Liebe ist, wenn das Display aufleuchtet? Drei Künstler hinterfragen unsere Beziehung zu Objekten in einer Gegenwart, in der die Grenzen zwischen Konsum, Langweile, Sucht oder auch Begierde zunehmend verschwimmen.

„Arbeiten und nicht verzweifeln“ heißt es in Heiner Müllers 14-zeiligen Gedicht „Herzstück“ (1989), bei dem „das“ Herz im Körper verklemmt ist und nicht so einfach herausgeschnitten werden kann. Mit etwas Mühe und einem Taschenmesser gelingt das Vorhaben und das Herz entpuppt sich im herausgeschnittenen Zustand als Ziegelstein, das „nur für Sie schlägt“, für die Person, die es dem Körper entnommen hat. 

In der Ausstellung „Don‘t fuck with the user“ von Arhun Aksakal und Timon und Melchior Grau, die im Rahmen von RAY 2021, der Triennale der künstlerischen Fotografie und verwandter Medien, im Frankfurter Saasfee*Pavillon gezeigt wird, könnte es auch heißen „bewusst werden und nicht verzweifeln“. Das Herz wäre demnach nicht aus Stein, sondern hinge als immaterieller Datensatz am gerenderten Algorithmus-Haken, wie dieser auf dem Ausstellungsplakat angedeutet wird.

Gibt es ein Bewusstsein über die Tragweite von Mausklicks?

„IDEOLOGIEN“ ist das Thema der diesjährigen RAY Triennale. Die drei Künstler hinterfragen dahingehend die Beziehung zwischen Objekt und Nutzer*in in einer Gegenwart, in der die Grenzen zwischen notwendigem Konsum und Konsum als Statussymbol, Langweile, Sucht oder auch Begierde  zunehmend verschwimmen. Gibt es ein Bewusstsein über die Tragweite von Mausklicks? „Don‘t fuck with the user“ stellt die Frage nach der Verantwortung dafür, wie sich eine Gesellschaft technologisch gestaltet, welche Rolle darin die Bedürfnisse der Benutzer*innen spielen und welche Kontrolle diese über sich selbst eigentlich besitzen.

Arhun Aksakal, don't fuck with the user, Courtesy the artists and saasfee*pavillon

„Dein Leben ist in Verwirrung“ heißt es in einer durch künstliche Intelligenz textgenerierenden Software entwickelten Soundarbeit, die auf poetische Weise den ersten Schritt zur Selbstbefragung innerhalb der Ausstellung aufzeigt. Als ausgekoppeltes Handout begleitet das fragmentarische Textgebilde durch die Ausstellung. Die mittels KI erzeugte Textstimme, wechselt kontinuierlich zwischen einem Ich, Du, Wir, Sie und erzeugt dahingehend eine poetische Untersuchung zur Welt und den Dingen, die dieser Welt innewohnen und wie sich das Individuum zu diesen in Beziehung setzt oder gesetzt wird.

Liebe ist, wenn das Display aufleuchtet?

Betritt man als Besucher*in den Ausstellungsraum, ein beinahe allseitig verglaster Pavillon, ist der Blick zum Außenraum durch riesige Leuchtkästen unterbrochen. Die Arbeit von Timon und Melchior Grau erzeugt aus künstlichen Lichtquellen weiße, strahlend reflexive Flächen die sinnbildhaft auf eine große digitale Leere verweisen. Zurückgeworfen auf das Licht, sieht man sich als Betrachter*in mit einem raumgreifenden Display konfrontiert, bei dem ein „swipe up“ nicht möglich ist. Was soll mit dem Screen angefangen werden, der keine Bilder zeigt? „Das fühlt sich dann wieder gut an und irgendwie sogar vertraut. Auch ist es so, wie wenn sich ein Licht in Sie verliebt“ – generiert die Text-KI aus Daten die die drei Künstler eingespeist haben und wirkt darin so poetisch, dass nicht nur die Fragestellung nach Autor*innenschaft ins Wanken gerät. Auch die Wahrnehmung von glatten Lichtflächen die User*innen täglich umgeben. Wer liebt hier wen und warum? Liebe ist, wenn das Display aufleuchtet?

Das fühlt sich dann wieder gut an und irgendwie sogar vertraut. Auch ist es so, wie wenn sich ein Licht in Sie verliebt.

Künstliche Intelligenz
Arhun Aksakal, Timon & Melchior Grau, don't fuck with the user, Installationsansicht, Foto: Simon Menges

Sind die Bedürfnisse der User*innen die eigenen oder sind sie, wie Literaturwissenschaftler Adrian Daub in seinem Buch „Was das Valley denken nennt“ (2020) schreibt, nur die Bedürfnisse von Tech- Unternehmen und Entwickler*innen, die mit ihren Produkten oft nur Menschen wie sich selbst meinen? Die Ausstellung stellt eine Begegnung mit einer Welt dar, die im Bezug zu derjenigen der Betrachter*innen steht. Der Blick auf die Realität außerhalb des Pavillons ist teilweise verdeckt, sodass die fast übermächtig inszeniert wirkenden Lichtobjekte beinahe die gesamte Aufmerksamkeit fordern. Die Displays demonstrieren damit eine sehr dominante Vorstellung von „Liebe“, wenn sie gar keine andere Wahl der Betrachtung zulassen: sie müssen aufgrund ihrer räumlichen Dimension „geliebt“ werden.

