Wo früher Schmuck und Uhren zum Verkauf angeboten wurden, wird heute Kunst ausgestellt, Musik gemacht und bei Getränken gequatscht: Das Diamant Offenbach lädt junge wie alte Menschen dazu ein, über Kunst und Kultur ins Gespräch zu kommen.

Spielzeug-Autos an Goldketten, kleine Whiskey-Flaschen zum Umhängen und sternförmige Metallelemente, die mehr an Werkzeug als an Schmuck erinnern: In den Auslagen des Juweliergeschäfts, das die Familie Hunder bis vor kurzem in der Offenbacher Innenstadt betrieb, tummeln sich kuriose Objekte. Wo früher Schmuck und Uhren zum Verkauf angeboten wurden, wird seit November Kunst ausgestellt, Musik gemacht und bei Getränken gequatscht. HfG-Professor Heiner Blum und seine Studierenden aus dem Lehrgebiet ‚Experimentelle Raumkonzepte‘ haben den Traditionsladen in einen sozialen Treffpunkt verwandelt, der junge wie alte Menschen dazu einlädt, über Kunst und Kultur ins Gespräch zu kommen. Von Donnerstag bis Sonntag ist das Museum of Urban Culture für die Öffentlichkeit zugängig, unter der Woche werden die Räumlichkeiten zur ‚Diamanten-Schule‘ umfunktioniert. Doch was ist es genau, das Besucher*innen auf vier Etagen sehen und lernen können? Und mit welchen Raumkonzepten wird hier experimentiert?

Eröffnung Diamant Offenbach, Foto: Heiner Blum

Wer durch die Glastür mit dem Diamanten-Logo schreitet, findet sich in einem Ladenlokal mit Theke, Einbauschränken und Wandablagen wieder. Die HfGler*innen ließen sich vom Hunderschen Schmuckhandel nicht nur zu dem Namen ‚Diamant Offenbach‘ inspirieren, sondern übernahmen auch einen großen Teil des Mobiliars. Auf hochglanzpolierte Vitrinen, Sockel und weiße Farbe für die mit Bohrlöchern und Flecken übersäten Wände wurde größtenteils verzichtet, die speziell für das Museum erworbenen Stühle und Tische sind transparent. Dem Team Diamant war es wichtig, so wenig wie möglich an dem Gebäude zu verändern, das ihnen vom neuen Eigentümer zur Zwischennutzung zur Verfügung gestellt wurde. Neben Sitzgelegenheiten, DJ Set und Kühlschränken sind es daher vor allem Wechsel-Ausstellungen und Installationen, die die Räumlichkeiten immer wieder anders erscheinen lassen.

Experimentelle Raumkonzepte – von New York bis Offenbach

Die Auseinandersetzung mit der baulichen Substanz, Ästhetik und Funktion des Gebäudes erinnert an die selbstverwalteten Kunsträume im New York der 1970er- und 80er-Jahre. Während der Architekt und Konzeptkünstler Gordon Matta-Clark mit Carol Goodden und anderen Gleichgesinnten in einem Imbiss in SOHO das alternative Restaurant und Kunstprojekt FOOD betrieb, experimentierten die Mitglieder des Kollektivs Colab mit temporären Ausstellungen in leerstehenden Gebäuden. Bei der „Times Square Show“ (1980) wurden Künstler*innen eingeladen, in einem ehemaligen Massage-Salon Werke zu zeigen – wobei explizit um Kommentare zur Gegend um den Times Square gebeten wurde.

Foto: Heiner Blum
Foto: Sonja Rychkova

Innenansicht der Times Square Show, 1980, Image via collaborativeprojects.wordpress.com

Für die HfGler*innen ist Fashion Moda eine besonders wichtige Referenz. In der Wallpaper Gallery im Treppenhaus zeigen sie mehrere Aufnahmen aus jenem Projektraum in der South Bronx, der sich mit Ausstellungen von Graffiti-Künstler*innen und Kindern in der Nachbarschaft zu verankern suchte. Fashion Modas Interesse an der Zusammenarbeit mit Kindern und Bewohner*innen des Viertels lässt sich mit dem niedrigschwelligen Ansatz der Offenbacher Initiative in Verbindung bringen. So öffnen die HfGler*innen das Museum im Rahmen der Diamanten-Schule nicht nur für Schulklassen, sondern bieten in der hauseigenen Diamanten-Akademie auch Workshops und Vorträge an. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, ihrer Kreativität in den Museumsräumen Ausdruck zu verleihen. Die Public Gallery im Obergeschoss ist mit Klapprahmen ausgestattet, in denen Besucher*innen ihre eigenen Kunstwerke präsentieren können. Die Verpackungen und Eintrittskarten, die hier neben Zeichnungen hängen, mögen nicht von allen als ‚Kunst‘ gelesen werden, lassen sich aber als Teil der ‚Urban Culture‘ verstehen, die das Museum zu bewahren verspricht. In ihrer Divergenz ähneln die Exponate der Ausstellung „The People’s Choice“ (1982), die in der Wallpaper Gallery zitiert wird. Für diese Schau delegierte das Kollektiv Group Material die Werkauswahl und somit die Zuschreibung des Prädikats ‚wertvoll‘ an die Nachbar*innen ihrer New Yorker Ladengalerie – eine Öffnung zum Publikum, die sich auch in Offenbach nachvollziehen lässt.

