Welche Folgen haben Kunststoffe auf unsere Umwelt und gibt es überhaupt noch Bereiche, die von Plastik unberührt sind? In der zweiten Podcastfolge blicken wir auf die biowissenschaftlichen Dimensionen von Plastik und sprechen mit dem Ökotoxikologen Martin Wagner und Ökologen Matthias Rillig über erwiesene Nebenwirkungen.

Plastik durchdringt nahezu jede Sphäre unserer Umwelt – angefangen bei der Luft, dem Wasser und Boden bis hin zum menschlichen Körper. Selbst den Mars hat Plastik schon erreicht. Doch welche Nebenwirkungen sind eigentlich erwiesen und macht die Dosis wirklich das Gift?

In der zweiten SCHIRN Podcastfolge von LIVING IN A PLASTIC WORLD gibt Plastikexpertin Anja Krieger einen Überblick auf den aktuellen Forschungsstand zu den Nebenwirkungen von Kunststoffen für Mensch und Umwelt. Im Gespräch mit dem Ökotoxikologen Martin Wagner erfahren wir, was passieren kann, wenn Chemikalien aus Plastik austreten und in den Körper gelangen. Im Anschluss spricht Anja Krieger mit dem Ökologen Matthias Rillig, der an der Freien Universität Berlin erforscht, wie sich Mikroplastik auf die Böden auswirkt.

(c) Moritz Wienert

Anja Krieger ist Kulturwissenschaftlerin und Podcasterin. Seit fünf Jahren spricht sie für ihren Plastisphere-Podcast mit internationalen Plastikexpert*innen aus verschiedenen Disziplinen. Zuvor berichtete sie als Umwelt- und Wissenschaftsjournalistin für öffentlich-rechtliche Radios sowie deutsch- und englischsprachige Online- und Printmedien.

TRANSKRIPT:

[Musik Plas­ti­city von Blue Dot Sessi­ons]

Matthias Rillig: Plastik ist ja wirklich überall. Also wir sind ja wirklich umgeben von Plastik.

Martin Wagner: Wir nehmen fossile Ressourcen, Erdöl, Gas, wir machen unheimlich viel Stuff, unheimlich viel Zeug daraus, was wir unheimlich kurz benutzen, was dann zu Müll wird, was irgendwo hin muss…

Matthias Rillig: …und deswegen kommt natürlich aus unterschiedlichsten Quellen Plastik in den Boden.

Martin Wagner: Am Ende benutzen wir Erdöl in einer festen Form für sehr kurze Zeit und schmeißen es weg. Und das ist das Problem.

Anja Krieger: Hallo und herzlich Willkommen zum Podcast der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Mein Name ist Anja Krieger, und ich führe euch in dieser dreiteiligen Serie durch die Welt des Plastiks – diese vom Menschen erfundenen Kunststoffe, die uns heute überall umgeben. In der ersten Folge war ich zu Besuch in der PLASTIC WORLD, der Ausstellung in der SCHIRN, und habe von der Kuratorin Martina Weinhart erfahren, wie Plastik die Bildende Kunst geprägt hat. Auch im Design, in der Architektur, der Medizin und vielen anderen Lebensbereichen eröffneten Kunststoffe ganz neue, ungeahnte Möglichkeiten. Aber sie haben eben auch Nebenwirkungen. Darüber spreche ich nun in dieser Folge mit dem Ökologen Matthias Rillig, der erforscht, wie sich Mikroplastik auf die Böden auswirkt. Und der Ökotoxikologe Martin Wagner erklärt uns, was passieren kann, wenn Chemikalien aus Plastik austreten und in den Körper gelangen. Beide Wissenschaftler kenne ich schon lange aus meiner Arbeit zu Plastik.

Anja Krieger: Martin, du forschst ja jetzt schon viele Jahre zu den Folgen von Plastik für Mensch und Umwelt, noch bevor das groß in den Medien war. Wie bist du auf dieses Problem damals aufmerksam geworden?

Martin Wagner: Ja, als ich angefangen habe, mich für Plastik zu interessieren, war das während meiner Doktorarbeit und da habe ich mir angeguckt, welche Chemikalien eigentlich aus Plastikwasserflaschen auslaugen. Und wir haben herausgefunden, dass sogenannte Umwelthormone auslaugen. Die wirken wie Östrogene. Und das war damals tatsächlich ein riesiger Medienrummel um diese Studie, weil natürlich alle gedacht haben: Wasser, Plastik – was soll das alles? Das ist doch gesund, wurde so vermarktet, wir müssen alle ganz viel trinken, da sind wichtige Mineralien drin, das ist super rein und super gesund. Und unsere Studie hat dem natürlich widersprochen und gezeigt, da kommen irgendwie Chemikalien aus den Plastikflaschen raus. Und so bin ich ursprünglich zu dem Thema Plastik gekommen und das hat mich dann weiter beschäftigt und hat sich dann irgendwann so transformiert in Plastik in der Umwelt. Damals habe ich überhaupt nicht darüber nachgedacht, dass das irgendwie auch ein Umweltproblem ist, sondern es ging nur so um Chemikalien und menschliche Gesundheit. Und dann war ich auf einer Konferenz und da wurde dann auf einmal über Plastik in den Meeren gesprochen und da hat es bei mir irgendwie Klick gemacht. Das ist ja nicht nur ein Menschenproblem, ist, wenn ich das mal so sagen kann, sondern eben auch ein Umweltproblem. Und was mich damals total angenervt hat, war, dass alle über die Ozeane gesprochen haben. Also ich war eher so für Süßwassersysteme, also Flüsse und Seen. Und da habe ich entschieden, mich um Plastik in Süßwassersystemen zu kümmern. Und dann haben wir eben angefangen, Mikroplastik in Flüssen zu untersuchen, haben natürlich welches gefunden. Und so ging das dann alles mit diesem Plastik in der Umwelt Thema los.