Diese Auffassung als Sinnbild technologischer Abhängigkeit, wird durch einen eindringlichen Soundverstärkt. Wie ein dumpfes Flirren wirkt die Tonaufnahme auf den eigenen Körper ein und erzeugt ein Gefühl von Kontrollverlust, das sich als individuelle Sinneswahrnehmung bemerkbar macht. Subtil und scheinbar unkontrolliert durchdringt der niedrig frequentierte Sound den Körper, was sich besonders beim Sprechen verdeutlicht. Die verzerrte fast technoide Wahrnehmung der eigenen Stimme ist allerdings nur selbst spürbar.

Arhun Aksakal, Timon & Melchior Grau, don't fuck with the user, Installationsansicht, Foto: Simon Menges

So wie das Smartphone auch kein Endprodukt mehr ist, sondern mit Apps individuell gestaltbar wird, referiert die Ausstellung auf die Frage nach Individualität in einer Gegenwart des unaufhaltsamen Konsums einer westzentrischen Gesellschaft. Nur wer trägt die Verantwortung für das Konsumverhalten? Ist die User*in Schuld, die mehrmals täglich die sozialen Medien durchstreift oder ist es die App und das Smartphone und dessen Anleitung zur permanenten Verfügbarkeit? Doch den Fokus der Ausstellung nur auf das digitale Nutzer*innen-Verhalten zu legen wäre verkürzt. In Arhun Aksakals Werkserie „splinter“ ist eine materialisierte Einschreibung von Zeitlichkeit in konservatorisch präparierte Marmorplatten versinnbildlicht und steht damit in einem Dialog zu den Arbeiten von Timon und Melchior Grau, die einen Assoziationsraum der Nicht-Verkörperung im digitalen Raum darstellen.

Die Objekte referieren auf wirtschaftliche Produktionsprozesse

Die Arbeit „splinter – inniti“ 2021, zwei sich selbst stützende Marmorplatten, die im vorderen Teil der Ausstellung positioniert ist, lässt auf den ersten Blick alles andere erahnen, als dass diese Platten ehemals Abfallprodukte gewesen sind. In ästhetisierter Weise referieren die Objekte auf wirtschaftliche Produktionsprozesse. Zwar ist hier die Wahrnehmung der Objekte als Abfall zum Teil abstrakt, dennoch steht es – im Vergleich zu einer Cloud bei der Datenmüll einen weitaus undurchsichtigeren Aspekt darstellt – in einem anderen Verhältnis zu einem eigenen Verhalten von Gebrauch. Es ist eine Reflexion auf ein eigenes Begehren innerhalb jeglicher Komplexitäten alles erfassen und verstehen zu wollen und gleichzeitig auch Nutzer*in zu sein, ohne überhaupt zu wissen wo und wie Daten gesammelt und gespeichert werden.

Arhun Aksakal, Foto: Neven Allgeier
Timon Grau, Foto: Neven Allgeier
Melchior Grau, Foto: Neven Allgeier

Gibt es einen Ausweg vom Inneren der Cloud nach Außen oder besteht die Welt aus User*innen, die scheinbar lauter schwarze Löcher erzeugen? Besteht die Notwendigkeit eines digitalen Detox, einer Not-Op, wie einst in Müllers „Herzstück“ beschrieben, in der das Herz herausoperiert wird, um es als Ziegelstein einer Person zu Füßen zu legen? „Du hast ein Herz, das von überall her mit Liebe gefüllt ist, immer gefüllt ist, immer durch alle möglichen Transformationen geht.“ könnte die Antwort der KI auf Müllers „Herzstück“ sein, das dahingehend von der Zeit und der technologischen Entwicklung personifizierter Geräte überholt wurde. Das „Herz“ ist in Transformation – nur in welche Richtung der Veränderungen wird es sich bewegen? Die Lichtskulptur „Fire“ 2021 von Timon und Melchior Grau, die eine Assoziation zu zwei überdimensionierte Ipods zulässt, erzeugt mit ihrem aufblinkenden Licht eine Art Signal und wirkt dahingehend wie ein skulpturales und zugleich immaterielles SOS aus dem Inneren des Ausstellungsraumes heraus.

Ist die Ausstellung ein digitales Fenster, dass einen Hilferuf an sich selbst adressiert? Der poetische Text macht unmissverständlich klar: „Aber schließlich fühlst du dich wieder verbunden, als wäre nichts passiert! Aber nicht ganz. Dein Herz ist in der Luft!“ Das „Herz“ ist also in der Cloud, entgegen Müllers Interpretation eines körperlichen Schutzraumes. Nur wem wird es in der kommenden Zeit zu Füßen gelegt werden? Das herauszufinden, vor allem solange das Herz als Icon auf einem Bildschirm auftaucht, bleibt eine Herausforderung für die Zukunft.

Aber schließ­lich fühlst du dich wieder verbun­den, als wäre nichts passiert! Aber nicht ganz. Dein Herz ist in der Luft!

Arhun Aksakal, Timon & Melchior Grau, don't fuck with the user, Installationsansicht, Foto: Simon Menges
arhun aksakal, timon & melchior grau

don’t fuck with the user

25.06 - 08.08.2021, saasfee*pavillon

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