Die SCHIRN zeigt ab dem 3. Februar das vielfältige Œuvre von Niki de Saint Phalle in einer umfassenden Überblicksausstellung. Wer beim Namen der visionären Künstlerin jedoch ausschließlich an „Nanas" denkt, hat weit gefehlt – ein Blick auf die Vielfalt ihrer Kunst.

1. Provokante Performances und Happenings

Erste Bekanntheit erlangte de Saint Phalle Anfang der 1960er-Jahre mit ihren Schießbildern. In provokanten Performances schoss sie vor Publikum mit einem Gewehr auf präparierte weiße Gipsreliefs mit verspachtelten Farbelementen, die sie damit regelrecht zum Bluten brachte. Diese Aktionen führten 1961 zu ihrer Aufnahme als einzige Künstlerin in die Gruppe der „Nouveaux Réalistes“ um Pierre Restany, die die abstrakte Kunst der Nachkriegszeit ablehnten und eine neue Verbindung zwischen Kunst und Realität forderten. Essenziell für die Werkserie der Schießbilder ist die Auflösung der strikten Trennung zwischen Künstlerin, Werk und Publikum. Besucherinnen und Besucher, aber auch Künstlerkollegen wie Pierre Restany, Jasper Johns, Robert Rauschenberg oder Edward Kienholz nahmen aktiv an den Happenings teil, schossen auf die Bilder und wurden so zu Mitwirkenden an einem zerstörerischen und zugleich schöpferischen, gesellschaftskritischen Akt. 

Niki de Saint Phalle bei der 800-Jahr-Feier von Notre-Dame in Paris mit einer Schießaktion, 1963, Foto © Dalmas / SIPA, Werk © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris
2. Monströse Frauen

Ab 1963 entwickelte de Saint Phalle zunehmend figürliche Assemblagen, die sich mit weiblicher Identität auseinandersetzen. Obwohl sich die Künstlerin nicht aktiv an der aufkommenden zweiten Frauenbewegung beteiligte, nahm sie in ihren Werken zentrale Aspekte der feministischen Kunstbewegung vorweg. Mit Arbeiten wie „Nackte Frau (Figur), „Die rosa Geburt“ oder „Altar der Frauen“ erschuf sie imposante wie auch monströse Frauengestalten. Betont weiblich und bedeckt von Plastikspielzeug und Fundobjekten beleuchten die Plastiken die Potenz der Frau und hinterfragen zugleich kritisch traditionelle Rollen als Ehefrau, Mutter und sexualisierter Körper in der westlichen Nachkriegsgesellschaft.

Niki de Saint Phalle, Autel des femmes (Altar der Frauen), 1964 © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris
3. Ein „Jubelfest der Frauen“

1965 stellte de Saint Phalle in Paris erstmals die neue Werkserie der „Nanas" vor, die sie als ein „Jubelfest der Frauen“ bezeichnete. Anders als die frühen Assemblagen verkörpern die in leuchtenden Farben bemalten, üppigen und oft schwangeren Frauenfiguren mit prallen Brüsten, großen Hinterteilen und kleinen Köpfen Lebensfreude und Stärke und rufen ein von Unterdrückung befreites Matriarchat aus. In der Folge entstanden „Nanas" in vielen Ausführungen, in unterschiedlichen Materialien, Größen und Farben, als Skulpturen im öffentlichen Raum oder als begehbare „Nana-Häuser“. Für das Moderna Museet in Stockholm realisierte die Künstlerin 1966 zusammen mit Per Olof Ultvedt und Jean Tinguely die Großskulptur „Hon – En Kathedral“ ( z.Dt. „Sie – Eine Kathedrale"), eine durch die Vagina begehbare Nana, in deren Inneren sich ein Vergnügungspark für Erwachsene u. a. mit Milchbar, Kino und Ausstellungen befand. Als Gegenserie zu den befreiten Nanas konzipierte die Künstlerin in den 1970er-Jahren „Die verschlingenden Mütter“, die den Konventionen verhaftete alternde Frauen darstellen.

Niki de Saint Phalle, Nana rouge jambes en l'air, um 1968 © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris
4. Architekturale Skulpturen im öffentlichen Raum

Die Faszination für architekturale Skulpturen begleitete de Saint Phalle hingegen seit Beginn ihres künstlerischen Schaffens. Bereits in den 1950er-Jahren hinterließen Besuche u. a. des Park Güell von Antoni Gaudí in Barcelona und des Palais idéal von Ferdinand Cheval in Hauterive in Frankreich einen nachhaltigen Eindruck. Die Absicht, Kunst in das Leben der Menschen zu integrieren, zieht sich in unterschiedlicher Form durch ihr Werk, als Motiv in den frühen Gemälden bis zu Gebäuden, Spielhäusern für Kinder und Skulpturen-Parks. Ab 1975 widmete sie sich verstärkt dem Tarotgarten, der zu ihrem künstlerischen Vermächtnis wurde. Über 20 Jahre arbeitete sie an diesem Großprojekt, das sie selbst finanzierte und an dem u. a. Jean Tinguely, Seppi Imhof und Rico Weber mitwirkten. Der Garten wurde am 15. Mai 1998 eröffnet und umfasst 22 teilweise begeh- und bewohnbare Monumentalskulpturen, die mit farbigen Mosaiksteinen, Keramik- und Spiegelscherben verkleidet sind.

Niki de Saint Phalle, Jardin des Tarots (Tarotgarten), 1991 © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris
5. Politisch versiert und noch immer aktuell

Die Auseinandersetzung mit politischen Themen findet sich ebenfalls in allen Schaffensphasen der Künstlerin. Ihre Schießbilder entstanden während des Algerienkrieges, der Kubakrise und der nuklearen Bedrohung im Kalten Krieg. In den 1980er-Jahren beteiligte sie sich als eine der ersten Künstlerinnen mit Aufklärungskampagnen am Kampf gegen AIDS. In diesem Kontext schuf sie auch die in der SCHIRN gezeigten Skulpturen „Trilogie der Obelisken“ und „Schädel, Meditationsraum“. 2001 gestaltet de Saint Phalle in den USA eine Serie von Grafiken, die sich in eine lange Reihe piktografischer Briefe seit den 1960er-Jahren einfügt. Hierin verhandelte die Künstlerin öffentliche Diskurse u. a. in den USA, die bis heute relevant sind, wie etwa die mangelnde Regulierung der Waffenindustrie oder die Auseinandersetzung um Abtreibung und das Recht der Frau auf körperliche Selbstbestimmung. In „Globale Erwärmung" kritisiert de Saint Phalle die Politik des damaligen republikanischen Präsidenten George W. Bush, der für sie die Vernachlässigung der Umweltprobleme verkörperte.

Niki de Saint Phalle, Global Warming (Globale Erderwärmung), 2001 © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris

NIKI DE SAINT PHALLE

03. FEBRUAR – 21. MAI 2023

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