Selbstgenäht, nachhaltig und sommerlich bunt: Die Mode von Maurice Martinez war ein Hingucker auf der Frankfurter Fashion Week. In seinem Atelier haben wir ihm bei den Vorbereitungen zur Runway Show über die Schulter geschaut.

Der Modedesigner Maurice Martinez trägt ein gelbes Maßband wie einen Schal um den Hals, als wir ihn in seinem Atelier treffen, das sich in einer Rödelheimer Fabriketage befindet. Leicht, luftig, festlich und bunt sind die Kleider, die er hier für sein Label MauMar entwirft. Mar ist nicht nur die erste Silbe seines Nachnamens, sondern auch das spanische Wort für Meer. „Man soll bei meiner Mode an einen Tag am Strand denken“, sagt Martinez. Nichts leichter als das, an diesem heißen Sommertag. Ein Ventilator und eine Klimaanlage sorgen für Abkühlung. Getränke aus dem Kühlschrank tun ihr Übriges.

Auf einem Kleiderständer hängt eine weiße Bluse mit perlenbesetztem Kragen und mit Blättern aus Stoff am Ärmel, die ein bisschen an das Federkleid eines Schwanes erinnern. Eine Schneiderpuppe trägt ein Kleid, dessen türkisfarbene Seide uns an den Schweif von Arielle der Meerjungfrau denken lässt. Zu einem anderen Kleid erzählt Martinez die Entstehungsgeschichte: „Vergangenen September bin ich mit meiner Mutter an einem Strand in der Dominikanischen Republik spazieren gegangen – in der Nähe von La Romana, wo ich aufgewachsen bin. Viele Häuser dort haben Gardinen aus lose herabhängenden Stofffäden vor den Türen. An dem Tag hat es geregnet, während die Sonne im Meer versunken ist.“ Der poetische Moment inspirierte Martinez zu einem luftigen Kleid aus Stofffäden – orangefarben wie die Sonne –, auf denen helle Perlen wie Regentropfen sitzen.

(c) Neven Allgeier

„Geordnetes Chaos“ – so beschreibt Martinez den Ausnahmezustand, in dem sich sein Atelier heute befindet. Auf einer Kleiderkiste liegt ein Stapel in Folie eingeschweißter Sedcards im Din-A4-Format, die der Kartei der Agentur East West Models entstammen. Morgen ist mit den 16 Models die finale Anprobe für eine Modenschau geplant, die zwei Tage später während der Frankfurter Fashion Week im Karmeliterkloster stattfinden soll. In 15 Minuten werden dann 42 Outfits präsentiert. Zum Auftakt wird die Tänzerin Viktoria Nowak aus einem verdreckten Fangnetz steigen. „Es soll aussehen, als sei sie gerade aus dem Meer gefischt worden“, erklärt Martinez. Die Schaueinlage will er als deutliche Kritik an der Ausbeutung der Natur verstanden wissen.

Kritik an der Ausbeutung der Natur

Nachhaltigkeit ist ihm enorm wichtig. „Rund achtzig Prozent der Stoffe, mit denen ich arbeite, sind Restposten, die von anderen Firmen ausgemustert wurden“, sagt Martinez. „Ich möchte so weit wie möglich mit vorgefundenem Material arbeiten und nichts Neues produzieren lassen. Ich sehe mich als kleinen Fisch, der zusammen mit Walen schwimmt und sich das nimmt, was die Großen ihm übriglassen. Die Qualität muss dabei natürlich trotzdem stimmen – gerade beim Innenfutter und bei anderen Stellen, die direkt mit der Haut in Berührung kommen. Da dürfen selbstverständlich keine giftigen Chemikalien drin sein.“ Er deutet auf eine Kostümjacke mit Pepitamuster. „Dieser Stoff zum Beispiel stammt aus einem Inneneinrichtungsladen und war ursprünglich für Sofakissen bestimmt.“

Ich sehe mich als klei­nen Fisch, der zusam­men mit Walen schwimmt und sich das nimmt, was die Großen ihm übrig­las­sen.

