Mit dem Art Book Festival HOW(EVER) bietet der Portikus Frankfurt vom 20. – 23. Oktober 2022 eine kostenlose Alternative zur Frankfurter Buchmesse, die kleineren Verlagen und Künstler*innen eine Bühne gibt. Das SCHIRN MAG hat mit den Kuratorinnen und Initiatorinnen des Kunstbuchfestivals, Carina Bukuts und Liberty Adrien, gesprochen.

Die Frankfurter Buchmesse 2022 beginnt am 19. Oktober. Unter den Aussteller*innen tummeln sich wie jedes Jahr auch die großen Kunstbuchverlage, aber es ist und bleibt eine klassische Buchmesse. Die hohen Kosten für die Standmiete und die Hotels in Frankfurt sind insbesondere für kleinere Verlage oft nicht zu stemmen. Umso erfrischender ist es, dass in Frankfurt nun vom 20. – 23. Oktober ein neues und kostenloses Art Book Festival im Portikus Platz findet. Was erwartet die Besucher*innen bei HOW(EVER), der neuen Buchmesse Frankfurts?

Was vielen Besucher*innen auffallen wird, ist das HOW(EVER) keine klassische Messe ist, bei der man sich als Verlag bewirbt und dann ausgewählt wird, sondern eine kuratierte Ausstellung von Kunstbüchern, von denen alle käuflich erworben werden können. Wie du sagst, gibt es viele Barrieren bei klassischen Buchmessen, die Standgebühr und die hohen Unterbringungskosten sind ein Faktor, aber zum Beispiel auch die Möglichkeit, ein Visum zu bekommen. Die Redakteurin Pascale Obolo, die wir auch als Sprecherin im Rahmen unserer Gesprächsreihe HOW(EVER) RADICAL OBJECTS am Samstag, den 22.10.22, nach Frankfurt eingeladen haben, hat vor wenigen Jahren das Buch „Decolonizing Art Book Fairs” herausgegeben, dass das Format der Kunstbuchmesse kritisch befragt und einen großen Einfluss auf uns hatte.

Wir haben für HOW(EVER) über 200 Verlage und Büchermachende aus der ganzen Welt eingeladen, Teil des Projektes zu sein und von jedem Buch wird jeweils nur ein Exemplar verfügbar sein. Die Idee dahinter war, so viele Stimmen wie möglich aus dem Bereich des künstlerischen Publizierens zu integrieren. Sobald ein Buch gekauft wurde, wird es von unserem Team mit dem Zufallsprinzip durch ein anderes ersetzt, sodass es eine konstante Zirkulation geben wird und man jeden Tag neue Entdeckungen machen kann. So entstehen auf ganz natürliche Weise unterschiedliche Verbindungen zwischen den Büchern, die uns sehr gut gefallen.

Foto: Lucas Jacques-Witz

Das Thema der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ist mit „Übersetzen“ den vielfältigen Transfer-, Übersetzungs- und Transformationsprozessen im Umgang mit Sprache gewidmet. Diesjähriger Ehrengast ist Spanien, das unter dem Leitmotiv „Sprühende Kreativität“ seine aktuelle Literatur- und Kreativszene präsentiert. Inwiefern kann HOW(EVER) als eine Anknüpfung oder Abgrenzung von besagten Themen verstanden werden?

Als Künstler*in im Medium des Buches zu operieren ist per se immer ein Akt der Übersetzung. Ob es ein klassischer Ausstellungskatalog, eine Künstler*innenpublikation oder ein Zine ist, es stellt sich immer die Frage, wie sich eine Idee in das Format des Buches transferieren lässt. Da HOW(EVER) jedoch als jährliche Serie angelegt ist, werden wir uns mit diesen Fragen auch in den nächsten Ausgaben beschäftigen und mit dem jeweiligen Gastland auf unterschiedliche Art kollaborieren. Für die diesjährige Edition haben wir das in Barcelona-ansässige Architekturbüro MAIO, das u.a. mit dem Künstler Ignasi Aballí für die Gestaltung des spanischen Pavillons der diesjährigen Venedig Biennale kollaboriert hat, eingeladen, eine Installation für die Buchpräsentation zu entwerfen. Als wir MAIO beauftragt haben, war es uns wichtig, ihnen eine Carte Blanche zu geben und sie anzuregen, das Format der Ausstellungsarchitektur, die üblicherweise für (Kunst)buchmessen entsteht, neu zu denken.

