Die Nähmaschinen im Atelier von Valerie Sietzy stehen auch in Zeiten von Corona nicht still. Neben den Ledertaschen für ihr Label „Early“ fertigt die Frankfurter Designerin aktuell Atemschutzmasken.

Ein Hinterhofatelier im Frankfurter Nordend. Draußen regnet es Bindfäden, die Sonne versteckt sich. Der Frühling macht heute Pause. Die Designerin Valerie Sietzy, Betreiberin des Modelabels „Early“, stellt eine Kanne mit griechischem Bergtee auf ein Stövchen und schaltet die Heizung ein. Genau das richtige, bei dem Wetter. „Es gibt Tage, da kann es hier im Raum ganz schön kalt werden“, sagt sie. „Manchmal arbeite ich dann mit einer Wärmflasche im Rücken.“ 

Bei unserem Besuch klingt leise Lounge-Musik durch den lichtdurchfluteten Raum. „Ihr hört gerade die Kaffeezeit-Playlist meiner Hochzeit.“ Ihr Atelier ist eine Mischung aus Werkstatt, Showroom – und ein ganz kleines bisschen auch Kinderspielplatz: Auf dem Tisch in der Sitzecke liegen Bilder, die Sietzys dreijährige Tochter gemalt hat. Auch auf dem großen Standspiegel hat sie mit Wachsmalstiften bunte Spuren hinterlassen. 

Sie verwendet ausschließ­lich fair gehan­delte Bio-Baum­wolle

Vor kurzem war Sietzy noch mit dem Update ihres Online-Shops beschäftigt und hat ganz viele Produkte fotografiert. „Dann kam Corona und ich habe erst einmal alles liegenlassen“, erzählt sie. Die vergangenen sechs Wochen brachte sie damit zu, Masken zu nähen. „Das hat mir ein Gefühl von Sinn gegeben. Die Nachfrage war groß, auch weil es in der Anfangszeit kaum lokale Produktion gab.“ Die ersten Modelle bestanden aus Vintage-Stoffen, die sich im Atelier angesammelt hatten. Jedes einzelne Exemplar nähte sie selbst. Mittlerweile verwendet Sietzy ausschließlich fair gehandelte Bio-Baumwolle und arbeitet mit der Frankfurter Schneiderei „Stich by Stich“ zusammen. 

Foto: Neven Allgeier

„Masken sind das Mode-Accessoire der Stunde“, sagt Sietzy – stellt aber klar: „Mit meiner eigentlichen Arbeit haben sie nichts zu tun. Sie sind kein ‚Early‘-Produkt. Das Nähen von Masken verstehe ich als eine Dienstleistung, die momentan einfach wichtig ist.“ Seit 2012 entwirft sie unter eigenem Label Accessoires aus Leder in puristischer Formensprache in unterschiedlichen Farben und Prägemustern.

„Alles was klein und flach ist“ stellt sie vor Ort selber her

An hölzernen Stechpaddeln, die wie Kleiderstangen waagrecht von der hohen Atelierdecke hängen, reihen sich Sietzys Designerstücke aneinander: Gürteltaschen, Rucksäcke und Lederbeutel zum Beispiel. Accessoires wie Brustbeutel oder Kreditkartenetuis („alles was klein und flach ist“) stellt sie vor Ort selber her. Alle anderen Artikel lässt sie in traditionellen Handwerksbetrieben im Rhein-Main-Gebiet fertigen. Dabei arbeitet sie ausschließlich mit pflanzlich gegerbtem Leder aus deutscher Produktion – größtenteils kommt bei der Gerbung Olivenblattextrakt zum Einsatz. Sietzy legt viel Wert auf Nachhaltigkeit. 

