Vulkangestein, Seegurke, gefrorener Tintenfisch und Schneckenschleim sollen zu ewiger Jugend verhelfen. Und sie dienen dem Künstlerkollektiv HazMatLab als Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Zusammenarbeit mit drei Druckern.

Am 5. März 1934 eröffnete das New Yorker Museum of Modern Art eine Ausstellung, deren Künstler*innen-Liste aufhorchen lässt. Statt des gewohnten Formats aus Vor- und Nachnamen stehen hier die Namen produzierender Unternehmen vermerkt: Aluminium Company of America, American Radiator Co. oder American Sheet & Tin Plate Co. Es sind formschöne Erzeugnisse aus den Fabriken, die hier unter dem Titel „Machine Art“ präsentiert werden, gefertigt von den namengebenden Maschinen.

Knapp 90 Jahre später betrachten Katharina Schücke, Sandra Havlicek und Tina Kohlmann ihre neuen 3D-Drucker eher als Kollaborationspartner. Künstlerische Entscheidungen können sie ihnen nicht abnehmen und auch die Intelligenz der unermüdlich rüttelnden Maschinen sieht man eher als begrenzt an. Aber gerade der Clash zwischen Mensch und Maschine, der sich da manchmal in nächtlichen Fehlermeldungen, missverstandenen Arbeitsschritten oder verrutschten Hot Bed-Platten Bahn bricht, macht natürlich auch diebische Freude. Denn umgekehrt lernen die Künstlerinnen, die seit fünf Jahren im Kollektiv HazMatLab zusammenarbeiten, eine ganze Menge von den Geräten.

In der Offenbacher Kressmannhalle, wo die drei gerade vorübergehend Quartier bezogen haben, fiept und rattert es unentwegt. Neurotische Großstädter kennen den Effekt – ist der Soundteppich so schön regelmäßig wie hier, dann entwickelt er rasch etwas beinahe schon Beruhigendes. Die Arbeit wird verrichtet, es geht voran! Tatsächlich arbeiten die Drucker emsig. Und unermüdlich. Aktuell sind sie 24 Stunden am Tag im Einsatz, ohne Pausen. Ein Display zeigt an, wie lang der Druckprozess bis zum gewünschten Resultat dauern wird.

HazMatLab, Installationsansicht, Foto: Wolfgang Günzel

Die Prognosen, erklärt Tina Kohlmann, seien recht zuverlässig. „Theoretisch könnte ich sagen: alles klar, wir sehen uns dann in zehn Tagen!“ Aber natürlich gibt es auch zwischendurch genug zu tun. Von allein, meint Havlicek, passiere hier nämlich gar nichts. „Die Vorstellung, dass ich mal eben meinen Autoschlüssel nachdrucken lasse, ist eher utopisch“. Zumindest vorerst. Drei Maschinen wollen parallel mit Daten gefüttert werden, die die Künstlerinnen zuvor aus dreidimensional abgescannten Objekten berechnen lassen müssen.. Sandra Havlicek zeigt eine Korallenriff-Skulptur, die gerade im Entstehen ist. Überall stehen und hängen Zwischenresultate der Künstlerinnen-Maschine-Kollaboration: Textil wirken die glänzenden Oberflächen, als ob die amorphen Formen mit einem Stück Seide überspannt wären.

Das Meisterstück sieht aus wie ein gelb-grün-blauer Patchwork-Schweizer Käse

Am anderen Ende der Halle schwebt, eingefasst in ein Metallgerüst, das aktuelle Meisterstück der drei im Raum. Gut vier Monate hat die Herstellung gedauert, von Februar bis Juni. Eigentlich noch länger, wenn man die Einarbeitung an den Geräten, das Abfotografieren, Auswerten und Berechnen der korrekten Parameter mit einbezieht. Rund um die Uhr sind die Drucker durchgelaufen, relativ pünktlich zur Ausstellungseröffnung war die Arbeit fertig. HazMatLab hat sie aus den einzeln gedruckten Teilen zusammengesetzt: Das Resultat sieht aus wie ein gigantischer, gelb-grün-blauer Patchwork-Schweizer Käse, der vielleicht schon ein bisschen angeschmolzen und aus der Form geraten ist.