Mit der lumbung Press installierte die documenta fifteen dieses Jahr eine kollektiv betriebene Offsetdruckerei in der documenta Halle, die auch nach Ende der documenta zur kostenfreien Nutzung in Kassel erhalten bleibt. Der Name steht im Bezug zum Leitmotiv der documenta. So verweist „lumbung“ im Indonesischen auf eine kollaborative Praxis zum Wohle der Gemeinschaft. Ziel der lumbung Press war es einen Ort des Informationsaustauschs und der Zusammenarbeit zu schaffen. Menschen erhielten die Möglichkeit, Flyer, Plakate, aber auch Publikationen herzustellen und mit Besuchenden zu teilen. In was für einem Verhältnis steht ihr zu dem Projekt der documenta und wie kam es zu dem Titel HOW(EVER)?

Wir haben oft die Erfahrung gemacht, dass Buchmachende grundsätzlich einen Zugang zur Kunst haben, der deutlich kollaborativer ist als in vielen anderen Bereichen des kulturellen Systems. Dafür ist die lumbung Press bei der documenta  ein gutes Beispiel, aber auch die Community, die sich bei Kunstbuchmessen wie z.B. der New York Art Book Fair trifft, die seit Jahrzehnten von Printed Matter organisiert wird.

Der Name HOW(EVER) geht zurück auf die gleichnamige Zeitschrift, die von der Dichterin Kathleen Fraser in San Francisco gegründet wurde und als radikale Plattform von 1983–1992 die Arbeit von Schriftstellerinnen publizierte und förderte. Die Zeitschrift „HOW(ever)" ist in einem Netzwerk von Frauen entstanden, die sich nicht in den damaligen Diskursen über Lyrik repräsentiert sahen und eine feministische Poetologie entwickeln wollten. Im Gespräch mit den ehemaligen Redakteurinnen haben wir erfahren, dass „HOW(ever)" ein Magazin sein sollte, dass Frauen lesen können, die nicht viel Zeit haben, weil sie berufstätig sind oder sich um den Haushalt und Kinder kümmern müssen. Deswegen haben sie sich inhaltlich auch auf literarische Kurzformen fokussiert. Im heutigen Diskurs hat Care-Arbeit einen neuen Stellenwert erlangt, aber es sind Frauen wie Kathleen Fraser, die vor uns gekommen sind und jahrelang dafür gekämpft haben, dass es ein Bewusstsein dafür gibt. Tatsächlich war es auch die Künstlerin Simone Fattal, die uns auf das Journal aufmerksam gemacht hat. Zur gleichen Zeit hat sie in Kalifornien auch den Verlag Post Apollo Press gegründet, der auf Lyrik, experimentelles Schreiben und Übersetzungen spezialisiert ist und eine Brücke geschlagen hat zwischen Autor*innen und Künstler*innen aus dem Nahen Osten, Europa und den USA.       

Foto: Lucas Jaquest-Witz

Ich möchte gerne etwas über das Verhältnis von Buch und Kunst sprechen. Wie unterscheidet sich das Kuratieren von Büchern zu dem Kuratieren von vermeintlich „klassischeren“ Kunstgattungen? Setzt ihr dabei einen spezifischen bzw. unterschiedlichen Fokus?