Maurice Martinez
(c) Neven Allgeier

Bei seiner allerersten Kollektion, 2015, hatte er noch die Idee, große Auflagen in Osteuropa produzieren zu lassen – konnte das dann aber nicht mit seinen Erfahrungen vereinbaren, die er in der Dominikanischen Republik gemacht hatte. „Ähnlich wie in Bangladesch oder Rumänien, gibt es auch dort viele Nähfabriken mit unmenschlichen Arbeitsbedingungen. Ich habe Menschen gekannt, die dort gearbeitet haben und wollte kein Teil von diesem System sein.“

Auf einem breiten Arbeitstisch vor dem großen Fenster liegt ein Ringblock, den Martinez als Sketchbook verwendet. „Ideen kommen mir überall: In der S-Bahn, im Bett oder in der Mittagspause. Allerdings sind meine Zeichnungen eher klein und nicht besonders ausführlich. Das müssen sie auch nicht sein, weil sie in erster Linie nur für mich selbst gedacht sind.“ Martinez lässt seine Mode schließlich nicht auswärts in Fabriken nähen, sondern fertigt sämtliche Teile hier von Hand im Atelier – unterstützt von Freundinnen und Freunden. Von den Kleidern gibt es immer nur einen einzigen Prototypen. Erst wenn eine Kundin bestellt, wird ein individuelles Exemplar für sie maßgeschneidert. Haute Couture statt Fast Fashion sozusagen. Eine Kollektion pro Jahr soll es geben, ergänzt um weitere Einzelstücke – Blusen, Hemden, Blazer oder Röcke. Seit kurzem hat MauMar auch einige Teile für Männer im Sortiment.

Ideen kommen mir überall: In der S-Bahn, im Bett oder in der Mittagspause

Maurice Martinez
(c) Neven Allgeier

Martinez hat sich schon als Kind für Mode interessiert und gerne Kleider gezeichnet. „Ich kann mich erinnern, dass das nicht immer einfach war. Mein ältester Bruder zum Beispiel hatte ein Problem damit, weil er es als unmännlich empfand. Damals hat er meine Zeichnungen zerrissen. Heute bedauert er das und freut sich, dass ich trotzdem meinen Weg gegangen bin. Ich habe erst vor kurzem mit ihm darüber geredet.“

In der Nähe seines damaligen Heimatortes La Romana gab es zwar eine Modeschule, die vorwiegend von Student*innen aus den USA besucht wurde. „Das Schulgeld konnte ich mir aber nicht leisten. Meinen Traum, Modedesign zu studieren, hatte ich deshalb schon abgeschrieben.“ Bei einem Auftritt mit einer Theatergruppe, der er sich als Jugendlicher angeschlossen hatte, lernte er Freunde kennen, die ihn nach Frankfurt einluden. Er blieb dauerhaft in Deutschland und machte sein Fachabitur an der Frankfurter Schule für Mode und Bekleidung

(c) Neven Allgeier

In Frankfurt, da bin ich zuhause

Maurice Martinez
(c) Neven Allgeier

Drei Jahre später ging er nach Berlin, um dort an der an der privaten Hochschule BEST-Sabel Modedesign zu studieren. „Ich habe lange gezögert, diesen Schritt zu gehen. Ich hatte Angst vor Veränderung – vielleicht, weil ich mit meinem Umzug nach Deutschland bereits ein großes Wagnis eingegangen bin. Ich habe mich gefragt: Was kann ich denn noch alles wagen?“, berichtet Martinez freimütig von seinen anfänglichen Zweifeln.

„Berlin ist Diversität hoch zehn und gilt zu Recht als deutsche Modehauptstadt“, findet er. „Ich habe mich dort aber immer nur als Besucher gefühlt. In Frankfurt hingegen, da bin ich zuhause.“ Nach dem Abschluss brauchte Martinez noch einige Zeit, um sich mit eigenem Label selbstständig zu machen: Die nötige Entschlossenheit aufzubringen, das war für mich die größte Hürde. Man muss wirklich 100 Prozent dahinter stehen, sonst kann es nicht funktionieren.“

MauMar

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