Das Bildhauerkollektiv D665 zeigt in Offenbach und Frankfurt eine zweiteilige Ausstellung, die Räume in experimentelle Bühnen verwandelt.
Angekündigt wurden sie als „Filmsets, die unentschlossen bleiben, ob sie Rock- oder Metalkonzert, Supergroupdoku, Theaterraum oder Klischeekino sein wollen“. Die Ausstellungen „89 Vorhänge“ und „Preshowritual“ des Bildhauerkollektivs D665 sind aufeinander bezogen, und sie finden kurz nacheinander statt. Ihr verbindendes Element ist ein dunkelblauer Vorhang, der in unterschiedlichen Konstellationen an beiden Spielorten auftaucht, den Raum gliedert und eingrenzt. Wobei der herkömmliche Begriff „Ausstellung“ nicht ganz auf das experimentelle Format zutrifft.
Denn es sind keine statischen Exponate zu sehen, die einen weitgehend passiven Betrachter voraussetzen. Vielmehr schaffen die sieben beteiligten Künstler und Künstlerinnen (Maria Anisimowa, Dennis Siering, Magali Laurent, Malte Zenses, Sven Prothmann, Emilia Neumann und Lutz Pillong) soziale und räumliche Situationen. Man könnte auch von Erfahrungen sprechen. Nur für einen Abend zeigten sie kürzlich in der Offenbacher Ateliergemeinschaft „STATION“ den ersten Teil der Doppelausstellung. Die Besucher fanden den Raum, ein ehemaliges Ladengeschäft, von dem eingangs erwähnten blauen Vorhang umrahmt vor.
Sphärisch-schrille Klänge
Der Vorhang definierte eine Art Backstage-Bereich. Im Ausstellungsraum waren dicht an dicht mehrere Sitzmöbel, unter anderem eine Autorückbank und eine Kinositzreihe, aufgestellt. Auf diversen Podesten und Tischen fanden sich über 80 Gegenstände aller Couleur, die zwischen Fundstück, Requisite und künstlerischem Objekt changierten. Die Auswahl der Gegenstände wirkte zufällig, denn was verbindet schon ein Theremin mit Kühlakkus und einer Spielzeugpistole? Die Besucher sollten an diesem Abend zu Akteuren werden. Sie waren aufgerufen, die Gegenstände und Möbel aktiv zu nutzen.

Zunächst nahmen sie das Angebot eher zaghaft an. Das änderte sich im Verlauf des Abends. Immer wieder sorgte das Theremin, ein Musikinstrument, das ohne Berührung gespielt werden kann, für sphärisch-schrille Klänge. In einem Holzkasten fanden sich zudem Karteikarten, die sämtliche Objekte katalogisierten. Von einigen Besuchern wurden sie um kurze Texte und Geschichten ergänzt. „89 Vorhänge“, das war auch und vor allem ein ausgelassenes künstlerisches (Familien-)Treffen. Eine offene Versuchsanordnung, aus der ein Fest wurde. Früher hätte man von einem Happening gesprochen.
Ein leerer Bühnenraum
Der zweite Teil der Ausstellung findet im „fffriedrich“, einem Experimentierraum des Frankfurter Masterstudiengangs „Curatorial Studies – Kuratieren und Kritik“, statt. Die Schau hat eine reguläre Laufzeit von vier Wochen. „Ich finde es interessant, über die Idee der Ausstellung nachzudenken“, sagt Hendrike Nagel, Kuratorin der Schau. Nach einer Gruppenausstellung und einem Performance-Festival ist „Preshowritual“ die nunmehr dritte Präsentation im 2016 gegründeten, studentisch betreuten Raum. Es sei keine thematische Schau, betont Nagel.

„Ein leerer Bühnenraum“ werde im „fffriedrich“ entstehen, kündigt Sven Prothmann vom Bildhauerkollektiv D665 an. Objekte spielen im Vergleich zur Offenbacher Ausstellung eine weit geringere Rolle. Der blaue Vorhang schlängelt sich diesmal durch den ganzen, ohnehin sehr kompakten Raum. Er lässt lediglich das Schaufenster frei, das einen Einblick von außen ermöglicht. Dominiert wird die Ausstellung von einer vor Ort aufgebauten Raumskulptur, die vom Material und von ihrer Bauweise her an eine Bühne erinnert. Die Ausstellung sei „eine Interaktion mit dem Raum“, erläutert Prothmann.
Gerade in dieser Hinsicht erinnert „Preshowritual“ an eine Rauminstallation, die D665 und die Künstlergruppe YRD.Works im vergangenen November entwickelten. Sie zogen neun Zwischenwände in die Offenbacher Kressmannhalle ein und verwandelten den Ausstellungsraum in einen Parcours, der beim Betreten an Arbeiten von Gregor Schneider oder Bruce Nauman denken ließ. Von außen erinnerte die belebte Szenerie an eine in mehrere Segmente aufgeteilte Theaterbühne. Auch diesmal wird der Raum zum eigentlichen Kunstwerk, zur Quelle einer Erfahrung. Denn es wird buchstäblich eng dort. Der Besucher wird sich mal vor, mal hinter, mal inmitten von Vorhang und Bühne finden.

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