Beim Kuratieren der Bücherauswahl war eines der wichtigsten Kriterien, eine Diversität von künstlerischen Zugängen zu zeigen. Wir haben Stunden mit der Recherche verbracht, um Publikationen aus allen Kontinenten zu finden, die wir gerne inkludieren wollten. Gemeinsam mit unserem Assistenzkuratoren Lucas Jacques-Witz haben wir eine Auswahl getroffen, von der wir ausnahmslos jedes Buch gerne selbst hätten oder es seit Jahren einen wichtigen Platz in unseren privaten Bücherregalen hat. Jede Reise, die wir in den letzten Monaten unternommen haben, haben wir auch immer damit verbunden, Bücher abzuholen und einen persönlichen Kontakt zu Büchermacher*innen herzustellen. Wir drei haben alle einen anderen inhaltlichen Schwerpunkt beigetragen, aber etwas, das uns verbindet, ist das Verständnis, dass Bücher ein sehr demokratisches Medium sind. Wir wollten, dass HOW(EVER) das widerspiegelt und haben auch über die Frage der Zugänglichkeit reflektiert. Aus diesem Grund bewegt sich die Preisspanne der Publikationen, die bei uns erworben werden können, von 1 € bis maximal 60 €.

Jede Reise, die wir in den letz­ten Mona­ten unter­nom­men haben, haben wir auch immer damit verbun­den, Bücher abzu­ho­len und einen persön­li­chen Kontakt zu Bücher­ma­cher*innen herzu­stel­len

CARINA BUKUTS UND LIBERTY ADRIEN

Erstmalig öffnet der Portikus seine Türen einem Art Book Festival und somit zeitgenössischen Formen des künstlerischen Publizierens. Wie können wir uns die Ausstellungsarchitektur für die Publikationen vorstellen? Wird der Portikus „neu“ gedacht?

Auch wenn HOW(EVER) das erste Art Book Festival im Portikus ist, hat die Institution eigentlich eine langjährige und unserer Ansicht nach ziemlich einzigartige Beziehung zum künstlerischen Publizieren, die wir hiermit aufgreifen möchten. Die allererste Ausstellung, die der Portikus 1987 eröffnete, war beispielsweise Dieter Roths „Publiziertes und Unpubliziertes” und 1989 hat Lawrence Weiner parallel zur Buchmesse eine Ausstellung von seinen Künstlerbüchern gezeigt, die ins Zentrum rückte, wie Bücher als Objekte künstlerischer Praxis genutzt werden. Grundsätzlich gibt es viele Überlegungen zu der Rolle von Kunst und Büchern, die in den 70er und 80er Jahren aufgekommen sind, die unser Denken in der Konzeptualisierung von HOW(EVER) sehr geprägt haben. Wir glauben zum Beispiel nach wie vor, dass Publizieren oft auch einen Akt des Widerstands darstellt.

MAIO hat sich für die diesjährige Ausgabe von HOW(EVER) eine Architektur einfallen lassen, die sehr konzeptuell ist und zugleich auch als kritischer Kommentar zur Überproduktion in Zeiten der Verknappung von Ressourcen zu lesen ist. Sie hatten die Idee, zwei Ruderboote aus unserem Keller – einem Stauraum, den wir uns mit dem benachbarten Frankfurter Ruderverein von 1865 teilen – als Podeste zu benutzen, auf denen die Bücher präsentiert werden. Oftmals wird gerade in der Konstruktion von Messearchitektur wenig über das Nachleben der Materialien reflektiert, sodass wir uns freuen, dass für diese Readymade Installation keinerlei Emissionen verbraucht worden sind. Gleichzeitig evozieren die Boote natürlich auch Metaphern über die Bedeutung von Büchern als Container von Wissen, durch die wir durch die Zeit treiben, wie der Autor und Filmemacher Alexander Kluge mal so schön in einem Interview formulierte.

Foto: Tomas Maglione
Foto: Tomas Maglione

Gibt es Künstler*innen die für euch das Genre der zeitgenössischen Künstler*innenpublikation signifikant repräsentieren und im Rahmen von HOW(EVER) gezeigt werden?

