Noa Lovis Peifer und Lina Lätitia Blatt nähen Vulva- und Klitoris-Modelle aus glitzernden Stoffen, geben ihr Wissen in Workshops weiter und bewegen sich dabei an der Schnittstelle von Kunst, sexueller Bildung und politischem Aktivismus.

Ein Schubladenschrank voll mit glitzernden Stoffen. Darüber hängt eine Pinnwand, die mit Auftragszetteln gespickt ist. In einem grünen Ordner sind Schnittmuster von Produkten mit Namen wie „Doris“, „Viola“, „Gisela“ und „Moni“ versammelt. Auf einem Regal, das mit einer Weinkiste zu einer Art Stehpult aufgestockt wurde, steht eine Nähmaschine, die früher der Mutter von Noa Lovis Peifer gehörte.

In Peifers Zimmer in einer Bockenheimer Wohngemeinschaft werfen wir allerdings nur einen kurzen Blick. Zehn Fahrradminuten entfernt, gleich hinter dem Markuskrankenhaus, befindet sich ein Schrebergarten, der ebenfalls zur WG gehört. Hier sitzen wir unter einem großen, roten Schirm, der uns den strömenden Regen erträglich macht. Ein frisch aufgebrühter Tee aus selbstangebautem Johanniskraut, Rosmarin, Thymian und Zitronenmelisse tut sein Übriges. Hinter uns ragt der Frankfurter Fernsehturm auf.

An der Schnitt­stelle von Kunst, sexu­el­ler Bildung und poli­ti­schem Akti­vis­mus

„Noa hat gestern noch eine Nachtschicht eingelegt, damit wir ausreichend Anschauungsmaterial haben“, erzählt Lina Lätitia Blatt. „Teile unseres Sortiments waren ausverkauft“. Die beiden studierten Kunstpädagog*innen haben vor zwei Jahren ihr Projekt „Glitterclit“ gegründet, das sich an der Schnittstelle von Kunst, sexueller Bildung und politischem Aktivismus verortet. Peifer kümmert sich um das Handwerkliche und den Vertrieb. Er fertigt Vulva und Klitoris-Modelle aus glitzernden Stoffen, die auf den ersten Blick an knuffige Stofftiere erinnern und das Markenzeichen von „Glitterclit“ sind. Eine Auswahl liegt vor uns auf dem Gartentisch. Blatt ist im „Team Intim“, so nennen sich die beiden halb im Scherz, für Social Media und Marketing zuständig. Die anfallende Konzeptarbeit wird gemeinsam erledigt.

Foto: Neven Allgeier

Früher arbeiteten Blatt und Peifer ehrenamtlich in der sexuellen Bildung an Schulen mit Kindern und Jugendlichen. Der Anfang von „Glitterclit“ war gleichzeitig das Ende einer Suche: „Es gab zwar ein Penismodell, an dem wir das Überstreifen eines Kondoms demonstrieren konnten, aber ein entsprechendes Modell für Vulva und Klitoris konnte ich nirgends auftreiben“, erinnert sich Peifer. „Also habe ich mich an die Nähmaschine gesetzt.“ Die handwerkliche Komponente verstehen die beiden durchaus als feministische Praxis. „Viele Künstler*innen nutzen ganz bewusst Techniken, die eher im Haushalt zu verorten sind, um damit politische Kunst zu machen“, sagt Blatt. „Das finde ich spannend.“

Die farbigen Stoffe eignen sich prima dazu, anatomische Merkmale hervorzuheben, ohne dabei allzu lebensecht zu wirken. Sie sorgen für eine Abstraktion, einen willkommenen Verfremdungseffekt. „Je realistischer ein Modell ist, desto überrumpelnder kann das sein“, sagt Blatt. Obwohl ihre Produkte wissenschaftlich korrekt sind, wollen Peifer und Blatt nicht den Eindruck einer Norm erwecken. Was ihre Modelle mit echten Geschlechtsorganen gemeinsam haben: Jedes ist ein Einzelstück, eine perfekte Idealform gibt es nicht.

Je realis­ti­scher ein Modell ist, desto über­rum­peln­der kann das sein.

