Glück, Liebe, Geld, Sex, Schön­heit, Glaube. In der Talkshow „Men in Trou­ble“ verhandelt Filmemacherin Jovana Reisinger Geschlech­ter­rol­len, patri­ar­cha­li­sche Struk­tu­ren und Macht­ver­hält­nisse.

Tiptop! Sexperte und Frauenversteher Mann 3 findet es wichtig, dass Sex absolut beidseitig gewollt ist und verzichtet dabei auch gerne mal auf den eigenen Orgasmus. Unfair! Der unglückliche Mann 1, dem von Frauen alles weggenommen wird, ist auf der Suche nach dem Weg zurück. Wow! Frau 1 ist glücklich verliebt, mit Schmetterlingen im Bauch, arbeitet aber auch hart dafür – genauso wie es sich eben gehört. Ähh. Mann 2, ein Charmeur aus der Beautyindustrie hilft Frauen dabei, sich wieder durchs Leben lächeln zu können, dabei möchte er so gerne das hierarchische System der Schönheit mit fluiden Schönheitsbildern ersetzt sehen. Mann 4 hingegen lächelt nicht. Das will wirklich niemand sehen! Und Frau 9 besinnt sich lieber auf niedrige Erwartungen. Beide aber hoffen auf bessere Zeiten.

Die sechsteilige Talkshow „Men in Trouble“ der Filmemacherin und Autorin Jovana Reisinger wurde erst kürzlich im Rahmen des Ausstellungs- und Vermittlungsprogramms „Enttäuschung“ der Kunsthalle Osnabrück gedreht. Das rosa lackierte Baugerüst, platziert im vorderen Teil des Kirchenschiffs der Institution, fungiert als eigene Installation, die im unteren Geschoss weitere Videoarbeiten der Filmemacherin vereint. Seit November ist sie Pandemie-bedingt nicht mehr zugänglich. Die sechs Videos von „Men in Trouble“ aber sind bis 14. Februar 2021 über Jovana Reisingers Vimeo-Kanal frei verfügbar und beleben das rosa schimmernde Studio mit den Themen Glück, Liebe, Geld, Sex, Schönheit und Glaube.

Das TV-Format soll eine Nähe zur Gesell­schaft sugge­rie­ren

Für „Men in Trouble“ griff Reisinger auf ein mittlerweile abgedrängtes TV-Format zurück, den sogenannten „Daily Talks“. Innerhalb Reisingers filmischer Sprache und Ästhetik lassen sich immer wieder Elemente aus Fernsehformaten, wie Teleshopping, Talkshows oder Reality-TV finden­ – so auch bei früheren Werken von ihr, wie „Beauty is Life“ (2019), „WENDY“ (2018) oder die Filmreihe „pretty, pretty, mad sad“ (2016-18). Monothematisch angelegt, inszenieren sich „Daily Talks“ als dynamische Diskussionsräume, indem sie immer Verbindungen zum filmischen Außen aufrechterhalten, Nähe zur Gesellschaft suggerieren oder diese vermeintlich abzubilden versuchen. 

Jovana Reisinger, Installationsansicht Kunsthalle Osnabrück, 2020. Foto: Lucie Marsmann
Jovana Reisinger, Beauty is Life, 2020 (c) Jovana Reisinger, Foto: Jenny Bräuer

Ab den frühen 1990er Jahre bissen sie sich mehr als zwanzig Jahre im deutschen Privatfernsehen fest und füllten an Wochentagen von vormittags bis zum frühen Abend das Programm. Von Vera am Mittag (1996 -2006) über Hans Meiser (1992-2001), Arabella (1994-2004) bis hin zu Ricky (1999-2000) glichen sie sich alle in ihrem Ablauf. Die überraschend hohe Diversität unter den Moderator*innen ist vielleicht das einzig gesellschaftlich relevante, was dem Format rückblickend abzugewinnen ist, das sich zum Aushängeschild machte, der breiten Gesellschaft einen Repräsentationsraum innerhalb des damaligen Leitmediums Fernsehen zu bieten.

