Auf kompromisslose Art beleuchtet die Künstlerin Monica Bonvicini zwischenmenschliche Beziehungen. Ihre Werke bewegen sich zwischen Widerstand und Empörung. Jetzt sind sie in der Kunsthalle Bielefeld zu sehen.

„Grab them by the balls“ sagen die goldenen Hände, die immer wieder auf Schritthöhe an den Wänden angebracht sind. Sie begleiten die Besucher*innen auf (be)drängende Art und Weise durch die imposanten Räume der Kunsthalle Bielefeld. Die Wandskulpturen der Künstlerin Monica Bonvicini sind an eine der vielen misogynen Aussagen des US-amerikanischen Präsidenten angelehnt: „I don’t even wait. And when you’re a star, they let you do it. You can do anything. ... Grab ‘em by the pussy. You can do anything.” So beschrieb Donald Trump einst seinen Umgang mit (verheirateten) Frauen.

Seit letzter Woche ist die Ausstellung „Lover’s Material“ in der Kunsthalle Bielefeld zu sehen, die das Werk Bonvicinis in ein bemerkenswertes Beziehungsgeflecht innerhalb der Sammlung platziert. Darunter auch ganz neue Arbeiten der Künstlerin, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Ausstellungstitel „Lover’s Material“ ist einer Anekdote zur Beziehung des Architekten der Kunsthalle, Philip Johnson, mit seinem damaligen Liebhaber Jon Stroup entnommen. Johnsons Biograf Franz Schulze charakterisiert Jon Stroup als „bequem passiv und ewig dankbar für seine [Johnsons] materielle Großzügigkeit“. So verbindet Bonvicini den Ort und seine Architektur mit dem Privatleben seines Schöpfers.

Monica Bonvicini setzt sich kritisch mit Abhängigkeiten auseinander

Mit dem Titel steigt man auch gleich inhaltlich in eine der zentralen Fragestellungen der Ausstellung ein: die politische, ökonomische und soziale Dimension zwischenmenschlicher Beziehungen. Bonvicini beleuchtet Abhängigkeiten, indem sie den Raum als künstlerischen Verhandlungsort in den Vordergrund stellt. Die mitunter eigens für die Ausstellung konzipierten Arbeiten stehen in direktem Verhältnis zum Gebäude und den Betrachter*innen. Als Künstlerin setzt sich Bonvicini schon seit den 1980ern kritisch mit Abhängigkeiten auseinander. Und verdeutlicht wie Politik, Gender, Wirtschaft, Naturkatastrophen aber auch Literatur und Architektur miteinander verknüpft sind. Architektur, die sie mitunter als physischen Ausdruck der Gesellschaft bezeichnet, ist dabei oft Bindeglied für ihre künstlerische Arbeit.

Monica Bonvicini, Lover’s Material, 2020 © Monica Bonvicini/ VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Andrea Rossetti, Courtesy the artist

In der Eingangshalle im ersten Stock bildet eine raumfüllende Bodenarbeit den Auftakt der Ausstellung: Das Teppichmosaik „Breach of Decor“ (2020) zeigt eine Komposition aus mehr als 60 Fotografien von ausgezogenen Hosen, wie sie scheinbar achtlos auf unterschiedlichen Fußböden liegen. Mehr als eineinhalb Jahre lang fotografierte Bonvicini ihre eigenen Hosen auf diese Weise – sei es in ihrer privaten Wohnung oder in unterschiedlichen Hotelzimmern. Dieser sonst so intime Akt des Entkleidens wird bei ihr zum öffentlichen Akt des Widerstands. Das Kleidungsstück, das in den frühen Frauenbewegungen zum Symbol der Selbstbestimmung wurde, kehrt in den privaten Raum zurück. Doch längst ist klar, dass das Private politisch ist. Die auf dem Boden liegenden, getragenen Hosen lassen an archaisches (männliches) Markierverhalten denken, sie strahlen eine achtlose Dominanz aus, die nun den gesamten Boden der Eingangshalle füllt.

Das Entklei­den wird zum öffent­li­chen Akt des Wider­stands

Diese Aneignung patriarchaler gesellschaftlicher Machtstrukturen zieht sich wie ein roter Faden durch die Schau. In einem Raum ist ein überlebensgroßer Abdruck des berühmten Marlboro Cowboys auf Aluminium zu sehen, eine der großen Ikonen der Maskulinität in der Konsumkultur des 20. Jahrhunderts. Augenzwinkernd wird dem „Marlboro Man“ (2019) eine weitere männliche Ikone gegenübergestellt: DER Künstler der Moderne, Marcel Duchamp. Drei Nachbildungen von Duchamps „Bottle Rack“ (1914), eines seiner frühsten Readymades, stehen auf weißen Sockeln. Sonst hängen an Bonvicinis Flaschentrockner eine Gruppe von schlaffen Glaspenissen, die dieses Mal jedoch an Kleiderhaken an mehreren Stellen der Ausstellung befestigt sind. Über diesen Garderoben wiederum hängen Aluminiumplatten, auf denen das Wort „guilt“ (Schuld) zu lesen ist.

