Zwei Frankfurter Künstler haben die leerstehende Hochhausetage des Messeturms kurzerhand in einen Off-Space verwandelt. Abseits von Vorstandsbüros zeigen Arthur Löwen und Béla Feldberg eine Ausstellung, die alles andere als exklusiv sein will.

Wenn die Kunst es in zweistellige Etagen eines Wolkenkratzers schafft, dann für gewöhnlich als Einzelwerk an der Wand eines Vorstandszimmers oder Chefbüros. Vielleicht noch in einem repräsentativen Eingangsbereich von Banken, Unternehmen und anderen Hochhausmietern. Galerien oder gar Ausstellungshallen sind erstaunlich selten weiter oben zu finden, geschweige denn Off-Spaces, die nur mit viel Glück und Zufall die Mittel finden dürften, zum Beispiel einmal eine 36. Etage zu bespielen.

Umso mehr darf sich diese Ausstellung jetzt mit einer Aura von Exklusivität schmücken, die ihre Macher allerdings gleich wieder zu konterkarieren versuchen: Knapp sechs Wochen lang präsentieren Béla Feldberg und Arthur Löwen mit „ORBIT“ in der leergeräumten 36. Etage des Frankfurter Messeturms eine bemerkenswert lange Liste an Künstler*innen, die jeglichen Anspruch auf erlesene Einzelkunst im Hochhausturm schon im Vorfeld begraben soll. Erlesen fühlt sich das Ganze letztlich natürlich schon an, allein der Lage wegen.

Baggerskulp­tur und eine gelö­cherte Wand erin­nern an einen Bank­raub

Gleich nach der Auffahrt im marmorgefassten Fahrstuhl landet man in einer Installation von Martin Wenzel, die der Künstler wie massives Spielgerät auf den fleckigen Büroteppich mit seinem gestromerten Beigebraun platziert hat: Baggerskulptur und eine kleeblattförmig gelöcherte Wand erinnern an einen Bankraub, die Bierdose davor gehört fest zur Installation. Obwohl so viele Künstler*innen dabei sind, wirkt die Ausstellung sehr generös. So viel Platz wie Wenzel allein bekommt allerdings sonst niemand: Löwen und Feldberg suchen die Querverbindungen zwischen den einzelnen Werken, stellen Wandreliefs, Fotografien, Collagen, Malereien und Skulpturen zu Installationen zusammen. Auch die Säulen werden Ausstellungsfläche – mal für ein Bild des Künstlers Koen Delaere, das Löwen von ihm einst als Tausch für ein eigenes Werk erhielt, in einem anderen Raum für Jiwon Lees Spiegelrahmen, von denen es zufällig genauso viele gab wie Säulen zu bespielen.

Martin Wenzel, L‘amour très dur, 2016 (Baggerschaufeln)
Inga Danysz, o. T., 2018 Jiwon Lee, o. T., 2020 Martin Kozlowski, Diptych, 2017

Löwen, der nach seinem Kunststudium nach Frankfurt gezogen und geblieben ist, und Feldberg, der aktuell noch an der Städelschule bei Tobias Rehberger studiert, kannten sich schon eine Weile. Die Idee zu einer gemeinsamen Ausstellung entstand vor einem Jahr: eine lange Zugfahrt, die Besiegelung der Freundschaft. Man merkte schnell, dass man ähnliche Vorstellungen teilte, auch bezüglich des Ausstellungsmachens. Irgendwann ergab sich dann durch einige glückliche Zufälle die Gelegenheit, besagte, nun leerstehende Büroetage des 256 Meter hohen Wolkenkratzers zu bespielen. Viele Mieter sind ausgezogen: Das 1990 nach Plänen des Architekten Helmut Jahn fertiggestellte Bauwerk wird umfangreich saniert; nur die Mitarbeiter der Haustechnik beziehen noch einige kleine Büroräume. „Wir verstehen uns hervorragend“, betont Löwen. Viele seien interessiert daran, was hier so nach und nach entsteht, es gebe auch schon einige Lieblingswerke.