HazMatlLab, Installationsansicht, Foto: Wolfgang Günzel
HazMatlLab, Installationsansicht, Foto: Wolfgang Günzel

Tatsächlich handelt es sich bei der Skulptur um eine künstlerisch verfremdete Reproduktion von Basalt, ein Vulkangestein und damit beliebte Zutat der K-Beauty, wie die südkoreanische, sehr spezifische Ausformung der Kosmetik- und Hautpflege-Begeisterung genannt wird. Bei einer Artist Residency in Südkorea haben HazMatLab die wundersamen Zutaten örtlicher Kosmetikroutinen für sich entdeckt. Einige klingen regelrecht alchemistisch: Koralle und Vulkangestein, Seegurke, gefrorener Tintenfisch und Schneckenschleim sollen zu schönerer Haut und ewiger Jugend verhelfen. Sie dienen den Künstlerinnen als formaler Ausgangspunkt für ihre Druckerkolonne: Wie lässt sich die Ursprungsfaszination für die magischen Materialien in neue Formen bringen?

Fehler sind beinahe vorpro­gram­miert

Von den Ergebnissen, sagen die Künstlerinnen, lassen sie sich selbst immer wieder überraschen. Die Basalt-Skulptur beispielsweise ist aus mehreren Dutzend Einzelteilen zusammengesetzt, jedes in einer anderen Farbe, mit einem anderen Finish. Es sind aus Druckersicht hochkomplexe Formen, die hier vorgegeben werden. Fehler sind da beinahe vorprogrammiert. Mehrere Hundert einzustellende Parameter bedeuten in etwa ebenso viele potenzielle Fehlerquellen. Auch die korrekte Benennung der einzelnen Dateien gehört zur Arbeit – der Ausstellungstitel „high_high_high_mild.cursed by data“ ist Seitenhieb auf die exakten Datenformulierungsvorgaben, die nötig sind, um in den ganzen Eventualitäten und Varianten den Überblick zu behalten.

HazMatlLab, Installationsansicht, Foto: Wolfgang Günzel
HazMatlLab, Installationsansicht, Foto: Wolfgang Günzel

Hinzu kommen Verschleißerscheinungen, die sich bei den Maschinen nach mehreren Monaten in Dauerschleife einstellen sowie alltägliche Kleinigkeiten wie auslaufendes Filament. Durch den Dauerbetrieb fällt auch schon einmal der Kühlungsventilator aus – „der Drucker hat’s ignoriert und weitergemacht“ lautet eine typische Anekdote bei diesem Ausstellungsbesuch. HazMatLab wollen die so entstehenden Fehler bewusst auf ihre skulpturalen Qualitäten abklopfen. Sandra Havlicek zeigt eine Gefrorener-Tintenfisch-Skulptur, bei der sich mittendrin die Oberflächenstruktur ändert. Ein anderes Mal hat sich die Hot Bed, die Arbeitsplatte, gelockert, wodurch die filigran aufeinandergesetzten Strukturfäden plötzlich einzeln sichtbar werden.

Work-in-progress ist für HazMat­Lab künst­le­ri­sches Programm

Vor der Arbeit mit Maisstärken-Thermoplast aus dem 3D-Drucker haben Havlicek, Kohlmann und Schücke schon Schleim oder Nagellack für ihre gemeinsamen Projekte nutzbar gemacht. Work-in-progress ist für HazMatLab von Beginn an künstlerisches Programm. „Allerdings legen wir unseren Arbeitsprozess hier zum ersten Mal nahezu komplett offen“, meint Kohlmann. Schücke schätzt an der gemeinsamen Arbeit, dass man wie jetzt mehr Zeit für Recherche und Experiment habe. Und zum Diskutieren. 

Hazmatlab, Detailansicht, Foto: Hazmatlab

Fazit der Künstlerinnen:

Hier grätscht halt immer jemand rein.

Es wird hart diskutiert.

Das hört nicht auf, spannend zu sein.

Hier also der Auftritt von drei zusätzlichen Störenfrieden, die die Gemengelage ein bisschen ins Wanken bringen.

Wird es nicht traurig sein, die liebgewonnenen Gerätepartner in ein paar Wochen wieder in die Ecke zu stellen? Tatsächlich überlegen die Künstlerinnen, die gemeinsam stets nomadisch unterwegs waren, ob sie einen festen Ort für die hier begonnene Arbeit finden könnten. Bis dahin gilt in jedem Fall die Losung, die Katharina Schücke nach Ausstellungseröffnung in einer E-Mail an mich ausgibt: „Wir drucken weiter!“

HazMatLab

high_high_high_mild. cursed by data

18. 06. – 16. 07. 2021, Di 10 - 15 & Do 15 - 19, Hafen 13, Offenbach

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