Ein Schwulen-Aufstand in News Orleans, der ganze 14 Jahre vor den Stonewall-Unruhen stattfand? Flo Maak und Lasse Lau decken in ihrer Videoarbeit „Hang On, Hang Tight“ eine vergessene Geschichte der LGBT-Bewegung auf.

Als Frank Perez im Januar 2020 von Lasse Lau kontaktiert wurde, war er erstaunt, vom dänischen Filmemacher über einen Schwulen-Aufstand im Jahr 1955 ausgefragt zu werden. Perez, leitender Direktor des LGBT+ Archives Project of Louisiana und Autor mehrerer Bücher über New Orleans‘ queere Geschichte, hatte bis dato noch nie von einem solchen Aufstand gehört. Sicher, die mittlerweile geschlossene Dixie’s Bar of Music im French Quarter der Stadt, die im Zentrum von Lasse Laus Recherchen stand, war bereits seit den 1940er-Jahren ein geschützter Raum für queere Personen. Ein Treffpunkt, wo „rich and poor, gay and straight felt comfortable“, wie es in einem Nachruf auf die damalige Besitzerin und Betreiberin Yvonne Marther Fasnacht aka Miss Dixie heißt. Aber ein Aufstand gegen die Polizei, 14 Jahre vor den Stonewall-Unruhen in New York City, die weltweit als Wendepunkt im Kampf um Gleichberechtigung und Anerkennung der LGBT-Bewegung angesehen werden? Frank Perez fragte im eigenen Bekanntenkreis herum, doch auch hier hatte niemand jemals von dem besagten Abend in Dixie’s Bar gehört.    

Ein Stück Oral History

Die Videoarbeit „Hang On, Hang Tight“ (2022), eine Zusammenarbeit zwischen dem Fotografen und Multimediakünstler Flo Maak und Lasse Lau, thematisiert den vergessenen Aufstand, der sich während des Mardi Gras-Festes im Februar 1955 ereignete. Lasse Lau war im Rahmen seiner Recherchen auf ein Stück Oral History, ein 1999 aufgezeichnetes Interview mit Paul Coates, Navy Veteran, Choreograph und Tänzer, aufmerksam geworden, in dem dieser die Ereignisse jener Nacht rekapituliert. Demnach versuchte die Polizei gewaltsam in die Bar einzudringen und nutzte hierbei auch Tränengas, was jedoch schließlich vom homosexuellen Barpublikum erfolgreich verhindert wurde.   

Flo Maak/ Lasse Lau: Hang On, Hang Tight 2022, filmstill (c) Flo Maak/ Lasse Lau

Ausschnitte aus dem Interview tauchen sodann in „Hang On, Hang Tight“ auf. Coates beschreibt auf Nachfrage schmunzelnd Dixie’s Bar – unter der schützenden Hand von Miss Dixie – als beliebten schwulen Hotspot: „If they didn’t go in gay man, a lot of them left gay“. In dokumentarischer Form lassen Maak und Lau zahlreiche weitere Zeitzeug*innen und Historiker*innen, unter ihnen auch Franz Perez, zu Wort kommen, die einen bewegenden Einblick in die vergangene wie aktuelle Queer-Szene der Stadt bieten. So sei die schwule Bar-Szene in New Orleans trotz politischer Repressionen national einmalig gewesen, wie der LGBTQ+ Historiker Roberts Batson schildert: „They weren’t owned by the mafia, they were owned by people who were gay or people who genuinely cared about their gay costumers.” Nicht also, so Batson, wie beispielsweise im Stonewall Inn in New York, wo die Mafia ihre schwule Kundschaft lediglich tolerierte und ihr für verwässertes Bier horrende Preise abknöpfte.   

The Stonewall Inn, Foto: Matthew McDermott, Image via nypost.com

Feier der Resilienz & Vielfalt queeren Lebens

Flo Maak und Lasse Lau kontrastieren jene Aufnahmen mit Tanzsequenzen, die gemeinsam mit dem Choreographen Diogo de Lima entwickelt wurden und performativ die Zeitzeugenaussagen in Bilder übersetzen: Zwei ineinander verschlungene Männer, innig und langsam den Körper des anderen erfassend, bald schon beim ausgelassenen Tanzen mit einer Frau, bevor die Nacht hereinbricht und die Szenerie bedrohlicher wird. „Hang On, Hang Tight“ vermag so auch der Tatsache, dass sich die verbriefte Geschichte schwulen Lebens fast ausschließlich auf abgedruckte Polizeireports in Zeitungen beschränkt, wie Roberts Batson festhält, etwas entgegenzuhalten. Die Arbeit des Künstlerduos ist nicht nur eine Hommage an Miss Dixie und eine Vergegenwärtigung des wohl ersten Schwulen-Aufstands in den USA, sondern auch eine Feier der Resilienz wie auch Vielfältigkeit queeren Lebens.

Flo Maak/ Lasse Lau: Hang On, Hang Tight 2022, Filmstill (c) Flo Maak/ Lasse Lau
Lasse Laus „Pine Nuts“

Als weiterer Film wird Lasse Laus „Pine Nuts“ von 2008 gezeigt. „Once there was a forest. Then the forest became a city and the remains became a park. The city started a war and with time its park became imaginary”, führen Bildtafeln in das Werk ein, das den Park Horsh Beirut in der libanesischen Hauptstadt als Ausgangspunkt einer Erzählung über persönliche Schicksale von Menschen aus der Diaspora nimmt. Der riesige Stadtpark, Überbleibsel eines einstigen Pinienwaldes, wurde seit seinem Bestehen immer wieder für die Kriegswirtschaft ausgebeutet und in verschiedenen kriegerischen Auseinandersetzungen schwer in Mitleidenschaft gezogen.

In „Pine Nuts“ sehen wir statische Aufnahmen der Grünanlage aus einer Zeit, als diese nach dem Ende des Libanesischen Bürgerkriegs 1990 zwar wieder aufgebaut, aber der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht wurde. (Erst 2015, 25 Jahre nach Kriegsende, wurde der Park wieder für die Allgemeinheit geöffnet.) Auf der Tonspur schildern derweil fünf Protagonist*innen persönliche Geschichten, die lose mit dem Park verbunden sind oder ihn als Ausgangspunkt für Erzählungen aus der Diaspora nehmen. Horsh Beirut, Epizentrum dessen, was die Hauptstadt für viele Bewohner*innen einst ausmachte, wird in den Berichten zu einem fernen Sehnsuchtsort, Symbolbild für eine Vergangenheit, die noch präsent ist, deren Zugang einem aber fortan verwehrt bleibt.

Lasse Lau: Pine Nuts 2008, Filmstill (c) Lasse Lau
Lasse Lau: Pine Nuts 2008, Filmstill (c) Lasse Lau

DOUBLE FEATURE MIT FLO MAAK

MITTWOCH, 26. APRIL 2023, 19.30 UHR

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