Das Private rückte in den Vordergrund

Dabei setzte das Format auf Programmprofilierung, indem es sich von politischen, gesellschaftlichen Themen entfernte und das Private in den Vordergrund rückte. Günstige Produktionsbedingungen verbunden mit Showcharakter und Emotionalisierung brachte die gewünschte Einschaltquote, die die „Daily Talks“ bestätigten und ihre jahrzehntelange Fortführung garantierte. Ende der 1990er Jahre kam es zu vermehrter medienethischer Kritik. Als Reaktion darauf veröffentlichte der Verband Privater Rundfunk und Telemedien Leitlinien, die beispielsweise neben der Einhaltung des Jugendschutzgesetzes auch forderten, extremen Anschauungen kein Forum mehr zu bieten. Unter ihnen findet sich aber auch der Anspruch bei „Darstellungen von abweichenden und außergewöhnlichen Einstellungen zu gesellschaftlichen anerkannten Werten und Normen, das Außergewöhnliche nicht als das Durchschnittliche und das Abweichende nicht als Normale erscheinen zu lassen“.

Jovana Reisinger, Men in Trouble, 2020 (c) Jovana Reisinger, Foto: Lucie Marsmann
Jovana Reisinger, Men in Trouble, 2020 (c) Jovana Reisinger, Foto: Lucie Marsmann

In „Men in Trouble“ verwehren die Gäste den zu tiefen Einblick in ihr Privatleben, so sehr die Moderatorin auch nachbohrt. Provokationen greifen nicht, Klassifikationen in „Anders“ und „Normal“ werden eingestampft und Diversität begrüßt. Ganz zur Enttäuschung der männlichen Chefetage und der Regie, die hier dennoch die Oberhand behält, wie es die Moderatorin immer wieder in Form von Seitenhieben durchsickern lässt und es die männliche Stimme aus dem Off immer wieder deutlich macht, wenn sie beispielsweise die Moderatorin in ihrem eigenen Studio willkommen heißt und damit vorführt. Reisinger weiß das verfehlte Potenzial der „Daily Talks“, für sich zu nutzen und läutet die Show mit selbstbewusstem und vor Tatendrang strotzenden Intro ein, um darin auf humorvolle, vielperspektivische und kritische Weise Geschlechterrollen, patriarchalische Strukturen und Machtverhältnisse zu verhandeln.

Jovana Reisin­ger weiß das Poten­zial der „Daily Talks“ für sich zu nutzen

 Das anachronistische Moment, das dabei entsteht, versinnbildlicht das Dilemma aus stagnierenden, überholten Geschlechterkonstruktionen und dem dringlichen Wunsch der Überwindung, der sich stilistisch in der überzogenen „Verweiblichung“ des Studios und der Moderatorin ausdrückt sowie im bewussten Verzicht auf die Repräsentation von gewohnten Männlichkeitscodes. Alle hier als Mann ausgeschriebenen Rollen, tragen Röcke, lange Haare, Make-up oder treten als Geschlecht-Bender auf.

Jovana Reisinger, Men in Trouble, 2020 (c) Jovana Reisinger, Foto: Lucie Marsmann

Die sinnentleerten oft (tragi-)komischen Dialoge, die voller Plattitüden, Sprichwörter, Schönrederei und langgezogenen Pausen stecken, entblößen die Gesprächsgäste als flach und in ihren Lebensvorstellungen gefangen, was auch die eingeblendeten Bauchbinden untermauern. Die Moderatorin, gewillt die Themen anzugehen, beißt sich an ihnen die Zähne aus und rettet sich mit aufklärerischen Monologen, mimischem Aufbegehren und trockenen Kommentaren vor der endgültigen Frustration.

Anfänglich noch angepasst und der, in männlicher Hand liegenden Sendung unterworfen – nicht zu verwechseln mit professionell – versteht die Moderatorin ihre Rolle für sich zu nutzen, was die bewegliche, unmittelbare Kamera zu provozieren scheint und der Bruch mit dem Dresscode nuanciert. Im Zusammenspiel mit dem Publikum, das sich ebenfalls durch erhellende Gäste und Meinung auszeichnet und dem ständigen Durchbrechen der vierten Wand bekommt das starre Gefüge Risse. Gänzlich zu Fall bringen, kann sie es aber nicht, denn wie die Moderatorin einsehen muss, „Realität in einer Talkshow zu behaupten, ist irre!“

Reali­tät in einer Talk­show zu behaup­ten, ist irre!

Auszug aus Reisingers „Men in Trou­ble“
Jovana Reisinger, Men in Trouble, 2020 (c) Jovana Reisinger, Foto: Lucie Marsmann

SCHIRN MAGAZIN NEWS

Die besten Artikel, Filme und Podcasts jetzt direkt auf dein Smartphone.

Zum Newsletter anmelden