Anja Krieger: Das heißt, du hast dich schon super früh mit diesem Thema Auswirkungen von Chemikalien in Plastik auf die menschliche Gesundheit befasst. Ein Thema, was jetzt im größeren Diskurs eigentlich erst in den letzten Jahren so richtig erstarkt ist und wo es jetzt auch erst wenige Studien, kann man sagen, zu gibt, hast du dich auch mit den Flüssen befasst. Ich tatsächlich bin ja auch von dieser Ozeanseite gekommen und das war ja auch das, was damals so 2008/9/10 dann das bestimmende Thema wurde. Diese Plastikansammlungen im Pazifik, vor allem der sogenannte “Great Pacific Garbage Patch”. Du hast das die ganzen Jahre dann beobachtet. Wie hat sich denn dieses Thema dann entwickelt über die Zeit? Also welche Forschungsthemen haben sich dann aneinandergereiht und was hat man über das Thema gelernt?

Martin Wagner: Also interessant ist schon, dass Chemikalien in Plastik, in Kunststoffen und menschlicher Gesundheit wie so ein Bumerang sind. Damals, als wir unsere Forschungen gemacht haben, haben alle gesagt: “Nee, Plastik ist ja inert.” So nennt man das. Also da kommen keine Chemikalien raus. Und das war damals so, das ist alles sicher, das ist alles irgendwie safe, das ist alles getestet, und ich finde es ganz interessant, dass 15 Jahre später oder länger sogar, eben gerade das Thema Plastik und menschliche Gesundheit quasi wie ein Bumerang wieder zurückkommt. Zwischendrin gab es eben diese Phase, wo es ganz stark um die Ozeane ging. Und tatsächlich, finde ich, sind wir so gewandert von den Meeresstrudeln, den Great Pacific Garbage Patch, in die Tiefsee erstmal. Das war dann so das nächste, wo dann die Expert*innen schon begriffen haben: okay, ups, also wenn das auch in der Tiefsee ist, wo ist es denn sonst noch? Und dann sind alle ausgeschwärmt und haben überall Plastik gefunden. Aber es ging tatsächlich immer noch irgendwie um die Ozeane, Und dann sind wir gewandert in die Flüsse und Seen. Dann gab es die ersten Studien zu Seen, hauptsächlich. eine große Studie in der Donau. Die hat für Aufregung gesorgt, wo eben auch Mikroplastik gefunden wurde. Dann ein See in Deutschland, aber auch in China. Und dann haben wir uns ausgebreitet, die Community, und haben eben eher jetzt in Soil, also in der Erde, im Boden nachgeschaut. Also es wanderte dann von den Flüssen und Seen zum Boden, auch da war Mikroplastik und dann sind alle ganz wild geworden und haben Mikroplastik in der Atmosphäre nachgewiesen. Und im Schnee und im See-Eis in der Arktis und dann in der Antarktis. Und so ist es eben durch die Umwelt Kompartimente, so durch gewandert vom Ozean. Also erst sind wir im Wasser geblieben, dann sind wir in die Erde gegangen und dann sind wir in die Luft gegangen – und überall war Mikroplastik. 

Anja Krieger: Jetzt kann man ja sagen, Plastik ist jetzt fast überall. Also ich glaube, ich persönlich habe auch nur einen Ort gefunden, wo es noch nicht so richtig hinkommt. Zum Mars ist es auch schon gekommen mit den Marsrovern, aber wo es offenbar noch nicht so richtig gut hinkommt, ist das Grundwasser, zumindest das Mikroplastik. Vielleicht kannst du mal kurz umreißen, was man bisher weiß und nicht weiß über die Auswirkungen dieser Präsenz von Kunststoffen überall. Weil dass es die da überall gibt, heißt ja jetzt noch nicht, dass das schlecht ist. Es gibt ja auch Sandteilchen überall und Staub und usw.

