern von ihren Reisen vor meiner Geburt erzählten und dachte mir: Da wäre ich selbst gerne dabei gewesen. Diesen Wunsch habe ich mir im Nachhinein erfüllt“, sagt sie und lacht. Meyer reist inzwischen selbst gerne und viel. São Paulo, Tokio, Athen, London und zuletzt Frankfurt. Als ortkundiger Betrachter erkennt man auf den Bildern zum Beispiel die wabenförmige Fassade des Einkaufszentrum My Zeil oder das Sparkassenhochhaus an der Konstablerwache. Los Angeles will sie ihr nächstes Städte-Porträt widmen. 

Foto: Toni Meyer, aus der Serie Frankfurt
Foto: Toni Meyer, aus der Serie Frankfurt

Außerdem plant sie ein gesellschaftskritisches Foto-Projekt, für das sie ein Model mit übertrieben vielen Klamotten überhäufen und als eine Art „Überfluss-Konsum-Skulptur“ durch München laufen lassen will – mit einer Selbstverständlichkeit, wie sie auch ganz normale Passanten an den Tag legen. In Zukunft möchte Meyer ihre Bilder öfter als bisher auf Ausstellungen zeigen – noch dieses Jahr soll es Termine in Berlin und München geben. Einen Teil ihrer Arbeit macht sie zudem auf Instagram zugänglich. In drei verschiedenen Formaten gibt es einzelne ihrer Fotos auch zu kaufen. 

Meyer klappt ihren Laptop zusammen. Bald wird sie wieder nach München aufbrechen, der Stadt in der sie seit rund einem Jahr wohnt. Private Gründe haben sie dorthin verschlagen – ihr Freund lebt dort. Frankfurt, wo sie aufwuchs, empfindet sie aber immer noch als Heimat. Regelmäßig besucht sie hier Familie und Freunde. „Das Schöne an meinem Beruf ist ja, dass ich nicht an einen festen Ort gebunden bin“, sagt sie. Nur eine Großstadt sollte unbedingt in der Nähe sein. Als Ort der Inspiration und Kulisse für viele weitere Fotos.

Das Schöne an meinem Beruf ist ja, dass ich nicht an einen festen Ort gebun­den bin.

Toni Meyer
Foto: Toni Meyer, aus der Serie Frankfurt
Foto: Toni Meyer, aus der Serie Frankfurt

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