Fashion Moda 1981, South Bronx, NY, Image via en.wikipedia.org

Public Gallery, Foto: Heiner Blum
Ein postpandemischer Dialog mit den Stadtbewohner*innen

Der Versuch der HfGler*innen, einen Ort zu schaffen, der sozialen wie kulturellen Zwecken dient und das Zusammengehörigkeitsgefühl der lokalen Gemeinschaft stärkt, verweist gleichermaßen auf den postpandemischen Bedarf an Nähe und die zunehmend ausblutenden Innenstädte. Mit dem Raumexperiment wird beispielhaft vorgeführt, wie Stadtbewohner*innen leerstehende Läden als Plattform für Dialog und Austausch nutzen können. Neben der Public Gallery bietet auch die Public Library ein Forum, zu dem Besucher*innen unabhängig von Alter, Herkunft und Ausbildung beitragen können. Das Bibliothekssortiment enthält neben Texten und Gedichten auch kritische Anmerkungen zum Projekt. Nicht für Kunst und Kultur, sondern zur Unterbringung von Obdachlosen solle der Diamant genutzt werden, wird auf einem DinA-4-Blatt gefordert. Es sind derartige Kommentare, die zur Reflexion über städtische Probleme, aber auch die Vielfalt möglicher Lösungsansätze anregen.

 

Public Library, Foto: Vlada Shcholkina

Dass die öffentliche Gesprächs- und Debattenkultur, zu der die Public Library anregen will, auch Geschäftsleute miteinschließt, zeigt sich an den Exponaten aus der Geschichte des Hunderschen Schmuckhandels. Die Bild- und Textdokumente setzen den Juwelier Harald und seine Belegschaft in Szene, führen neben dem Verkaufsgestus aber auch den familiären Charakter des Unternehmens vor. Angesichts der Zeitungsartikel und gerahmten Gruppenbilder stellt sich fast ein bisschen Wehmut ein. Ist es nicht auch der Familienbetrieb, der als Ort des Small-Talks, der unerwarteten Begegnung und des Verhandelns im Museum of Urban Culture gesammelt, bewahrt und vermittelt wird?

Ein Spiel mit Raumkonzepten, eine Verhandlung von Werten

‚Urban Culture‘, das wird auf den vier Etagen des Stadthauses deutlich, umfasst mehr als die Hoodies und King-Of-Offenbach-Kappen, die im Erdgeschoss verkauft werden. Die utopischen Raum- und Stadtkonzepte, Gebäudeentwürfe und künstlerischen Interventionen in U-Bahnen, die in der Wallpaper Gallery neben Aufnahmen von legendären Projekträumen hängen, gehören ebenso dazu wie die Bilder, Texte und Alltagsrelikte aus der öffentlichen Galerie und Bibliothek. Wie sehr die kulturelle Zone der Straßengangs und Fußgänger*innen von monetären Tauschgeschäften bestimmt wird, bleibt dabei keinesfalls verborgen. Der Diamant wertet mit der Kabinettausstellung zu den Hunders nicht nur den Einzelhandel auf, sondern stellt sich mit Shop, Bar und Corporate Identity auch in die Reihe marktbewusster Kulturinstitutionen. Inwiefern bieten die HfGler*innen also eine ‚Alternative‘ zu den Konsum- und Musentempeln der Innenstädte, worin besteht das Experiment?

Foto: Heiner Blum
Foto: Heiner Blum

Vielleicht, so lässt sich mit Blick auf die Exponate und sozialen Prozesse im Museum Of Urban Culture mutmaßen, geht es weniger darum, Gegenmodelle aufzubauen als mit vorhandenen Raumkonzepten zu spielen – sie zur Schau zu stellen, zu kritisieren, humorvoll zu verbiegen und auf ihren Wert für Städte und Städter*innen des 21. Jahrhunderts zu befragen. Denn letztlich thematisiert der  Diamant genau das, was schon die Hunders beschäftigt hat: die Ermittlung und Verhandlung von Wert. Wer mitbestimmen möchte, was in Offenbach vergoldet wird, sollte sich allerdings zeitnah auf den Weg machen. Denn der Diamant ist nur noch kurze Zeit im Angebot. Schätzen Sie seinen Wert ein!

Oğuz Şen, Foto: Heiner Blum
Oğuz Şen, Foto: Heiner Blum

DIAMANT OFFENBACH / MUSEUM OF URBAN CULTURE

NUR NOCH BIS ZUM 16. JULI 2023

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