Martin Wagner: Ja, das ist auf einer höheren Ebene natürlich eine philosophische Frage, Also wollen wir synthetische Materialien auf dem Globus global verteilen? Also ich bin Toxikologe, das heißt, ich schaue auf Schadwirkungen immer eher so biologisch und denke: Okay, natürlich gibt es halt irgendwelche Schwellenwerte und wenn wir ganz wenig Plastik aufnehmen, ist das vielleicht irgendwie nicht so bedenklich, wie wenn wir eben mehr Plastik aufnehmen. The dose makes  the poison. Also “die Dosis macht das Gift” ist da so ein Paradigma irgendwie. Aber ich finde, was wir bei so einer biologischen oder so einer mechanistischen Diskussion oft vergessen, ist eher die philosophische Frage: Wollen wir die Welt plastifizieren? Weil Kunststoff eben einfach nicht in die natürliche Umwelt gehört, genauso wenig wie sie in unser Trinkwasser gehört oder wie es in unseren Körper gehört, abseits der schädlichen Auswirkungen. Aber tatsächlich wissen wir eben mittlerweile und das sind Studien, die erst in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, dass eben Plastik oder Mikroplastik durchaus auch im menschlichen Körper zu finden ist. Und was macht ein Körper oder ein Organismus, wenn fremde Partikel eben reinkommen? Der reagiert irgendwie auf diese Partikel und es gibt relativ gute Hinweise darauf, dass das Immunsystem auf Mikroplastik im Körper und nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Fischen zum Beispiel oder anderen im Wasser lebenden Organismen reagiert und dann eine Entzündungsreaktion induziert wird. Wenn die Entzündungsreaktion nicht abschwillt, gibt es eine chronische Entzündung. Stressreaktion, oxidativen Stress nennen wir das, der dann auch Gewebe schädigen kann usw. und so fort. Das ist so eine Wirkweise von Mikroplastik auf Organismen, zu der es relativ gute Befunde gibt. Eine andere Wirkweise ist eben einfach nur physikalische Schemen. Also wenn man sich jetzt so einen Fisch vorstellt, der ganz viel Plastik aufgenommen hat, dann verstopft das eben den Verdauungstrakt, wenn es nicht ausgeschieden werden kann, dann gibt es so kleine micro injuries, so kleine Verletzungen etc. Sehr kleine Plastikteile werden eben auch ins Gewebe übergehen und da wieder Entzündungen und Stressreaktionen machen. All das ist schon bekannt. Und das sind jetzt nur die Partikel, also die physikalischen Effekte von Plastik oder von Mikroplastik auf Organismen. Dazu kommen dann eben die ganzen Chemikalien, die aus dem Plastik auslaugen, die dann eben eine Vielzahl von Effekten haben können. Unsere Forschung beschäftigt sich eben mit Umwelthormonen. Das sind Chemikalien, die das Hormonsystem stören können, wie Geschlechtshormone wirken, wie Östrogene zum Beispiel, dann eben die Entwicklung, die Fortpflanzung stören können. Und da gibt es eben relativ gute und schon jahrzehntelange Forschung, dass gewisse Chemikalien in Plastik tatsächlich eben das menschliche Hormonsystem stören, Fische feminisieren, verweiblichen, also auch in der Umwelt Schäden haben können. Und das ist interessant, dass eben diese alte Forschung jetzt quasi wieder an die Oberfläche gelangt, über dieses ganze Plastik in der Umwelt. Unklar ist allerdings tatsächlich, was die Auswirkungen auf lange Sicht sind. Glücklicherweise finden wir häufig in der Umwelt nur ganz niedrige Konzentrationen von Mikroplastik. Es gibt stark verunreinigte Orte auf der Welt, wo die Konzentrationen schon so hoch sind, dass wir sagen können, da gibt es einen negativen Einfluss auf die Organismen, die dort leben. Es gibt auch Orte auf der Welt, wo Plastik einen negativen Einfluss auf Menschen hat, zum Beispiel bei Arbeitern in Plastikfabriken, also zum Beispiel in der Textilindustrie, wo Plastikfasern verwendet werden, gibt es die sogenannte flock disease. Die Arbeiter atmen die ganze Zeit Plastikfasern ein aus dem Produktionsprozess und dann gibt es eben Lungenkrankheiten, Entzündungsreaktion etc. Also das ist schon bekannt. Also wir wissen, dass an Orten, wo wir viel Plastikverunreinigung haben, gibt es negative Auswirkungen. Wie das jetzt so im Alltag aussieht von Menschen, die eben gerade nicht in der Textilfabrik arbeiten oder fischen, die jetzt gerade nicht in einem Plastik verseuchten Fluss wohnen, das wissen wir noch nicht. Aber die Evidenzen, die Hinweise, würde ich sagen, häufen sich, dass es durchaus negative Auswirkungen haben kann. Und was ich immer sage, ist: Selbst wenn Plastik und Mikroplastik derzeit vielleicht noch keinen riesigen negativen Impact auf die Umwelt hat, bei den steigenden Produktionsmengen, die wir sehen, werden wir exponentiell mehr Plastik in die Umwelt freisetzen, werden wir exponentiell mehr Plastik in unserer eigenen menschlichen Umwelt haben. Und irgendwann werden wir die Auswirkungen eben spüren.

Anja Krieger: Da habe ich nochmal eine Rückfrage. Du sagtest ja, die Dosis macht das Gift. Ich habe mal gehört, dass das für Hormone gar nicht unbedingt zutrifft, also dass nicht unbedingt mehr schlimmer ist.

Martin Wagner: Ja, das ist richtig. Also tatsächlich kommt “die Dosis macht das Gift” ja von Paracelsus, also aus 1400 irgendwann, das ist ein alter Alchemist, der das mal gesagt hat. Und tatsächlich kann man sich mit neuester Wissenschaft nicht auf dieses Prinzip einfach nur verlassen. Für Umwelthormone wissen wir, dass sie in extrem niedrigen Dosen negative Auswirkungen zum Beispiel auf die Fertilität, auf die Fortpflanzungsfähigkeit, haben und dass eben mehr davon dann nicht mehr Schaden macht, sondern einfach einen anderen Schaden. Insofern ist dieses Paradigma: Wir können alles so ein bisschen verschmutzen und es wird schon okay sein, eigentlich wissenschaftlich zumindest für dieses Chemikalien nicht mehr haltbar. Und das stellt natürlich die ganze Regulation in Frage, weil die beruht auf der Idee, dass ein bisschen Verschmutzung irgendwie okay ist und damit werden wir schon alle irgendwie klarkommen und wir können die Welt einfach bis zu einer gewissen Grenze, bis zu einem gewissen Grenzwert, können wir die verschmutzen. Und ich glaube eben, für Chemikalien, für diese Umwelthormone, trifft es nicht zu. Für andere Sachen mag es auch nicht zutreffen, das wissen wir einfach bisher noch nicht. Aber ich finde, es stellt sich eben die Frage und da sind wir wieder bei der metaphysischen Frage: Wie viel dürfen wir eigentlich verschmutzen und wollen wir eigentlich verschmutzen? Null Verschmutzung werden wir, glaube ich, in nächster Zukunft leider nicht erreichen. Aber so diese Mentalität, “wir können unseren Müll externalisieren und bringen den einfach irgendwie raus in die Welt und dann wird es schon keinen Schaden anrichten”, bis zu einem gewissen Level, ist das glaube ich nicht mehr haltbar. Und das zeigt eben auch dieser ganze Prozess um Plastikverunreinigung, Plastikvermüllung. Wo wir eben hinterfragen, ist es eigentlich okay, dass wir dieses Plastik irgendwie in die Umwelt entlassen?

