Das Frankfurter „Contrast Trio“ mischt Jazz, Elektro und Pop. Bandmitglieder Tim und Yuriy über sphärische Klangteppiche, Bauklotz-Musik und ukrainische Folklore.

Immer dann, wenn Tim Roth und Yuriy Sych der Weg in ihren Offenbacher Proberaum zu weit ist, verlegen die beiden Gründer und musikalischen Köpfe des „Contrast Trios“ ihre Bandprobe in Tims Altbauwohnung im Frankfurter Bahnhofsviertel. Jan Phillip, der dritte im Bunde – vergangenes Jahr hat er Martin Standke an den Drums ersetzt – lebt in Köln und kann heute nicht mit dabei sein. Im Musikzimmer stehen Instrumente wie Schlagzeug, Klavier und Kontrabass neben langen Arbeitstischen, auf denen sich allerhand technisches Equipment türmt – darunter ein Laptop, ein modularer Synthesizer und ein Sequenzer. 

Weil Tims kleine Tochter Polly gerade im Nebenraum ihren Mittagsschlaf hält, haben auch Tim und Yuriy eine Pause eingelegt. Die beiden erzählen von ihren Projekten. Von zukünftigen, aber auch von gerade erst beendeten. Zwei Tage vor unserem Treffen feierten sie im Kunstverein „Familie Montez“ die digitale Veröffentlichung eines Soundtracks, den sie für ein Kunstprojekt der Fotografin Natalie Färber komponierten: eine Installation mit langzeitbelichteten Fotos, die namhafte Jazzmusiker in Bewegung zeigen.

Die Band gehört zu den renommiertesten Jazz-Combos der Region

Das Werk war Teil der Luminale 2018. Aktuell stellen Tim und Yuriy zusammen mit der Schauspielerin Katharina Bach einen Abend mit Songs von Nick Cave auf die Beine. Premiere soll im September am Schauspiel Frankfurt sein, für das die beiden schon öfter als Theatermusiker gearbeitet haben. Am 17. März steht aber erst einmal der nächste Auftritt des „Contrast Trios“ an. Dann spielen sie im Kulturzentrum „Alte Mühle“ in Bad Vilbel. Die Band gehört zu den renommiertesten Jazz-Combos der Region. 2016 wurde ihr der Hessische Jazzpreis verliehen. „Das hat uns ziemlich überrascht, weil damit sonst meist deutlich ältere Musiker für ihr Lebenswerk ausgezeichnet werden“, sagt Tim. 

Foto: Neven Allgeier
Foto: Neven Allgeier

Neben Einflüssen aus Genres wie Techno, Pop, Elektro und House finden regelmäßig auch folkloristische Klänge aus Yuriys Herkunftsland Eingang in die Musik des Trios. In fast allen ihren Stücken kommen Soundschnipsel zum Einsatz, denen Alltagsgeräusche zugrunde liegen, die anschließend am Computer zu sphärischen Klangteppichen oder perkussiven Elementen weiterverarbeitet werden. „Neulich habe ich beim Spielen mit meiner Tochter das Geräusch von Bauklötzchen aufgenommen und gesamplet“, erzählt Tim, der Bassist und Elektroniker des Trios.

Neulich habe ich beim Spie­len mit meiner Toch­ter das Geräusch von Bauklötz­chen aufge­nom­men und gesam­plet.

Tim Roth

Unten vor der Tür parkt der bandeigene Van, mit dem die drei Musiker zu ihren Auftritten reisen. „Wenn man einsteigt, sieht man die anderen kaum, weil man komplett eingebaut ist von lauter Instrumenten“, erzählt Tim. 2017 begaben sie sich auf einen Roadtrip nach Kiew, um dort ihr drittes Album „Letila Zozulya“ (zu Deutsch: fliegender Kuckuck) aufzunehmen. Das wunderbar melancholische Titelstück geht auf ein altes ukrainisches Volkslied zurück. Im Studio wurde es von einem ortsansässigen Chor eingesungen. „Wie so oft in der ukrainischen Musik, erzählt es eine traurige Geschichte. Es geht es um ein Mädchen, das einen Jungen liebt. Sie verlieren sich aus den Augen und finden erst spät wieder zueinander“, erzählt Yuriy.

Es begann mit einem sowjetischen Buch über Jazzharmonien

Ähnlich wie Tim entdeckte auch er die Welt des Jazz über die Plattensammlung seines Vaters, der auf einem Stück von „Letila Zozulya“ übrigens als Gastmusiker Akkordeon spielt. „Mein Vater hörte viel amerikanische Jazz-Musik, die auf dem staatlichen Sowjet-Label ‚Melodija‘ veröffentlicht wurde“, erinnert sich Yuriy. 

Foto: Neven Allgeier

„In meiner Jugend mochte ich zum Beispiel Musik von Bill Evans, hatte aber keine Ahnung, wie ich sie auf dem Klavier nachspielen sollte. Damals gab es ja noch kein Youtube ­– und ich besaß nur ein sowjetisches Buch über Jazzharmonien.“Anfang der Nullerjahre zog Yuriy nach Frankfurt, um an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst klassisches Klavier zu studieren. Im Umfeld der Schule fanden auch die ersten Auftritte des „Contrast Quartetts“ statt – dem damals noch eher an klassischem Jazz orientieren Vorläufer des Trios, zu dem ursprünglich auch ein Trompetenspieler gehörte. Mit den 5000 Euro eines Arbeitsstipendiums der Stadt Frankfurt, das sie gewonnen hatten, nahmen sie in dieser Besetzung 2009 ihr erstes Album auf.

Später zogen Tim und Yuriy fort, um Jazz zu studieren. Yuriy ging nach Mannheim („an der Hochschule dort wurde sehr viel Wert auf handwerkliche Aspekte gelegt“), Tim nach Amsterdam. Viele Musiker, die jung sind und sich für Jazz interessieren, verlassen Frankfurt, erzählen die beiden. Es gebe eine regelrechte Abwanderung von Talenten. „Man könnte das auf einen Schlag ändern, wenn man hier einen Hochschulstudiengang ‚Jazz‘ etablieren würde“, sagt Tim.

Damals gab es ja noch kein Youtube ­– und ich besaß nur ein sowje­ti­sches Buch über Jazz­har­mo­nien.

Yuriy Sych
Foto: Neven Allgeier

Inzwischen ist Polly aus ihrem Mittagsschlaf erwacht und spielt mit dem Dackel unseres Fotografen Neven. Tim führt uns in weitere Zimmer der Wohnung, in der er zusammen mit seiner Freundin, der freien Kostümbildnerin Raphaela Rose, lebt. Auch hier finden sich Dokumente aus der Bandgeschichte: An einer Wand hängt ein Poster der Frankfurter Konzertreihe „Jazz im Palmengarten“, bei der das Trio schon aufgetreten ist. Ein gerahmtes Foto zeigt die Musiker im Aufnahmestudio in Kiew – einer riesigen Halle, in der zu Sowjet-Zeiten Stummfilme vertont wurden. Dann verabschieden wir uns nach draußen, wo ein paar Straßen weiter stadteinwärts - wir haben Fasching und in Frankfurt findet heute der große Umzug statt – ganz andere Musik erklingt.

Foto: Neven Allgeier

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