Im Deutschen Exilarchiv 1933–1945 liegen, (noch) unerzählt und in säurefreies Papier eingeschlagen, die Geschichten von Menschen auf der Flucht vor den Nationalsozialisten. Ein Blick in die Zeugnisse von denen, die gehen mussten.

Nur wenige U-Bahnstationen von der Schirn entfernt, wo in der Ausstellung „KUNST FÜR KEINEN- 1933–1945“ Werke von Künstler*innen gezeigt werden, die während des Nationalsozialismus abseits des Regimes und zumeist ohne Publikum weiterarbeiteten, befindet sich das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek. Hier liegen die teilweise noch unerzählten Geschichten derer, die während des Nationalsozialismus zur Flucht aus Deutschland gezwungen wurden.



Das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek (DEA) wurde kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges von exilierten Menschen mitgegründet und hat den Auftrag, die Erfahrung von Flucht und Exil in seiner politischen Bedeutung zu begreifen und die Erinnerung daran lebendig zu halten. Das DEA sammelt, erschließt und erhält Material, das die deutschsprachige Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus bezeugt. Dabei ist Status oder Prominenz der Menschen nicht ausschlaggebend. Das DEA sammelt die Nachlässe von allen Menschen, die eine Fluchterfahrung gemacht haben. Dadurch entsteht eine multiperspektivische Erzählung, die Aufschluss über Fluchtrouten, personelle oder institutionelle Netzwerke und Zusammenhänge gibt, aber auch ganz persönliche Geschichten von Trennung, Schmerz, Abschied und manchmal auch vom Wiedersehen beinhaltet.

Außenansicht der Dauerausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933-1945, Foto: DNB, Stephan Jockel CC-BY 4.0

Die Ausstellung „KUNST FÜR KEINEN. 1933–1945“ beschäftigt sich mit der gegenteiligen Perspektive: Sie zeigt 14 Künstler*innen, die während des Nationalsozialismus in Deutschland blieben. Für sie wurde im deutschen Nachkriegsdiskurs das Narrativ der „Inneren Emigration“ etabliert, das die Ausstellung kritisch in den Blick nimmt. Denn nachträglich lässt sich kaum feststellen, wer sich dem Regime entziehen konnte oder gar widerständig verhielt.

Die individuellen Biografien der Künstler*innen werden im Ausstellungsraum in ihren Widersprüchen und Ambivalenzen beschrieben. Die Präsenz der Werke weist in diesem Kontext auch immer auf eine Abwesenheit hin und drängt die Frage auf: Wie lässt sich das Leben und Arbeiten der Künstler*innen neben all denen verorten, die zur selben Zeit aus Deutschland fliehen mussten?



KUNST FÜR KEINEN. 1933–1945, Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2022, Foto: Norbert Miguletz

Eine Vorstellung vom Leben der Exilant*innen und der Bedeutung von Flucht versucht die Dauerausstellung des DEA  „Exil. Erfahrung und Zeugnis“ sowie wechselnde Sonderausstellungen und die Onlineausstellung „Künste im Exil“ zu geben. Hier werden Teile der über 300 persönlichen Nachlässe umfassenden Sammlung präsentiert und kontextualisiert. Die Nachlässe bestehen aus Briefsammlungen und Korrespondenzen, Zeitungsausschnitten, Manuskripten, Akten, Fotografien und persönlichen Dokumenten, Tagebüchern oder Poesiealben, Koffern und anderen Gegenständen. 

Es sind diese überlieferten Zeugnisse und die in den Nachlässen sichtbaren Überlieferungslücken, die Geschichten von Flucht und Exil bezeugen. Manche Antworten liegen in dem, was nicht übermittelt wurde, in dem Verlorengegangenen, dem Vernichteten, in der Randnotiz oder in den Knickspuren, die ein Papier aufweist. Viele Geschichten liegen jedoch (noch) unerzählt und in säurefreies Papier eingeschlagen, geschützt von Mappen und sortiert in Archivschachteln im dritten Untergeschoss der Deutschen Nationalbibliothek. In den unterirdischen Gängen ist es niemals wärmer oder kälter als 18 Grad und es riecht nach Papier und alten Büchern. Dort unten liegt z.B. auch das Zeugnis einer Begegnung von einem, der blieb, und einem, der gehen musste:

Detailaufnahme in der Dauerausstellung des Deutschen Exilarchivy 1933-1945, Foto: DNB, Stephan Jockel CC-BY 4.0
Die Dauerausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933-1945, Foto: Anja Jahn Photography/Anja Jahn
Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Nachlass Eric Schaal, EB 2003/051, © Weidle-Verlag, Bonn

Eric Schaal flüchtete 1936 ins Exil nach New York und begann in dieser Zeit Portraits von für ihn wichtigen Denker*innen aus Kunst und Wissenschaft zu sammeln. Darunter ist auch Otto Dix, dessen düstere, doch unverfängliche Landschaftsmalereien in „KUNST FÜR KEINEN. 1933–1945“ zu sehen sind. Eric Schaal und Otto Dix trafen im Jahr 1960 aufeinander. Die Begegnung wurde mit mehr als einer Filmrolle dokumentiert. Auf einem der Fotos steht Otto Dix in seinem Wohnzimmer vor einem samtbezogenen Sofa. Mit vor Lachen fast geschlossenen Augen blickt er in Eric Schaals Kamera. Sein Gesicht ist von Falten gezeichnet, die von seinem Leben als solchem und seinem Lachen im Moment der Aufnahme erzählen. In dem zwischen Schaal und Dix ausgetauschten Blick scheint eine Vertrautheit und ein versöhnliches Einverständnis zu liegen.

Anhand von Eric Schaals Nachlass mit der Nummer NL 189 lässt sich die Faszination für Archive im Allgemeinen und für das Deutsche Exilarchiv im Besonderen gut nachvollziehen. Hier liegen nicht nur die Zeugnisse von realen Geschichten und die Spuren des Vergessenen, sondern auch ein unerschöpfliches Potenzial an Geschichten, die sich imaginieren und noch erzählen lassen.

KUNST FÜR KEINEN. 1933–1945

4. März – 6. Juni 2022

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