Eine lange Zugfahrt besiegelte die Freundschaft von Feldberg und Löwen

Rundherum werden weitere Türme nach oben gezogen: Die Welt mag in vielen Teilen stillstehen, selbst die Flieger am Boden bleiben, gebaut aber wird immer. Und weil die Fenster hier nicht wie sonst üblich abgehängt sind, droht während des Rundgangs die ständige Ablenkung durch fantastische Rundumsicht. „Geht uns genauso“, meinen beide Künstler, die zu diesem Zwecke vorsorglich einen kleinen Abschnitt frei von Kunst gelassen haben, zum Sattsehen. Auch nach rund einem halben Jahr Arbeit vor Ort habe man sich noch nicht ganz an den Ausblick gewöhnt. Bei Regen, Sonnenschein, zu jeder Tages- und Nachtzeit präsentierten sich die ehemaligen Büro- und jetzt Ausstellungsräume völlig anders. Weshalb sie empfehlen, ruhig zweimal vorbeizukommen, zu unterschiedlichen Zeiten oder Wetterlagen.

Rudi Ninov, Untitled (chance opus), 2020

Ausstellungstitel und -konzept folgen einem eher losen Faden, der sich grob mit den astronomischen Umlaufbahnen beschreiben lässt, die um einen gemeinsamen Kern kreisen. Im Falle des Wolkenkratzers ergo: Kunst, die um Fahrstuhlschächte kreist? „Wir sind keine Kuratoren,“ meint Löwen. Feldberg nickt. Kunstlover seien sie hingegen schon. So ging das ursprünglich verfasste Konzept den Weg, den man auch in institutionellen Kontexten manches Mal zu erkennen meint: Im Machen und Auswählen und Aufbauen der Kunst entfernt sich doch so einiges vom ursprünglich verfassten Konzept. Dafür ergeben sich im besten Fall innere Zusammenhänge. Inhärente Ausstellungslogiken.

Kunst, die sich in astronomischen Umlaufbahnen bewegt

Wenngleich Arthur Löwen und Béla Feldberg die Werke ihrer Kolleginnen und Kollegen mit liebendem Blick besprechen, wollen sie nicht unkritisch sein: Das sei hier keine Künstler-Freundeskreis-Präsentation, betonen beide, ebenso wie den konstruktiven Streit im Vorfeld, wer dabei sein solle und wer nicht. Letztlich hat man sich auf die eigene künstlerische Praxiserfahrung verlassen, auf Intuition und auch persönlichen Geschmack. Es sind Werke von Freunden dabei, jeweils ein, zwei eigene – Löwens Negativtransferdruck, auf dem die eigenen Knie mit durchscheinen, und Feldbergs verputzte Bildstudien mit nachgeahmter Fassadenmalerei. Daneben Arbeiten, die beiden schon länger gefielen, oder die ihnen auf Rundgängen aufgefallen sind, nicht nur in Frankfurt und Offenbach, sondern auch in Düsseldorf oder Karlsruhe. Wie die Barhockerskulpturen von Miriam Schmitz, irgendwo zwischen Bikertreff und Fetischstudio verortet.

Miriam Schmitz, call home, 2020

Der Faktor Ortsbezogenheit, ohne den heute kaum noch eine Ausstellungsankündigung auskommt, sicherlich aber keine an einem Ort wie diesem, spielte für die Künstler eine untergeordnete Rolle bei der Zusammenstellung. Trotzdem findet das Bürohochhaus immer wieder zurück in die Präsentation. Manchmal wörtlich, wie bei Eliza Ballesteros‘ Harlekin, der auf einem rautenförmigen Display präsentiert wird, das die Künstlerin offenkundig aus dem Bodenbelag direkt vor dem Werk herausgeschnitten hat. Und manchmal rein zufällig: Eine Crassula ovata, Geld- oder Pfennigbaum, als vergessener Bürobewohner. Die Pflanze ist nun zum Sparringpartner für eine Bleistiftarbeit von Immanuel Birkert auserkoren, die das Sujet der Banken- und Börsenstadt aufgreift und „zeichnerisch zertrümmert“, wie Feldberg kommentiert.

Frankfurt sei schon ein guter Ort für die Kunst, meinen beide, und gerade institutionell hervorragend aufgestellt. Aber jenseits davon gebe es schon noch „Luft nach oben“. Wörtlich genommen: Leergeräumte Wolkenkratzerbüros (zumindest zeitweilig) zu Off-Spaces!

Eliza Ballesteros, THE TRICKSTER, 2020

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