Monica Bonvicini, LOVER’S MATERIAL, Kunsthalle Bielefeld © Monica Bonvicini und VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Jens Ziehe
Monica Bonvicini, Marlboro Man, 2019 © Monica Bonvicini and VG-Bild Kunst, Bonn 2020, Courtesy of the Artist and König Galerie, Berlin; Galerie Krinzinger, Wien; Mitchell-Innes & Nash, New York

Bonvicini ist bekannt dafür, in ihren Skulpturen häufig industrielle, traditionell „männliche“ Materialien wie Aluminium, Ketten, Stahl oder Leder zu verwenden. In diesem Zusammenhang werden oftmals ästhetische Brücken zur Sadomaso-Szene geschlagen. Die Verknüpfung von Material, Fetisch und Sexualität verbindet die Künstlerin mit der noch heute männlich dominierten Architektur, die nicht nur Ausstellungen und damit die Kunst, sondern auch uns als Privatpersonen beherbergt. Für Bonvicini ist Architektur als materielle Realität immer auch Ausdruck unserer Gesellschaft.

Das Spannungsverhältnis von Material und Rezeption wird auch bei der Arbeit „Be Your Mirror“ (2020) deutlich. 4x10 Meter große Aluminiumpanele füllen eine ganze Wand, ihr gegenüber eine Glasfassade mit Ausblick auf den Museumsgarten. Ein Streifen auf der Aluminiumwand wurde im Vorfeld poliert, in dem die Betrachter*innen ihr Spiegelbild erkennen können. Im Laufe der Ausstellungszeit wird dieser Streifen immer wieder von Mitarbeiter*innen der Kunsthalle poliert und erweitert. Der handwerkliche Arbeitsprozess, der Kunstwerken innewohnt, wird hier in den Vordergrund gestellt.

Monica Bonvicini, LOVER’S MATERIAL, Kunsthalle Bielefeld, © Monica Bonvicini und VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Jens Ziehe

In einem weiteren Raum ist ein verspiegelter Sockel mit einem Ball aus 300 Casio-Uhren zu finden, die in unregelmäßigen Abständen piepen und, wie eine Art Konzert, zur Soundkulisse der Ausstellung beitragen. Im angrenzenden Raum findet sich das Kampagnenmotiv der Ausstellung: „Up in Arms“ (2019). Die fast leuchtende Skulptur aus rosafarbenem Murano Glas zeigt zwei ineinander verschränkte Arme. Titel und Pose deuten auf die Bereitschaft zum Protest hin – „to be up in arms“ heißt im Englischen einerseits Empörung, andererseits auch Bewaffnung. Gleichzeitig brechen die Zärtlichkeit der Geste und das Material mit dieser Konnotation. Die Handskulpturen in „Lover‘s Material” machen deutlich, für was unsere Hände stehen können: Pflege, Protest, Geborgenheit aber auch Gewalt und Bedrängnis.

„Up in arms“ wird durch eine Wandarbeit ergänzt, die Monica Bonvicini im Lockdown geschaffen hat. Basierend auf der Ästhetik von Protestschildern bildet „Never Tire“ (2020) eine ganz neue Serie von Zeichnungen. Auf orange-pinken Hintergründen mit Ketten und geometrischen Strukturen sind Textzeilen, wie „TAKE YOUR ANGER TO WORK“ oder „POWER JOY HUMOR & RESISTANCE“ zu lesen. Viele der Zitate entstammen Roland Barthes bekannter Zitatsammlung „Fragmente einer Sprache der Liebe“, aber auch Schriften von Judith Butler, James Baldwin oder Natalie Diaz. Die Zeichnungen fassen Monica Bonvicinis Anliegen als Textcollage zusammen: Das kompromisslose Hinterfragen bestehender Verhältnisse, Abhängigkeiten und Rollenverständnisse, sei es auf sozialer, persönlicher und auch poetischer Ebene.

Monica Bonvicini, Up In Arms, 2019 © Monica Bonvicini/ VG Bild-Kunst, Bonn 2020, Foto: Jens Ziehe, Courtesy the artist and König Galerie, Berlin

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