Anja Krieger: Ja, und allein auch, weil das, was jetzt da ist, weiter zerfällt und fragmentiert, breitet sich das ja dann immer weiter aus. Vielleicht sprechen wir nochmal über die Größenordnung. Also sie hat die Rede von Makro-, ich habe auch schon von Meso-,  dann Mikroplastik ist wohl das bekannteste in der Öffentlichkeit. Und dann gibt es eben auch Nanoplastik. Kannst du uns da mal so ein bisschen durch diese Größenordnung führen und auch ein bisschen durch das, was die Wissenschaft darüber weiß, wo sie sich Sorgen macht oder wo sie dran forscht.

Martin Wagner: Ja, Makroplastik ist so bis zwei Zentimeter klein im Durchmesser und dann gibt es Mesoplastik, das geht von zwei Zentimeter im Durchmesser bis fünf oder ein Millimeter im Durchmesser. Und dann beginnt eben so das Reich des Mikroplastik. Das sind also kleine Teile, die man schon noch sehen kann. Wie so ein Sandkorn zum Beispiel. So 500 Mikrometer kann man irgendwie noch sehen, Glitter zum Beispiel, den manche Menschen gerne verwenden, wäre auch Mikroplastik. Damit man sich das mal so vorstellen kann, würde ich sagen. Kommt auf den Glitter an, vielleicht so 300 Mikrometer sieht man immer noch, aber dann geht das Mikroplastik eben in den unsichtbaren Bereich für uns, für das menschliche Auge über und geht bis ein Mikrometer, sagen manche 100 Nanometer, also noch viel kleiner, zehnmal kleiner. Ist ein bisschen umstritten, wo da die Grenze ist. Und noch kleiner wird es dann eben mit dem Nanoplastik, also das Unsichtbare. Das sind dann kleine Nanopartikel, die eben auch aus Kunststoffen bestehen, die dann irgendwann bei zwei, drei Nanometer unglaublich klein aufhören. Und dann fängt das Reich der Chemikalien an.

Anja Krieger: Das heißt, wir reden hier über ganz unterschiedliche Größenordnungen. Wir reden auch über ganz unterschiedliche Formen, auch Fasern, Partikel, diese Pellets, die direkt aus der Produktion kommen, die teilweise verloren gehen und dann perfekt rund sind, versus fragmentierte Partikel, die so abgerieben sind. Dann sind diese Kunststoffe ja auch aus ganz verschiedenen synthetischen Polymeren gemacht und enthalten dann immer ganz spezifische Mischungen von Chemikalien. Das heißt, wir können eigentlich gar nicht nur über das Plastikproblem reden, sondern wir haben ganz, ganz viele verschiedene Probleme, die damit entstehen, die man eigentlich auch getrennt angucken müsste, oder?

Martin Wagner: Also ich habe irgendwann mal geschrieben, dass das Problem von Plastik, Vermüllung, Plastik, Verunreinigung ein wicked Problem ist. Also so ein verflixtes Ding, was unglaublich schwierig zu lösen ist. Also Plastik ist nicht gleich Plastik. Wir haben so viele verschiedene Materialien. Unsere Forschung zeigt, dass jedes Plastikprodukt, was wir so benutzen, Alltagsprodukte, eine individuelle chemische Zusammensetzung hat. Also man kann gar nicht sagen, das Plastik hat die Chemikalien und das andere Plastik hat diese, sondern es ist wirklich super individuell, sehr, sehr, sehr, sehr komplex, also ein Komplexitätsproblem. Aber ich würde gleichermaßen sagen, dass das Problem eigentlich ziemlich einfach ist. Wir nehmen fossile Ressourcen, Erdöl, Gas, wir machen unheimlich viel Stuff, unheimlich viel Zeug daraus, was wir unheimlich kurz benutzen, was dann zu Müll wird, was irgendwo hin muss. Am Ende benutzen wir Erdöl in einer festen Form für sehr kurze Zeit und schmeißen es weg. Und das ist das Problem.

Anja Krieger: Wenn wir es ersetzen würden durch andere Ressourcen, also kein Erdöl mehr benutzen –  Bioplastik wäre das Stichwort.

Martin Wagner: Ich glaube, es hängt nicht so sehr davon ab, was das Ausgangsmaterial ist, also ob wir das Plastik von fossilen Ressourcen machen oder von erneuerbaren Ressourcen ist meiner Ansicht nach ein fehlgeleiteter Gedanke. Und man sieht den gerade oft in öffentlichen Diskurs in der öffentlichen Debatte, wo viele Menschen denken: okay, dann kaufe ich halt einfach das ähnliche Produkt, was nicht aus Plastik gemacht ist, aber das bricht ja nicht den Zyklus von kurzlebigen, Produkten, die einfach schnell ihren Wert verlieren, ihren vermeintlichen Wert verlieren und dann eben irgendwo hin müssen. Ich glaube tatsächlich, Bio-Plastik ist sinnvoll in gewissen Anwendungen sicherlich. Wenn wir von fossilen Ressourcen uns wegbewegen wollen, werden wir auch mehr Kunststoffe und Materialien aus erneuerbaren Ressourcen herstellen. Aber was unsere Forschung und auch andere Forschungen zeigt, ist eben, dass auch im Bio-Plastik sehr viele toxische Chemikalien drin sind. Dass bioabbaubares Plastik oft eben viel schneller zum Mikro- und Nano-Plastik zerfällt, also vielleicht tatsächlich eher sogar ein größeres Problem in dieser Hinsicht darstellen kann, wenn man es nicht ordentlich entsorgt, wenn man es nicht wiederverwendet etc.. Also ich bin skeptisch, was Biobasiertes und biologisch abbaubare Plastik angeht.

