Jenseits von Gangs­ter-Klischees bringt Credibil Selbst­re­fle­xion und poli­ti­sches Bewusst­sein in den Stra­ßen­rap seiner Gene­ra­tion. Ein Studiobesuch im Frankfurter Industriegebiet.

„Herzlich willkommen!“ Der Frankfurter Rapper Credibil öffnet die Tür zu seinem Studio, das sich unter dem Dach eines großen Atelierhauses im Fechenheimer Industriegebiet befindet. Die eigentliche Studiotechnik nimmt in dem schallgedämmten Kellerraum überraschend wenig Platz ein: Ein MacBook mit Aufnahmesoftware und Soundkarte. Außerdem ein externes Mikrofon und zwei Monitorboxen. „Viel mehr brauche ich nicht, um meine Musik zu recorden.“ 

Der kleine Raum wirkt wie eine gemütliche Einzimmerwohnung. Auf der Anrichte in der Kochnische liegt frisches Obst und Gemüse. Auf dem Schreibtisch stapeln sich einige Bücher: Die Poetik des Aristoteles, Goethes Faust, Romane von Paulo Coelho – aber auch ein Ratgeber mit dem Titel „Reicher als die Geissens“. Der riesige Monitor an der Wand zeigt ein Standbild aus dem Film „Planet der Affen: Survival“, den Credibil kurz vor unserer Ankunft auf DVD geguckt hat. 

Ganz selbst­ver­ständ­lich enga­giert er sich gegen Rassis­mus

Credibil gilt als Rapper, der jenseits von Gangster-Klischees so etwas wie Selbstreflexion und politisches Bewusstsein in den Straßenrap seiner Generation gebracht hat. Der 26-jährige sagt in unserem Gespräch Sätze wie: „Ich will einfach keine Songs über Geld und Autos mehr hören.“ Oder: „Anders als in Amerika ist Rap in Deutschland nie richtig erwachsen geworden. Das möchte ich ändern.“ Credibil ist es wichtig, eine Haltung zu haben. Ganz selbstverständlich engagiert er sich gegen Rassismus. Am Samstag vor unserem Treffen war er in Frankfurt auf einer „Black Lives Matter“-Demo.

Foto: Neven Allgeier

Sein aktuellstes Projekt heißt „24/7“. Im Abstand von drei Wochen veröffentlicht er seit November 2019 auf seinem YouTube Kanal insgesamt 14 Songs, die sich zu einer Playlist fügen. Der Clou: Credibils Fans dürfen via Facebook und Instagram über Stil und Inhalt der Songs abstimmen. Zu seiner Zielgruppe hat er großes Vertrauen.

„Ich schreibe jeden Tag“, sagt Credibil. „Auch wenn es manchmal nur ein paar Zeilen sind.“ Früher benutzte er dafür häufig Zettel und Papier. Heute greift er lieber zum Handy. „Das ist nicht nur unkomplizierter, sondern auch besser für die Umwelt.“ Während der Coronakrise entstanden neue Texte. „Die Krise hat mich gar nicht mal so sehr als Person betroffen, obwohl zeitweise meine Berliner Produzenten wegen gestrichener Flüge nicht anreisen konnten, sondern eher als Künstler. Meine Aufgabe ist es, die Gesellschaft zu analysieren und die Ergebnisse in Songs zu packen.“ Credibil hält auf seinem Drehstuhl kurz inne und fängt dann spontan an zu rappen: „Europa-Nazis, Corona-Partys, und ein ungebet‘ner Gast / Toilettenpapierkampf…“

Meine Aufgabe ist es, die Gesell­schaft zu analy­sie­ren und die Ergeb­nisse in Songs zu packen.