Foto: Neven Allgeier

Genäht hat sie schon immer gerne. „Ich habe es in der fünften Klasse an der Schule gelernt und seitdem im Grunde nicht mehr damit aufgehört.“ Später studierte Sietzy an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung, wo sie sich auch viel mit anderen Dingen beschäftigte – Kunst im öffentlichen Raum zum Beispiel: „In einer dunklen Ecke unter der Kaiserleibrücke kann man noch heute eine Arbeit von mir sehen, die nun aber so langsam zu bröckeln beginnt“, erzählt sie. „Ein Regenbogen aus Fahrradreflektoren.“

In ihrer Freizeit nähte sie „Pouches“ (also kleine Beutelchen) aus alten Lederjacken vom Flohmarkt. Die besonderen Fähigkeiten, die im Umgang mit Leder nötig sind, eignete sie sich in einer Manufaktur in Heusenstamm an – der Stadt, in der sie aufgewachsen ist. „Wenn ich mich bei Stoff einmal vernähen sollte, kann ich die Naht einfach wieder auftrennen und niemand merkt etwas. Leder verzeiht solche Fehler nicht. Da sieht man hinterher jedes Loch.“ Auf dem Dachboden der Heusenstammer Firma entdeckte sie einen großen Vorrat an Lederresten sowie alte Schnittmuster von Gürteltaschen, die Sietzy zu ihren „Hip-Bags“ inspirierte, die zum Verkaufsschlager wurden. 

Leder verzeiht solche Fehler nicht. Da sieht man hinter­her jedes Loch.

Valerie Sietzy
Foto: Neven Allgeier

Aus Fundstücken etwas Neues zu machen, ist eines ihrer Arbeitsprinzipien: „Ich sehe es generell nicht gerne, wenn Dinge weggeschmissen werden.“, sagt sie. „Das hat etwas mit Wertschätzung zu tun. Außerdem ist es eine prima Herausforderung für einen Designer, sich von vorgefundenem Material inspirieren zu lassen.“

Mit der Künstlerin Anne Imhof hat Valerie Sietzy auch zusammengearbeitet

Nach dem Studium arbeitete Sietzy als Stylistin mit einer Fotografin zusammen und entwickelte Konzepte für Fotoshootings. Ihr Modelabel „Early“, das sie in der Zwischenzeit gegründet hatte, betrieb sie zunächst nur nebenbei – bis es irgendwann zum Vollzeitjob wurde. „Mir war aber immer schon klar, dass ich etwas Handwerkliches machen wollte.“ Die Designerin erzählt uns von einem Ausflug in die Kunstwelt, der ihr großen Spaß bereitet hat: Für die Installation „Angst“ der Frankfurter Künstlerin Anne Imhof, die ein Jahr später auf der Biennale in Venedig mit einem anderen Werk den goldenen Löwen gewinnen sollte, nähte Sietzy aus weißem Leder die Hüllen von riesigen Boxsäcken. 2016 war das. „Aus dem Leder, das übrig war, habe ich dann eine Tasche für die Hochzeit einer Freundin genäht.“

Foto: Neven Allgeier

Für die Zukunft ihres Labels hat Sietzy jede Menge Pläne, auch wenn einige davon vom Coronavirus jetzt erst einmal ausgebremst wurden. Eine ihrer Ideen: T-Shirts aus Bio-Baumwolle, bedruckt mit Slogans, die von Jean Liedloffs Buch „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“ beeinflusst sind. In dem Werk geht es um das Leben mit Kindern. „Liedloff ist eine bekannte und beliebte Autorin. Aber ich finde, sie sollte noch viel bekannter und beliebter werden.“

Eigentlich wollte Sietzy heute noch einen Schwung Masken zum nächsten Briefkasten bringen, der täglich um 18 Uhr gelehrt wird. Meist benutzt sie dafür das schwarze Klapprad, das im Atelier an einem tragenden Pfeiler lehnt. Allerdings haben wir uns ein bisschen verquatscht und es ist nun schon später als gedacht. Doch dafür hat es inzwischen aufgehört zu regnen. 

Foto: Neven Allgeier

Mehr aus der Reihe

Frank­furts krea­tive Szene

069