Früher hat sie in einer Punkband gespielt und über Insekten geforscht. Heute ist Anna Hjalmarsson DJ und Klangkünstlerin. Regelmäßig steht sie im Offenbacher Club Robert Johnson hinter den Decks.
Das Musikzimmer einer Wohnung im Frankfurter Gutleutviertel. In weißen Regalen reihen sich Schallplatten aneinander, die nach Genres wie Techno, House und Ambient sortiert sind. Der Rechner auf dem Schreibtisch ist von allerlei Equipment umringt: Synthesizer, Drumcomputer und Controller. „Hier arbeite ich und habe immer ein bisschen Angst, dass ich für die Nachbarn zu laut bin“, sagt Anna Hjalmarsson. Der Raum wirkt hell, minimalistisch eingerichtet und aufgeräumt. Eigenschaften, die man gemeinhin mit skandinavischem Chic in Verbindung bringt. Wir sitzen an einem runden Tisch und trinken Kaffee aus bunten, mit Blumen- und Obstmotiven verzierten Tassen.
Geräusche wie Skulpturen im Raum
Hjalmarsson ist DJ und Klangkünstlerin. Regelmäßig steht sie im Offenbacher Club Robert Johnson hinter den Decks, zum Beispiel bei der Partyreihe „Electric Friday“. Außerdem ist sie seit kurzem Teil von SEELEN. Records und wird demnächst in den Leipziger Clubs IFZ und Distillery bei deren Labelnächten auflegen. Ihr musikalisches Spektrum reicht von ruhigen bis energetischen Spielarten des Techno. Ihren Stil beschreibt sie als „groovy, dubby und hypnotisch“. Auch beim Frankfurter Webradiosender EOS gehören DJ-Sets und Mixes aus ihrer Hand zum Programm. „Bei meiner Musik geht es immer darum, ein Gemeinschaftserlebnis zu schaffen“, sagt Hjalmarsson. Ort des Geschehens muss dabei nicht unbedingt ein Club sein. Vergangenes Jahr komponierte sie Musik für eine Soundinstallation, die in einem Garten aufgeführt wurde. Aktuell arbeitet Hjalmarsson zusammen mit dem Künstler Jonathan Penca an einer Installation, die kommenden Sommer im Rahmen eines Projekts mit dem Titel „Ruine München Companions“ in der bayrischen Landeshauptstadt gezeigt werden soll. „Ich möchte Geräusche wie Skulpturen in Räume legen“, erklärt sie.
„Der Computer ist das Kernstück meiner Arbeit“, sagt Hjalmarsson. Auf der orangefarbenen Festplatte ist der Großteil ihrer Musiksammlung gespeichert, die sie mit dem DJ-Programm Rekordbox verwaltet. Zu der Software, die sie regelmäßig zum Komponieren benutzt, gehören die Programme Ableton Live und VCV Rack, mit dem man modulare Synthesizer digital nachbauen kann. Trotz ihrer eindrucksvollen Plattensammlung ist Hjalmarsson keine Vinyl-Puristin. „Es geht mir nicht um das Medium“, sagt sie. „Die Haptik einer Schallplatte ist für mich nicht so wichtig. Bei Musik kommt es darauf an, dass man sie hört und nicht, dass man sie in die Hand nehmen kann.“ Zum DJ-Setup, das in ihrem Arbeitszimmer auf dem Plattenregal steht, gehören neben zwei analogen Plattenspielern auch digitale Turntables.
Hjalmarsson greift zu einer Platte, die sie 2017 unter dem Namen Annawooh aufgenommen und auf dem Label Stoscha veröffentlicht hat, das sie im selben Jahr mit Kristina Sundin gegründet hatte. „Das war mein erster Schritt in Richtung Selbständigkeit als Musikerin“, erinnert sie sich. Das Projekt vereinte experimentelle elektronische Klänge mit Gesang, Performance-Elementen und einer starken Geschichte. „Inhaltlich ging es um die Entfremdung des Menschen von der Natur – und die Sehnsucht, aus dieser Entfremdung auszubrechen und von der Natur wieder aufgefangen zu werden.“ Das Artwork des Albums schuf der zuvor erwähnte Münchner Künstler Jonathan Penca. Von ihm stammt auch eine gerahmte Tuschezeichnung, die im Arbeitszimmer an der Wand hängt. Sie zeigt eine Frau, die ein bisschen aussieht wie Anna Hjalmarsson. Ein bisschen aber auch wie ein mystisches Wesen.
Familiäre und musikalische Wurzeln
Hjalmarsson wuchs in Stockholm in einem musikalischen Elternhaus auf. „Bei uns in der Familie wurde viel Klassik, Jazz und Blues gehört.“ Als Kind nahm sie Klavierstunden. Ihre Begeisterung für elektronische Musik begann, als sie Bands wie Kraftwerk und Depeche Mode für sich entdeckte. Mit 20 zog sie nach Berlin. „Ich glaube, ich hatte kurz zuvor Bilder von der Love Parade im Fernsehen gesehen, das hat mich inspiriert. Ich bin aber nicht wegen der Musik nach Berlin gekommen, sondern weil es eine kreative, offene Stadt ist.“ In Berlin spielte sie Keyboard in der Punkband Herpes, von der zwei Alben auf dem renommierten Hamburger Indie-Label Tapete Records erschienen sind. Der elektronischen Musik widmete sich Hjalmarsson erst später, da wohnte sie bereits im Rhein-Main-Gebiet.
Nach Frankfurt hat es sie damals aus beruflichen Gründen verschlagen. Sie arbeitete als Biologin am Senckenbergmuseum und schrieb an der Goethe-Uni ihre Doktorarbeit über die Evolution von Insekten. Köcherfliegen waren ihr Forschungsschwerpunkt. „Seit 2018 arbeite ich nicht mehr in der Wissenschaft“, sagt Hjalmarsson. „Kunst ist extrem viel freier als Wissenschaft, da gibt es keine Regeln. Das gefällt mir.“ Die Stadt, in der sie aufwuchs, besucht Hjalmarsson, so oft sie kann. „Drei, vier Mal pro Jahr reise ich nach Stockholm, seitdem ich hier in Frankfurt lebe. Dort habe ich viele tolle Freunde. Ich möchte gerne noch öfter dort sein.“
Vor dem Fenster steht ein E-Piano, das sie sich ausgeliehen hat. Auf einem ganz ähnlichen Instrument machte Hjalmarsson einst ihre ersten musikalischen Gehversuche. Inzwischen hat sich die experimentierfreudige Künstlerin mit großer Lust in den unterschiedlichsten Genres ausprobiert. „Ich bin immer noch am Lernen und Herausfinden, was ich wirklich will“, sagt sie entwaffnend ehrlich. „Manchmal denke ich: Ich habe noch nichts herausgebracht, von dem ich sagen kann: Das ist genau das, was ich machen will. Aber das kommt sicher noch.
Kunst ist extrem viel freier als Wissenschaft, da gibt es keine Regeln. Das gefällt mir.
Mehr über Anna Hjalmarsson