Die Utopien von heute kommen aus dem Computer und die Welt von morgen entsteht zuerst als Simulation. Wie klein der Schritt vom Rendering zur Realität ist zeigt Manuel Roßners Ausstellung im 1822 Forum.

Falls es im White Cube Rohre gibt, sind sie garantiert nicht zu sehen, denn in den heiligen Hallen des Kunstbetriebs sind die Wände maximal neutral. Die Kunst soll ablenkungsfrei dastehen. Manuel Roßner geht mit seiner Ausstellung “Ultralight Beam” gegen die Logik der weißen Wand vor, zumindest virtuell und im “1822-Forum” der Frankfurter Sparkasse. Ohne die Virtual Reality-Brille sind in dem Raum nur zwei silberne Säulen zu sehen, mit der Virtual Reality-Brille finden sich die Besucher inmitten von bunten Rohren wieder.

Mittlerweile ist Roßners Float Gallery nach Berlin umgesiedelt. Aber wer seine digitalen Ausstellungsräume in Offenbach, Frankfurt oder im Internet gesehen hat, weiß, dass er sich bisher vor allem mit White Cubes befasst hat. Früher renderte er weiße Zellen, in denen digitale Kunstwerke Platz fanden. Mit der fünften Ausstellung sind die neutralen weißen Wände in der Float Gallery passé.

Die Ästhetik von Infrastruktur

“Das ist eine Umkehrung des White Cube”, sagt er. Dick, bunt und beinahe unverschämt machen sich die Rohre breit. In einem Rokoko-Schloss, in einem Museum — dessen Architektur sicher nur zufällig ans Frankfurter MMK erinnert —, in einer leergeräumte Bibliothek mit Sichtbetonwänden. Das lässt die Besucher vergessen, wo sie sich eigentlich befinden. Ein wenig erinnern die virtuellen Räume an postmoderne Architektur, zum Beispiel ans Centre Pompidou in Paris mit seinen nach außen gestülpten Versorgungsleitungen, oder an moderne Industriebauten, wo nichts von der Infrastruktur verborgen wird.

Manuel Rossner, Ultralight Beam, Copyright the artist, 2017

Nur sind die gerenderten Rohre rätselhafte Objekte, die in ihrer Komplexität erst einmal nicht zu durchschauen sind. Roßner: “Mich interessiert diese ganz eigene Ästhetik von Infrastrukturen. Früher gab es Gas- und Wasserleitungen, und jetzt hast du noch Internet dazu. Das ist überall, man sieht es nur nicht. Der Altbau ist immer noch toll, hat aber jetzt W-Lan.” Die Infrastruktur ist komplex, aber unsichtbar.

Ein bisschen Utopie

Und warum sind die Rohre so bunt? “Die Farben sind das Weiß der CAD-Software”, sagt Roßner. CAD steht für Computer Aided Design. Und die Farben dienen dazu, die Rohre und Leitungen besser zu unterscheiden — beim digitalen Modell und beim fertigen Objekt. Die Rohrlandschaften sind in dem Programm 3D-Studio Max entstanden. Damit erstellen normalerweise Architekten und Ingenieure digitale Modelle, und die meisten Objekte, die uns täglich umgeben, werden zuerst als virtuelle Modelle entworfen. Das gilt vom Handy bis zum Wohnhaus.

Manuel Rossner, Ultralight Beam, Copyright the artist, 2017

Für die Animation seiner Rohrleitungen hat der Künstler ähnliche Programme benutzt wie die Ingenieure, die den Kernfusionsreaktor Wendelstein 7-X in Greifswald entworfen haben. Mit dem experimentellen Reaktor möchte das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik herausbekommen, ob Kernfusion kraftwerkstauglich ist. Mit anderen Worten: Hier soll erprobt werden, wie fast unbegrenzte Energieerzeugung in Zukunft ohne Atommüll und ohne großen Energieverlust stattfinden kann. So ein Projekt beginnt als Rendering, bevor es Realität wird.

Bessere Welt durch Technologie

Ob im Silicon Valley oder in Greifswald, Utopien mittels Technologie sind wieder schwer in Mode. “Eine Gesellschaft jenseits der Arbeit, gegründet auf einer umfassenden Automatisierung der Wirtschaft”, das wünschen sich die britischen Philosophen und Utopisten Nick Srnicek und Alex Williams. Dieses Thema taucht in Roßners Arbeiten immer wieder auf: die Möglichkeit einer besseren Welt durch Technologie. Eine unsichtbare Grundversorgung für alle, ohne dass man sperrige Rohre hinter weißen Wänden verstecken müsste. Zumindest in der immersiven virtuellen Realität ist das ganz leicht — ultralight.

Manuel Rossner, Ultralight Beam, Copyright the artist, 2017