Lina Lätitia Blatt
Foto: Neven Allgeier

Ihre ersten Kreationen präsentierten die Künstler*innen in Ausstellungen, aber auch auf Straßenfesten und Weihnachtsmärkten. Hin und wieder nahmen sie auch ein paar Exemplare mit zu politischen Demonstrationen. Überall wo „Doris“, „Viola“ und Co. auftauchten, war die Neugierde groß. „Wir haben die Menschen eingeladen, mit uns ins Gespräch zu kommen“, sagt Blatt. „Irgendwann war es uns aber nicht mehr genug, immer nur zwischen Tür und Angel zu reden. Wir wollten unseren Themen einen festen Rahmen geben.“ Seit einiger Zeit veranstalten sie sogenannte „Clit-Visibility“-Workshops, die während des Lockdowns auch online stattfinden.

Die mangelnde Sicht­bar­keit hat keines­wegs nur anato­mi­sche Gründe

„Als erstes bitten wir die Teilnehmer*innen, einen Penis und eine Vulva zu zeichnen“, sagt Peifer. „Einen Penis kriegt eigentlich jede*r hin. Bei Vulva und Klitoris fallen die Ergebnisse hingegen sehr unterschiedlich aus.“ Warum ist das so? Die mangelnde Sichtbarkeit habe keineswegs nur anatomische Gründe, sondern auch viel mit patriarchalischen Strukturen zu tun. „Dem Penis wird eine aktive Rolle zugeschrieben, während die Vulva als passiv gilt“, sagt Blatt. „Dabei hat gerade die Klitoris eine starke, ikonische Form, die leider viel zu wenig bekannt ist.“

Foto: Neven Allgeier

Wichtig ist den beiden, dass ihr Projekt nicht als „Frauenthema“ einsortiert wird. „In vielen Aufklärungsbüchern ist von den ‚weiblichen Geschlechtsorganen’ die Rede, wenn Vulva und Klitoris beschrieben werden“, erklärt Peifer. „Das schließt aber viele Menschen aus – zum Beispiel trans Männer und nicht-binäre Personen, die ebenfalls eine Vulva haben, aber keine Frauen sind.“ Die beiden Künstler*innen arbeiten gerade an einem Bilderbuch, das sich an Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren richtet. Vor uns auf dem Gartentisch ist Literatur ausgebreitet, mit der sie sich aktuell beschäftigen. Ein Buch mit dem Titel „Exit Gender“ liegt ganz oben auf dem Stapel. Die Graphik-Novel „Der Ursprung der Welt“ von Liv Strömquist – eine Kulturgeschichte der Vulva – ist auch vertreten. Wir blättern durch die Seiten. Peifer brüht noch eine Kanne Tee auf. Der Regen macht leider keine Pause.

Das schließt aber viele Menschen aus – zum Beispiel trans Männer und nicht-binäre Perso­nen, die eben­falls eine Vulva haben, aber keine Frauen sind.

Noa Novis Pfeifer

Ein besonderes Verhältnis haben Peifer und Blatt zur Kulturwissenschaftlerin Oliwia Hälterlein, die 2020 mit ihrem Essay „Das Jungfernhäutchen gibt es nicht“ für Aufsehen sorgte. In Kooperation mit ihr schufen sie ein Vulva-Modell, das gut sichtbar jenen anatomisch korrekten Schleimhautkranz zeigt, der – anders als der Mythos vom Jungfernhäutchen nahelegt – in den seltensten Fällen die Vagina komplett verschließt.

Sie wollen keine Begriffe verwenden, die unwissenschaftlich sind

In vielen Materialien zur sexuellen Bildung – etwa einer Broschüre der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die vor kurzem erschienen ist – kommen Wörter wie „Schamlippen“ oder „Jungfernhäutchen“ vor. Blatt und Peifer wollen es besser machen und keine Begriffe verwenden, die aus ihrer Sicht problematisch oder unwissenschaftlich sind. „Es geht uns nicht um Sprachverbote“, sagt Blatt. „Es liegt uns fern, Menschen als böse abzustempeln, nur weil sie bestimmte Worte benutzen. Wir wollen mit unserer Arbeit strukturelle Kritik betreiben und einen Gegenvorschlag anbieten.“

Foto: Neven Allgeier

glitterclit

Modelle der intimen Anatomie. Für die sexuelle Bildung, die Förderung der Sichtbarkeit oder einfach zum Schmusen.

Alle Infos zum Projekt