Kann das Zusammenleben von Mensch und Natur gelingen? Die Online-Ausstellung von Maya El Khalil zeigt Arbeiten von internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die sich mit den Auswirkungen der globalen Klimakrise beschäftigen.

Die Präsentation führt auf eine virtuelle Reise um die Erde, in die Tiefe von Regenwäldern und an die Ufer von Flüssen. In fünf Kapiteln verschmelzen 15 künstlerische Arbeiten zu einer Geschichte. Diese erzählt von Wechselwirkungen zwischen Mensch und nicht-menschlicher Natur, Umweltzerstörung und Klimawandel und bewahrt sich trotz allem eine eigene Poesie, die nicht zuletzt gleich im Beginn der Ausstellung begründet ist.

Das erste Kapitel der digitalen Reise nennt die Kuratorin Maya El Khalil „Subject of Rights“ und stellt damit den klassisch anthropozentrischen Subjektbegriff auf den Kopf. Der kolumbianische Fluss Atrato, der seit 2017 juristischen Persönlichkeitsstatus genießt, wird in fünf kurzen Dokumentationen in seinem Recht auf „Schutz, Konservierung, Instandhaltung und Restaurierung“ porträtiert. Die Initiative „Residencias Walden“ lud als Reaktion auf die juristische Ermächtigung des Gewässers sechs kolumbianische Filmemacher*innen ein, den Fluss zu bereisen.

Ein Fluss mit juristischem Persönlichkeitsstatus

Einer von ihnen ist Daniel Torres, der in seiner Videoarbeit „Surfaces“ immer wieder die Frage stellt: „If you were the river, how would you feel?” und damit auf die Subjektwerdung des Flusses hindeutet und gleichzeitig eine emotionale Identifikation mit ihm schafft. Die Kamera zieht langsam und fragmentarisch an den verdreckten Ufern des Flusses vorbei, quält sich durch die Trübheit des Wassers und die Tristesse der Gedanken der Uferbewohner*innen.

Daniel Torres, Surfaces (Superficies), 2020. Film still, Image via takemetotheriver.net

Begleitet von der Ruhe des Voiceovers stellt sich beim Zuschauen ein fast beklemmendes Gefühl ein, die Betrachtenden werden immer wieder gefragt, wie sie sich fühlen würden. Was würde es mit dir machen, so behandelt zu werden? Die Erzählstimme gibt eine einfache, wenngleich skurrile Antwort: „I would want to be able to be something else […] to be dancing under the rain in the middle of the street, happily forgetting about everything other than being there.” Dies verdeutlicht auf eindringliche Weise das Dilemma der gestellten Frage – mit der Vermenschlichung des Gewässers bleibt auch keine Vorstellungskraft für eine entmenschlichte Antwort. Die Fantasie des Sprechers reicht bis an die Grenzen seines eigenen Seins, für ihn möchte der Fluss ein menschliches Wesen sein, tanzend und alles vergessend. Dieses Voiceover ist einer der Momente, in denen die Arbeiten von „Take Me To The River“ ihren dokumentarischen Charakter ablegen und eine künstlerische Dimension erreichen, die die menschliche Sehnsucht nach der Natur karikiert.

Mit den Bildern der ausgebeuteten Flüsse im Rücken fällt die Überleitung zum Kapitel „Object of Abuse“ nicht schwer.  Die Vogelperspektive der Kamera, die in der Arbeit „The Coca Files“ von Diana Rico und Richard Decaillet über den Regenwald des Amazonas fliegt, führt zunächst die Schönheit unberührter Natur vor Augen und zeigt noch keine Zeichen des im Titel des Kapitels angesprochenen Missbrauchs.  

If you were the river, how would you feel?

Auszug aus Daniel Torres Video­ar­beit „Surfaces“

4 Direcciones / Diana Rico & Richard Deacaillet, The Coca Files, Image via takemetotheriver.net

Die Komplexität der globalen Krise und die Bedrohung dieser Unberührtheit zeigt sich in diesem Film auf besonders drastische Art und Weise. Der Kampf der kolumbianischen Regierung gegen den Handel mit Kokain führt zu einer irreparablen Zerstörung des Regenwalds und bedroht gleichzeitig das uralte Wissen und die Traditionen der Indigenen Bevölkerung. Auch hier wird eine Brücke zum ersten Kapitel geschlagen, wenn der Bewohner Aimema Urue erklärt, „Coca is a woman, it’s a person. She’s alive, she has feelings, she listens, she speaks“.