Credibil

Credibil hat türkisch-kurdische Wurzeln, heißt eigentlich Erol Peker und wuchs in Marburg auf. Die älteren Jungs in seinem Viertel brachten ihn mit Deutschrap in Kontakt – Kool Savas, Sido und Co. Wann wurde ihm bewusst, dass er ebenfalls Talent zum Rappen besitzt? „Moment“, sagt er, zieht unter seinem Schreibtisch einen Ordner hervor und entnimmt mit spitzen Fingern einen in Folie eingeschweißten Zeitungsartikel vom 9. Mai 2007. „Talentwettstreit ‚Zeig was du kannst‘ auf der Frühjahrsmesse“ lautet die Überschrift. „Ich bin der Typ ganz links auf dem Bild. Damals war ich zwölf und habe zum ersten Mal gemerkt, dass ich mit Hip-Hop Geld verdienen kann – auch wenn es nur 17 Euro sind. Wir waren zu dritt und haben den Gewinn geteilt.“

Karriereauftakt mit Kool Savas und Celo & Abdi

In Frankfurt, wo er seit seinem 15. Lebensjahr wohnt, besuchte Erol eine Schule für Mediendesign. „Es war für mich ein nahtloser Übergang vom Fachabi zum Rapper“, erinnert er sich. „Ein Regisseur, den ich über das Internet kontaktierte, weil ich seine Arbeit bewunderte, hatte mir zum Besuch dieser Schule geraten.“ Ihm spielte Erol seine ersten ‚Credibil‘-Songs vor. Der Regisseur teilte sie im Netz, wo Deutsch-Rap-Größen wie Kool Savas und Celo & Abdi auf sie aufmerksam wurden. Der Auftakt zu Credibils Karriere.

Foto: Neven Allgeier

Von Anfang an veröffentlichte er seine Musik, darunter die beiden viel gelobten Studioalben „Renæssance“ und „Semikolon“ auf dem eigenen Label Traumfänger, dessen Logo er sich auf die linke Gesichtshälfte tätowieren ließ – was bei Videodrehs im Ausland schon mal zu Komplikationen führt. „In den USA muss ich regelmäßig der Polizei erklären, dass ich trotz meiner Tattoos kein Mitglied einer Gang bin.“ 

Obwohl er in seinen Songs eigene Erfahrungen verarbeitet – zum Beispiel seine Jugend im Frankfurter Bahnhofsviertel – sagt er: „Credibil ist eine Kunstfigur. Sie besteht zu hundert Prozent aus Erol. Aber Erol ist viel mehr als nur Credibil.“ Um weitere Facetten von sich zu zeigen, könne er sich demnächst gut vorstellen, eine ganze Reihe von Figuren zu verkörpern. Jede mit einer anderen Stimme, einem anderen Outfit und anderen Inhalten. Ein bisschen so, wie der Rapper Marteria das mit seinem Alter Ego Marsimoto getan hat. Auch Ironie soll dabei eine Rolle spielen. „Ich mag den Humor von Kurt Krömer“, sagt Erol. Frankfurter Hip-Hop habe einen Hang zum Epos, zum Pathos und zur Melancholie. Alles Eigenschaften, die auch Credibil sehr schätzt. „Ich möchte in Zukunft aber auch mal etwas Neues ausprobieren.“

In den USA muss ich regel­mä­ßig der Poli­zei erklä­ren, dass ich [...] kein Mitglied einer Gang bin.

Credibil
Foto: Neven Allgeier

Bevor wir uns verabschieden, macht Neven noch Fotos im Hinterhof. Credibil sperrt sein Studio zu, trägt den Schlüsselbund an einer Schnur um den Hals und setzt seine Sonnenbrille auf. Als er auf einer Feuertreppe posiert, geht direkt über ihm plötzlich ein Fenster auf. „Ach du bist es, ich dachte schon, ich schieb‘ Optik“. Ein befreundeter Rapper, der in dem Atelierhaus ebenfalls sein Studio hat, streckt zum Gruß seine Hand heraus. „Ich mag die Gemeinschaft hier“, erzählt Credibil. „Wenn ich ein Feedback brauche, habe ich immer jemanden, zum dem ich gehen kann.“

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