Anja Krieger: Jetzt beobachtest du ja nicht nur die wissenschaftliche Diskussion seit vielen, vielen Jahren, sondern auch die Lösungsdiskussion. Was sind die Lösungen für dieses verflixte, wicked Problem der Plastikverschmutzung?

Martin Wagner: Weniger machen, würde ich einfach sagen, weniger machen. Also tatsächlich ist der ganze Plastikzyklus angetrieben von den niedrigen Ölpreisen. Das alles wird irgendwie verschlimmert dadurch, dass die fossilen Industrien sich wegbewegen von Brennstoffen, die können nicht mehr so viel Benzin machen, zum Beispiel. Und das Öl, was gepumpt wird und das Gas, was gefördert wird, muss irgendwo hin. Das heißt, tatsächlich wird der Preis von Kunststoffen weiter fallen. Der Weltmarkt wird geflutet mit billigem Plastik und dieses Material sucht seine Anwendung und sucht seine Produkte. Und die werden natürlich schon gefunden und der Bedarf dafür wird natürlich irgendwie generiert werden. Und ich glaube, um eben diesen Zyklus zu brechen, müssen wir über die Produktion von Plastik reden und wir müssen darüber reden, wie wir Plastik verwenden. Also soll es weiter so sein, dass Plastikprodukte im Mittel für eine halbe Stunde benutzt werden, bevor wir sie wegwerfen? Oder können wir eben Produkte gestalten, die langlebiger sind, die wiederverwendet werden, die repurposed werden, zu anderen Sachen gemacht werden? Und ich glaube, die einzige große Lösung, die ich derzeit sehe, ohne das jetzt erst mal zu bewerten, ist Kreislaufwirtschaft, die verspricht, Materialien –  nicht nur Plastik, sondern noch andere Materialien –  eben in einem Kreislauf zu halten, sodass sie immer wiederverwendet werden in unterschiedlichen Applikationen etc. Aber dass dadurch eben kein neues Plastik mehr reinkommt, in den Kreislauf und möglichst wenig Abfall rauskommt.  Und das ist eine Vision, die, wie ich finde, toll ist. Die ist nicht ohne Probleme, aber die Vision, an der müssen wir halt vielleicht erst mal arbeiten. Kreislaufwirtschaft sagt einfach: Wir können so weiterleben wie bisher. Das Plastik wird eben irgendwie im Kreislauf gehalten, wird recycelt oder wird wiederverwendet. Aber wir machen einfach mal so weiter. Und das ist schon durchaus kritisch zu sehen, weil “einfach weiter so” im Angesicht vieler großer globaler Krisen, kann für viele Menschen keine Lösung sein. Also ich glaube, da müssen wir auch über Konsumverhalten und Konsumgesellschaft reden. 

[Musik Hutter von Blue Dot Sessi­ons]

Anja Krieger
Ohne Kunststoffe geht es kaum, mit ihnen aber auch nicht weiter so. Verrückterweise haben wir das erst verstanden, als der Müll ganz weit draußen im Meer auftauchte –  tausende Kilometer von uns entfernt im Pazifik. Dabei landet er doch auch gleich in unserer Nachbarschaft, hier an Land, direkt unter unseren Füßen – in einem unscheinbaren Ökosystem, das bisher meist im Schatten lag: Dem Boden. Darüber habe ich mit dem Ökologen Matthias Rillig gesprochen. Er ist Leiter des Bodenlabors an der Freien Universität Berlin.

Anja Krieger: Matthias, du leitest hier an der FU ein Labor mit über 50 Leuten. Was erforscht ihr denn hier genau ?

Matthias Rillig: Ja, wir sind fasziniert vom Boden, wir untersuchen Bodenprozesse, wir untersuchen Boden-Biodiversität und Boden-Mikroorganismen und hauptsächlich auch, wie Boden auf menschengemachte Veränderungen reagiert. Wir sind insgesamt aber sehr neugierig. Also in unserem Labor hat zum Beispiel auch das Thema “Mikroplastik im Boden” angefangen. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Themen, nach neuen Faktoren. Und deswegen glaube ich, was uns als Labor, auch auszeichnet, ist, dass wir ziemlich eng mit Künstlern zusammenarbeiten, die wissenschaftliche Residenzen hier machen und mit denen wir dann zusammen neue Themen ausprobieren.

Anja Krieger: Was macht denn diese Bodenwelt so aus, wenn man sich jetzt gar nicht auskennt? Was ist da so das Wichtigste, was ich wissen muss?