Bei all den Künstler*innen mit denen wir uns beschäftigt haben, fällt es natürlich schwer, sich auf ein paar wenige zu beschränken. In Vorbereitung zu der Ausstellung haben wir aber zum Beispiel die Künstlerin Nathalie Du Pasquier in ihrem Atelier in Mailand besucht und waren fasziniert davon, wie sie seit Jahrzehnten das Buch als künstlerisches Medium benutzt. Sie hat uns ganz frühe Arbeiten gezeigt, bei denen sie literarische Bücher mit ihren eigenen Zeichnungen übermalt hat und unzählige Zines, die sie parallel zu fast jeder ihrer Ausstellungen entwickelt. In HOW(EVER) zeigen wir einige ihrer Publikationen, die bei dem Verlag Humboldt Books erschienen sind und haben sie eingeladen, eine Einladungskarte im Format eines Mini-Zines für uns zu gestalten.

In unserer Gesprächsreihe HOW(EVER) RADICAL OBJECTS, die wir zusammen mit Eina Idea aus Barcelona kuratiert haben, wird es auch Gespräche mit Künstler*innen wie Dora García und Stefan Marx geben, die eine ähnliche Leidenschaft und langjährige Praxis des Publizierens verbindet. Wichtig war es uns aber auch, die Perspektive von Verleger*innen und Grafiker*innen zu inkludieren, die auch einen wesentlichen Anteil an der Produktion und Konzeptualisierung von Büchern leisten, sodass wir uns sehr freuen, dass Christophe Boutin vom Pariser Verlag Three Star Books kommt, aber auch lokale Stimmen wie die Frankfurter Grafikdesignerin Sandra Doeller dabei sind, die sich seit vielen Jahren mit der Thematik von Künstlerbüchern und Self-Publishing beschäftigt.

Habt ihr Eigenschaften entdeckt, die verschiedene zeitgenössische Künstler*innen beim Publizieren miteinander verbindet? Wie wird etwa die Rolle von Autor*innenschaft, Herausgeber*innen und Künstler*innen bei den zeitgenössischen Formen des künstlerischen Publizierens verhandelt?

Das ist eine sehr spannende Frage, da dieses Verhältnis immer variiert. Es gibt Künstler*innen wie Kandis Williams, die zum Beispiel die Verlags- und Bildungsplattform Cassandra Press ins Leben gerufen hat, die Reader herausgeben zu Themen wie Migration, Fetischismus oder dem White Savior Komplex. Hier wird die Künstlerin zur Herausgeberin und Katalysatorin für das Wissen anderer. Denkt man an Künstlerinnen wie Etel Adnan, Pati Hill oder Amy Sillman, zeigt sich dort, dass sie eine eigenständige Praxis des Schreibens haben, die gleichberechtigt neben und in manchen Fällen sogar ein integraler Bestandteil ihrer künstlerischen Praxis ist.

 Auf dem Portikus Art Book Festival HOW(EVER) werden auch die Arbeiten von der Copy Machine Residency ausgestellt. Was hat es damit auf sich?

Die Copy Machine Residency ist eine neue Reihe, die wir ins Leben gerufen haben und die sich über unsere gesamte Zeit als Kuratorinnen des Portikus erstrecken wird. Uns war es wichtig, neben den großen Ausstellungen auch Formate zu entwickeln, die einen spielerischen Zugang ermöglichen und Raum für Experimente zulassen. Für die Copy Machine Residency laden wir Künstler*innen ein, während eines kurzen Aufenthalts in Frankfurt ein Zine auf unserem Fotokopierer zu produzieren. Am Samstag werden wir das Zine der Künstlerin Émilie Pitoiset launchen, die Anfang Oktober den unteren Ausstellungsraum des Portikus als temporäres Studio genutzt hat. Während ihrer Residency hat sie sich stark mit unserem Verhältnis zu Schlaf auseinandergesetzt – ein Thema, das in einer Stadt wie Frankfurt, die geprägt ist von der Präsenz der Bankentürme, die scheinbar niemals schlafen, ziemlich passend erscheint. Zugleich steht das Format des Zines, das mit viel Mühe und von Hand auf der Kopiermaschine entwickelt, gedruckt und gefaltet wird, natürlich in einem Kontrast zu dieser kapitalistischen Effizienzlogik.

HOW(EVER) im Portikus Frankfurt

20. OKTOBER - 23. OKTOBER 2022

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