In einer Apotheke im Westend eröffnet für zwei Wochen die Ausstellung After facts –Pudding Explosion rearticulated: Ein Headshop im digitalen Zeitalter, zwischen Kunst und Konsum.

Ein Vogel, der nur ein Mal in seinem Leben den Boden berührt, und zwar wenn er stirbt. Im 16. Jahrhundert glaubte man in Europa der paradisaea apoda, der Große Paradiesvogel, würde sein gesamtes Leben in der Luft verbringen. Grund für die Annahme war ein ausgestopftes Exemplar dieser Vogelart, das keine Beine hatte. Sie gingen dem Vogel auf der langen und beschwerlichen Reise mit dem Forschungsschiff irgendwie abhanden.

Für Zac Langdon-Pole verdeutlicht diese Geschichte, dass Informationen nicht nur zu materiellen Produkten werden, sondern dass dieser Weg auch andersherum funktioniert. Auch Objekte erzeugen Informationen, die sich dann als Fakten in Wissenschaft und kulturellem Gedächtnis einschreiben. So fand der Vogel ohne Beine mit der besonderen Lebensweise auch Einzug in Enzyklopädien. Langdon-Poles Skulptur "Bird of Paradise (Paradisaea Apoda)" wird ab dem 9. Dezember 2017 zusammen  mit anderen Künstlern in der Ausstellung "After facts –Pudding Explosion rearticulated" zu sehen sein.

Bye Bye zur Datensklaverei

Die Ausstellung wird kuratiert von Studierenden des Curatorial Studies Studiengangs der Goethe-Universität und der Städelschule. Sie präsentieren zehn Positionen internationaler Künstler in einer ehemaligen Apotheke im Westend, darunter auch Arbeiten von Thomas Bayrle und Peter Roehr. Die Künstler zeigen ihre Perspektiven auf die heutigen Mechanismen von Informations- und Warentausch. So zeigt zum Beispiel die Künstlerin Jennifer Lyn Morone ein Werbevideo, in dem Parfüm beworben wird, das aus ihren körpereigenen Botenstoffen besteht. Die Künstlerin hat ein gleichnamiges Unternehmen gegründet, in dem sie ihre Informationen gewinnbringend vermarktet. Ihr Geschäftsmodell basiert auf den Werten des Rohstoffs des 21. Jahrhunderts. Auf ihrer Homepage sagt sie „Bye Bye“ zur Datensklaverei.

Zac Langdon-Pole, Bird of Paradise (Paradisaea Apoda), 2015, © / Courtesy Zac Langdon-Pole, Foto: Olga Pedan
Jennifer Lyn Morone Inc., JLM™ Inc Lure/Repel, 2016, © / Courtesy Jennifer Lyn Morone

Mehrere Arbeiten sind für die Ausstellung neu entstanden und auch ortsspezifisch. Auch eine Performance ausgehend von den Räumlichkeiten wird es geben, die Luzie Meyer zur Vernissage und Finissage präsentieren wird. Auch der Künstler Alex Turgeon hat sich in seiner Arbeit auf den Ort bezogen. Er interessiert sich für poetische und materielle Übertragungen von (pop)kulturellen Zeichen. In seiner Arbeit integriert er ein Apothekenschild, als Verweis auf die ehemalige Funktion des Ortes.

Der Verfassungsschutz wird aufmerksam

Der Titel der Ausstellung greift hingegen einen ganz anderen Ort auf. Und zwar bezieht er sich auf den Headshop Pudding Explosion, den der Konzeptkünstler Peter Roehr gemeinsam mit seinem späteren Galeristen Paul Maenz 1968 in der Innenstadt Frankfurts, im Holzgraben 9, eröffnete. Dort verkauften sie Pop-Devotionalien wie Poster, Buttons und Musik, internationale Zeitungen, maoistische Manifeste oder selbst produziertes Anti-Nazi-Spray. Paul Maenz gestaltete die Verpackung mit einem Hakenkreuz, sodass bald sogar der Verfassungsschutz aufmerksam auf sie wurde. Der Shop hatte nur einige Monate geöffnet, denn Roehr starb 1968 mit 23 Jahren an einem Krebsleiden.

Alex Turgeon, Apotheke Mon Chéri, 2016, Apothekenschild, Seil, Glühbirnen, Stein, © / Courtesy Alex Turgeon

Es war auch einer der ersten Headshops in Deutschland und verkaufte unter anderem Haschpfeifen. Von Coca-Cola über die Mao-Bibel bis hin zum Anti-Nazi-Spray. Einerseits konfrontativ, andererseits kommerziell, bewegte sich der Laden im Zwischenraum. Er versorgte die Jugend- und Gegenkultur mit identitätsstiftenden Objekten, Informationen und Überzeugungen. Das kam so gut an, dass der Laden nach wenigen Wochen erst einmal ausverkauft war. Doch eine Ideologie wollten die beiden Macher nicht vertreten. Ihnen ging es eher um die Subkultur.

Digitale Konsum- und Informationskultur

Den Kuratoren von "After facts –Pudding Explosion rearticulated" war es wichtig, auch historisch zu arbeiten und einen Bezug zu Frankfurt herzustellen. So widmeten sie sich einer Aktualisierung dieses alternativen Ladenkonzepts von Roehr und Maenz und bezogen es auf das postfaktische, digitale Zeitalter. In der Apotheke im Westend treffen die Arbeit der Frankfurter Pop-Art der 1960er-Jahre auf Positionen, die die digitale Konsum- und Informationskultur thematisieren. Thomas Bayrle wird die Wände der ehemaligen Apotheke mit einem lachenden Werbe-Icon in serieller Vervielfältigung überziehen und greift damit Massenkonsum, -medien und massenkulturelle Phänomene auf. Von Peter Roehr hingegen werden bewegte Bilder zu sehen sein. Ausschnitthafte Filme, die sich der Bilder aus der Werbung der 1960er bedienen. Er schnitt sie mehrfach hintereinander, sodass sich die Werbeslogans und Aufnahmen wiederholen.

Jasmin Werner, Ik hou van mijn moije sexy kleren, maar dat beteken niet, dat ik gered ben vor sex (I like my pretty sexy clothes, but that doesn't mean I am ready for sex), 2016, © / Courtesy Jasmin Werner

Die ehemalige Apotheke wird sowohl im Erdgeschoss als auch im Keller bespielt. Auch die Laborküche wird noch zu sehen sein, Jasmin Werner bindet sie in eine Arbeit ein. An der Ausstellungskonzeption und Umsetzung waren 13 Leute beteiligt. Zur Ausstellung begleitend wird es auch eine Publikation in Zeitungsform geben, die die Ausstellung nicht illustrieren, sondern ergänzen soll.