Matthias Rillig: Die Bodenwelt ist sehr, sehr divers. Also es gibt unglaublich viele Bodenorganismen. Es ist ein hoher Prozentsatz der terrestrischen Biodiversität und das sind alles Organismen, die eben an die Besonderheiten des Bodens angepasst sind. Sie sind im Prinzip aquatisch, weil sie meistens in einem kleinen Film von Wasser auf dem Boden und Bodenoberflächen leben. Sie sind hauptsächlich mikroskopisch. Also der Großteil der Biodiversität ist das Mikrobiom, also Bakterien, Pilze, Archaeen usw. Es ist ein sehr komplexes Nahrungsnetz im Boden. Ja, es ist einfach ein faszinierendes Thema. Boden ist ein besonderer Lebensraum voller Partikel und voller Porenräume. Er ist wie ein Labyrinth und die Organismen im Boden bewegen sich dann innerhalb dieses Labyrinths und gehen ihren Tätigkeiten als Organismen nach und verursachen durch das, was sie halt machen, insgesamt die Dinge, die wir als Ökosystem- Prozessraten messen müssen, weil die meisten davon sind bodenbürtig.

Anja Krieger: Was sind Ökosystem-Prozessraten? Das ist jetzt ein sehr komplizierter Begriff, aber was kann ich mir darunter vorstellen?

Matthias Rillig: Naja, zum Beispiel Stoffabbau, das ist eine Ökosystem-Prozessrate oder auch die Mineralisation, Bodenrespiration. Alle Prozesse, die sozusagen im Boden ablaufen, die dann zur Funktionalität eines Ökosystems beitragen.

Anja Krieger: Und damit auch zur Funktionalität unserer Felder, unserer Atmosphäre usw.

Matthias Rillig: Genau. Also es gibt dann Rückwirkungen auf die Atmosphäre, zum Beispiel Bodenrespiration oder allgemein Bodenkohlenstoff, der nicht stabil im Boden festgelegt ist, kann dann wieder weg respiriert werden und das CO2 kommt natürlich dann aus dem Boden rausgeblubbert und geht dann in die Atmosphäre. Und da hat es dann eben die unerwünschten Nebenwirkungen. Das heißt, was global im Boden passiert, ist für uns als Menschen durchaus auch relevant von der Klimaproblematik her. 

Anja Krieger: Der Boden hat ja eine ganz besondere Architektur, eine Architektur, die die Lebewesen auch selber schaffen und in der sie dann leben. Aber ihr erforscht ja nicht nur diese Lebewesen und ihre Welt, sondern auch das, was sie stresst. Also was von oben kommt, von uns Menschen. Was sind denn da die Faktoren, die Böden bedrohen?

Matthias Rillig: Ja, zunächst einmal ist es so, dass alles Mögliche im Boden ankommt, einfach aufgrund der Schwerkraft. Was immer wir hier in der Industrie produzieren oder was wir so als Konsumenten tagtäglich benutzen, das meiste kommt irgendwie am Boden an, und wir untersuchen jede Menge unterschiedliche Schadstoffe, also zum Beispiel Pestizide sind ja momentan sehr in der Presse. Oberflächenaktive Stoffe, pharmazeutische Produkte, also Arzneimittel, die ja auch im Boden dann irgendwann ankommen, aber auch Faktoren des Klimawandels, also Erwärmung und Trockenstress, dann so Dinge wie Stickstoffeintrag aus der Atmosphäre. Also wenn wir einfach nur hier rumsitzen, regnet einfach Stickstoff auf uns runter.

Anja Krieger: Woher kommt der?

Matthias Rillig: Aus allen möglichen Prozessen kommen dann halt verschiedene Stickstoffverbindungen in die Luft und die kommen dann halt eher runter. Also zum Beispiel aus Tierhaltung oder eben aus Autoabgasen. Ja, was auch auf uns runterregnet ist Mikroplastik. Das untersuchen wir hier eben auch, Salinität. Wir machen auch Experimente mit fluorierten Verbindungen und auch mit Schwermetallen. Also alles Mögliche, was hier sozusagen am Boden irgendwann ankommt.

Anja Krieger: Das Besondere bei euch ist ja, dass ihr versucht, auch die verschiedenen Faktoren globalen Wandels, die du jetzt auch schon genannt hast, gemeinsam zu erforschen, weil diese Veränderungen eben auch nicht einzeln stattfinden. Wir haben nicht nur mehr Mikroplastik in den Böden, wir haben nicht nur mehr Pestizide oder mehr Trockenheit. All das passiert gleichzeitig. Das heißt, Kunststoffe und Chemikalien gehören zu den Faktoren, die die Bodenwelt verändern. Was wissen wir denn genau jetzt über diesen spezifischen Faktor Plastik in den Böden? Was sind die Auswirkungen?

Matthias Rillig: Also man weiß schon mal weniger, als man im Meer weiß und im aquatischen Ökosystem, weil diese Forschung wesentlich später angefangen hat. Aber die ist momentan wirklich intensiv zu Gange und man weiß eben schon viele Sachen. Zum Beispiel, dass das Mikrobiom sich verändert, wenn Mikroplastik da ist, dass das Pflanzenwachstum sich verändert, das Prozessraten sich verändern, zum Beispiel Gasaustauschraten. Das Interessante an Mikroplastik-Effekten insbesondere im Boden ist aber, dass Mikroplastik eben nicht nur eine Substanz ist, wie jetzt zum Beispiel was weiß ich, Kupfer oder so, Mikroplastik ist eben eine richtig komplexe Gruppe von Stoffen, aber auch Partikeln. Und das ist besonders wichtig im Boden, weil wir haben festgestellt, dass die Form dieser Partikel extrem viel erklärt, was die Effekte sind. Das ist wahrscheinlich eine Besonderheit im Boden. Denn wenn man zum Beispiel Fasern im Boden einbringt, dann sind die Effekte auf Bodenaggregation oft —nicht immer— aber oft negativ, weil diese Fasern zum Beispiel diese Aggregate weniger stabil machen, weil entlang dieser Fasern zum Beispiel Wasser in das Innere des Bodenaggregats, also das ist ein Bodenkrümel, fließen kann. Andere Effekte, die wir finden, sind, wenn wir Fasern in den Boden reingeben, dann sinkt die Lagerungsdichte des Bodens, das heißt, der Boden wird fluffiger und dann können Wurzeln einfach besser drin wachsen. Deswegen haben wir zu unserer großen Überraschung oft positive Effekte auf das Pflanzenwachstum, zum Beispiel von Mikroplastik. Das ist aber wirklich eine Besonderheit von Fasern. Das heißt, für uns war das extrem spannend, weil es der Fall ist, wo tatsächlich die Form, also wie das Ding aussieht, dieser Partikel mitentscheidend ist. Da kommen natürlich unzählig viele andere Substanzen raus. Die sind auch wichtig auf einer anderen Ebene im Boden für Toxizitätseffekte. Aber diese rein physikalischen Effekte, die so durch die Form bedingt sind, die sehen wir eben in unseren Experimenten oft im Vordergrund.