Im dritten Kapitel, „Nature Prosecutes“, verwandelt sich die Natur vom misshandelten Subjekt zur Rächerin. So porträtieren die Werke des Fotografen Arko Datto das Leben der Bewohner*innen im indischen Ganges-Delta. Die Fotografien lassen die Menschen zu Objekten werden, die den zerstörerischen Kräften der Fluten des Ganges ausgeliefert zu sein scheinen. Die jungen Männer lassen sich offenbar wehrlos von den braunen, gewaltigen Schlammlawinen des Flusses überwältigen. Die überzeichnete, grelle Farbigkeit, durch die vor allem Dattos Nachtaufnahmen aus dem nahegelegenen Mangrovenwald gekennzeichnet sind, lässt die Szenerien beinahe traumartig und surreal wirken. Datto schafft mit dieser Ästhetik einen Kontrast zu der von ihm abgebildeten Verwahrlosung. In dieser Arbeit zeigt sich besonders deutlich die Wechselwirkung zwischen wirtschaftlicher Armut und Naturphänomenen. Somit unterstreicht sie den Aspekt der Klimaungerechtigkeit, der durch die gezeigten Regionen der Erde greifbar gemacht wird.

Coca is a woman, it’s a person. She’s alive, she has feelings, she listens, she speaks.

Aimema Urue in „The Coca Files“ von Diana Rico und Richard Decail­let
Arko Datto, Terra Mutata, 2019, Goethe-Institut: Take Me to the River © Arko Datto 2019

Das Kapitel „Humanity Sentenced“ führt den Fokus zurück auf den Menschen als leidendes Subjekt. Eingebettet in Fotoarbeiten und Audiodateien zeigt die Videoarbeit „Moon Dust“ des ägyptischen Filmemachers Mohamed Mahdy die Auswirkungen der sich rächenden Natur. Der Film verdeutlicht den direkten Zusammenhang zwischen Umweltverschmutzung und menschlichem Leid. Die Zementfabrik, die Mahdy zeigt, schafft einen lebensfeindlichen, gesundheitsbedrohlichen Ort. Sie hat Auswirkungen auf das Klima in der Wadi al Qamar-Ebene, die im fast monochrom grautönigen Film ihre staubige Trostlosigkeit ausbreitet.

Wie kann das Zusammenleben von Mensch und Natur gelingen?

Der letzte Themenkomplex der Multimedia-Ausstellung, „Motion to Recover“, soll abschließend den Blick für Projekte öffnen, die nach Lösungen für die zuvor dargestellten katastrophalen Zustände suchen. Misha Vallejo dokumentiert in seiner multimedialen Arbeit „Secret Sarayaku“ die Gruppe der Kichwa im ecuadorianischen Teil des Amazonas. Auch die Kichwa verehren den Wald als einen lebendigen Mikrokosmos mit eigenen Rechten und einem Bewusstsein. Die emotionale Verbindung der Bewohner*innen mit dem Wald führt dazu, dass sie in einen Kampf gegen die lokale Ölförderung getreten sind. Vallejos Arbeit eignet sich deshalb so gut als Ende der Ausstellung, da sie einen Ausblick darauf gibt, wie ein Zusammen- und Überleben von Mensch und Natur gelingen kann. Die Gruppe der Kichwa verbindet Indigenes Wissen mit den Mitteln digitaler Kommunikation, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen und steht so exemplarisch für die ganze Ausstellung „Take Me To The River“.

Mohamed Mahdy, Moon Dust, 2020, Goethe-Institut: Take Me to the River © Mohamed Mahdy 2020
Misha Vallejo, aus der Serie Secret Sarayaku, 2015, Goethe-Institut: Take Me to the River © Misha Vallejo 2015

Gelingt der Transfer der Ausstellung in den digitalen Raum? Gerade Natur über einen flimmernden Bildschirm zu rezipieren führt den Zugang zu dieser ad absurdum. Gleichzeitig bietet das Digitale vielschichtige Möglichkeiten der Betrachtung. Die Flut an Bildern, Filmen und Audiodateien kann dosiert werden, pausiert und wieder aufgenommen. Erstaunlich gut transportiert die Webseite Emotion und den Moment des „Dive in“, des Eintauchens in die Tiefen der künstlerischen und dokumentarischen Arbeiten. Das multimediale Ereignis informiert die Betrachter*in über Missstände, unterstützt durch die immersive Bildgewalt, die dazu herausfordert, sich näher mit der Problematik und den offenen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Somit werden Barrieren durchbrochen und Menschen weltweit die zerstörerische Lage der Natur warnend vor Augen geführt.

Misha Vallejo, aus der Serie Secret Sarayaku, 2019, Goethe-Institut: Take Me to the River © Misha Vallejo 2019

Take Me to the River

Curated by Maya El Khalil

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