Anja Krieger: Das heißt, eigentlich kann das auch gut sein für die Pflanzen, die darauf wachsen? Könnten wir vielleicht mehr Lebensmittel herstellen?

Matthias Rillig: Nein, so läuft es nicht. Also, ich meine, Das ist ein bisschen schwierig zu erklären, aber ein Effekt, der positiv ist, das heißt nicht notwendigerweise wünschenswert. Denn ein Effekt, der positiv ist, kann sich zum Beispiel auf der nächsthöheren ökologischen Ebene durchaus negativ auswirken. Das haben wir auch gezeigt. Also wenn zum Beispiel Pflanzenwachstum positiv ist auf einer Einzelpflanzenebene, dann ist das auch noch positiv, wenn wir eine ganze Lebensgemeinschaft haben. Aber in der Lebensgemeinschaft verschiebt sich eben die Zusammensetzung der Arten und mitunter in eine Richtung, die nicht wünschenswert für uns ist. Zum Beispiel, dass da invasive Arten eher gefördert werden oder so was. Da sind wir gerade noch dran, das genauer noch zu erforschen. Aber deswegen muss man vorsichtig sein mit positive Effekte. Der Wert ist wird eben größer. Das heißt nicht notwendigerweise, dass die Effekte positiv sind. Also CO2 und Stickstoffeintrag aus der Atmosphäre hat ja auch positive Effekte, genauso wie Erwärmung. Aber keiner würde sagen, das ist toll. Also das ist einfach, muss man auseinanderhalten. Ja, und wenn der Pflanze besser wächst, heißt das nicht unbedingt, wenn es eine Kulturpflanze ist, dass dann zum Beispiel der Nährstoffgehalt auch steigt, Der könnte zum Beispiel sinken. Also die Effekte sind komplizierter. Nur weil das Pflanzenwachstum gefördert ist, heißt das nicht, dass es wünschenswert ist.

Anja Krieger: Gehen wir mal an die andere Seite der Kette: Wie kommt das Plastik eigentlich in die Böden? Was für Sachen, welche Produkte landen da?

Matthias Rillig: Ja, Plastik ist ja wirklich überall. Also wir sind ja wirklich umgeben von Plastik und deswegen kommt natürlich aus unterschiedlichsten Quellen Plastik in den Boden. Also wir fangen mal beim Reifenabrieb in der Nähe von der Straße, weggeworfener Abfall von irgendeinem Plastikbecher, der dann zerfällt und einfach kleiner wird und dann irgendwann Mikroplastikgröße erreicht. Und wenn wir auf dem Acker stehen, dann haben wir noch ganz andere Eintragspfade. Dann haben wir eben Kompost zum Beispiel oder andere Düngemittelgaben oder aus dem Bewässerungsmaterial oder zum Teil auch die Dünger selber enthalten dieses Material. Und selbst wenn man gar nichts macht, dann regnet es einfach aus der Atmosphäre runter. Hauptsächlich Fasern bei uns, weil die so leicht sind und deswegen leicht in die Luft kommen. Wir hatten uns aber noch einen ganz anderen Eintragspfad überlegt, nämlich Farbe. Also ich wusste nicht, dass die Bindemittel in Farben auch Plastik sind. Und da sind wir eben in Berlin in den Mauerpark gegangen und haben dort mal untersucht, können wir Pigment-Mikroplastik-Partikel im Boden nachweisen, so in sieben Meter Entfernung. Das heißt, wir haben nicht genau das abgekriegt in unseren Proben, was direkt an der Wand abläuft, sondern wahrscheinlich eher von den Graffiti-Künstlern diese Aerosole, die beim Sprühen einfach produziert werden. Und das ist uns tatsächlich auch gelungen. Dazu mussten wir das Nachweisverfahren ändern, also normale Nachweisverfahren erfassen diesen Typ von Plastik nicht. Und da hatten wir eben sehr große Konzentrationen gefunden. Das heißt ja, wir müssen uns nur mal umschauen, wo überall um uns herum Farbe ist, überall. Also in der Stadt sowieso. Das wird eben auch eine Quelle von Mikroplastik sein. Also es gibt wirklich sehr, sehr viele Quellen von Mikroplastik.

Anja Krieger: Ja, Plastik umgibt uns überall, ist aber eben dann trotzdem nur ein Faktor globalen Wandels. Wie sind denn dann die Ergebnisse von euren Experimenten ausgegangen, wo ihr euch angeguckt habt, wie das alles interagiert miteinander?

Matthias Rillig: Die Experimente zeigen bisher wirklich sehr übereinstimmend, dass die Zahl der Faktoren, also einfach nur wie viele da sind, dass wirklich sehr viele der Effekte erklärt. Natürlich nicht alles. Also man kann mehr erklären, wenn man weiß, welche Faktoren sind da, klar. Aber einfach die Zahl der Faktoren zu kennen, dass das schon so viel voraussagt, das ist wirklich erstaunlich.

Anja Krieger: Finde ich auch. Und das, was man dann mitnehmen kann aus dieser, aus diesen Experimenten ist eigentlich. Je mehr Stressfaktoren wir auf die Böden geben, desto stärker die Bedrohung für sie. Und das kann man natürlich auch umdrehen und sagen: Je mehr Faktoren wir wegnehmen, desto besser.

Matthias Rillig: Genau. Wir haben das ja hier nur quasi in einem Boden untersucht. Wir haben aber seither auch so eine dieser globalen Synthesen gemacht, wo wir über 200 Ökosysteme global untersucht haben, eben mit Daten, die dort erhoben worden sind. Das sind keine Experimente gewesen, sondern einfach nur Datenerhebungen. Und da konnten wir eben auch dieses Signal erkennen in diesem Datensatz, dass die Zahl der Faktoren, die einen bestimmten Schwellenwert überschritten haben, in diesem Fall eben auch die Ergebnisse zum Teil sehr gut erklären kann. Das heißt, man kann daraus ableiten, dass es sicherlich sinnvoll ist, wenn man die Zahl der Faktoren verringert durch entsprechende Regelungen.


Anja Krieger: Man hört ja auch von diesen Pilzen, die Kunststoffe verstoffwechseln können, also fressen können. Praktisch in gewisser Weise. In der SCHIRN gibt es auch ein Kunstwerk dazu, wo eben so ein großer Styroporblock steht und dann wächst da so ein Pilz raus, der wohl nachgebildet ist diesem Pilz, der das kann. Du erforschst ja auch Pilze, das sind ja deine, sozusagen deine Lieblingsorganismen. Siehst du da irgendwie ein Potenzial, dass die Böden von den Pilzen, zum Beispiel vom Plastik gereinigt werden könnten?

Matthias Rillig: Also meine ehrliche Antwort ist nein. Ja, ich bin da der Meinung, Pilze sind natürlich großartig und können alle unsere Probleme lösen. Aber jetzt in dem Fall. Na ja, es ist schwierig, weil, wenn es eine bestimmte Substanz wäre, dann würde ich sagen, okay, da kann man was trainieren und man kann was in einem Labor erzeugen. Wenn man es dann wirklich in den Boden lässt, dass es vielleicht dort sich durchsetzt und tatsächlich diese eine Verbindung abbaut, meinetwegen. Das klappt aber auch oft schon nicht, eben weil dein Lieblingsorganismus, der diese bestimmte Substanz abbauen kann, vielleicht sich einfach in dem Boden nicht durchsetzt. Das ist nicht selten. Das heißt, schon bei einfachen Substanzen funktioniert es oft nicht. Und jetzt soll das funktionieren mit diesem riesigen, unüberschaubaren Substanz- und Partikelgemisch, das da Mikroplastik ist? Das halte ich für ziemlich aussichtslos. Ich glaube, wir werden das nicht loskriegen. Ist vielleicht zu pessimistisch. Und vielleicht, wenn es noch länger Zeit hat zu evolvieren, dann können vielleicht, naja, Isolate entstehen, die das besser abbauen können, weil ein gewisser Selektionsdruck, dafür ein bislang ungenutztes Substrat benutzen zu können, ist ja da. Also wer das benutzen kann, hätte einen Vorteil. Aber da ist glaube ich noch viel Arbeit und ich bin da pessimistisch.

Anja Krieger: Für das noch ein paar Jahr Millionen ins Land dauern wird, bis das der Fall ist. Okay, dann bleibt uns also nichts, als dass wir dann doch irgendwie ändern müssen, wie wir diese Kunststoffe benutzen und in die Welt geben. 

[Musik Plas­ti­city von Blue Dot Sessi­ons]

Anja Krieger: Das war Folge 2 unserer Mini-Serie “Living in a Plastic World”. Zu Gast waren Martin Wagner und Matthias Rillig. In der nächsten Folge schauen wir uns an, wo die großen Hebel sind, um das Plastikproblem zu lösen: In der Politik. Dazu sprechen wir mit der Meeres- und Plastikforscherin Melanie Bergmann und dem Politikwissenschaftler Per-Olof Busch. Wir würden uns freuen, wenn ihr wieder dabei seid!

Dieser Podcast ist eine Produktion der Schirn Kunsthalle Frankfurt zur Ausstellung PLASTIC WORLD, zu sehen bis zum 1. Oktober 2023. Hört euch auch unsere erste Folge an, in der wir die Ausstellung mit der Kuratorin Martina Weinhart besucht haben. Darin erzählt sie auch mehr über das Kunstwerk mit dem plastikfressenden Pilz von Tue Greenfort (, über das wir gesprochen haben). Wenn euch der Podcast gefällt, schreibt uns eine Bewertung und teilt ihn mit euren Freund*innen. Mehr über die faszinierende Welt der Böden könnt ihr im Podcast “Life in the Soil” hören, den Matthias Rillig und ich mit seinem Labor produziert haben. Alle Links zu dieser Folge findet ihr in der Beschreibung und weitere Informationen auf www.schirn.de . Bis bald zur dritten und letzten Episode der “Plastic World” hier im Schirn-Podcast!

PLASTIC WORLD IN 3D

PLASTIC WORLD

22. JUNI – 1. OKTOBER 2023

Mehr Infos zur Ausstellung