Happy Birthday! Anlässlich Karl Marx‘ 200. Geburtstag zeigt eine Plakatausstellung im Frankfurter Ost-Stern, wie junge Grafikdesigner aus China und Deutschland den Philosophen sehen.

Karl Marx, der berühmte deutsche Philosoph mit dem weißen Rauschebart, muss ein strenger Vater gewesen sein. Mit voller Wucht schlägt er einem Jungen auf den Hintern. Dieser trägt einen Zylinderhut und ist von Spielzeugautos, Fabrikgebäuden und Geldscheinen umgeben. Die digital gezeichnete Szene illustriert nicht etwa einen prominenten Fall häuslicher Gewalt im 19. Jahrhundert. Das Bild des Vaters, der zur Strafe seinen Sohn schlägt, ist vielmehr eine Metapher. Sie könnte für die kapitalistische Wirtschaftsform stehen, die Karl Marx (1818-1883) einer radikalen Kritik unterzogen hat.

Gezeichnet und entwickelt hat das Bild Xinyi Guo, eine Studentin der Nanjing Normal University, in einem zweiwöchigen Plakatworkshop, der im März 2018 in Nanjing, einer Millionenstadt im Osten Chinas, stattfand. Anlass bildete Karl Marx' 200. Geburtstag in diesem Jahr, zu dem Felix Kosok, Grafikdesigner und Promovend an der Hochschule für Gestaltung Offenbach, mit HfG-Professor Klaus Hesse nach Nanjing reiste. Vor Ort präsentierten sie den Studenten verschiedene Referate zu Marx‘ Schriften und Biografie. Im Mittelpunkt standen die „Pariser Manuskripte“, ein Frühwerk aus dem Jahr 1844, sowie der erste Band von „Das Kapital“.

Marx wird in China als eine Art Heiliger verehrt

Zunächst seien die Studenten von Professorin Yao Liu skeptisch gewesen, berichtet Kosok, doch Karl Marx' Biografie weckte reges Interesse. Der Vordenker des Kommunismus gilt, wird in China als eine Art Heiliger verehrt. Umso spannender sei es für die Studenten in Nanjing gewesen, „dass Marx durchaus auch ein Leben gehabt hat“, weiß Felix Kosok zu berichten.

© Xinyi Guo

Beim anschließenden Besuch in Shanghai erfuhr Kosok den Kontrast zwischen Marktwirtschaft und Kommunismus. Neben dem Haus, in dem die Kommunistische Partei Chinas gegründet wurde, befinde sich eine Starbucks-Filiale, so erzählt er.

Was ist, wenn Marxismus am Ende die ultimative Marke ist?

Von diesem Kontrast lebt auch Zeyu Wangs Plakat. „Marxism“ steht in gelben Lettern auf rotem Grund geschrieben. Damit zitiert Wang, so könnte man zunächst meinen, die vertraute kommunistische Ästhetik. Der erste Buchstabe „M“ ist deutlich an das Logo der amerikanischen Fast-Food-Kette McDonald's angelehnt. Der Schriftzug „TM“ für Trademark fällt zudem ins Auge. Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 waren solche Bildideen als subversiv-ironische Kritik am Wettlauf der Systeme gängig. Heute ist der Zweikampf von Kapitalismus und Kommunismus in China Wirklichkeit.

© Zeyu Wang

„Was ist, wenn Marxismus am Ende die ultimative Marke ist?“, könnte also die Leitfrage der Ausstellung lauten, die auch ein Plakat von Niklas Krieg aufwirft. Der HfG-Student hat Karl Marx' markante Gesichtszüge aus lauter bekannten Firmenlogos zusammengesetzt. So dient das „Nike“-Logo als Augenbraue, während der „Disney“-Schriftzug Marx' Schnurrbart nachbildet. Das Plakat, dessen Botschaft mit Zeyu Wangs Arbeit korrespondiert, hat Niklas Krieg im Wintersemester 2017/18 gestaltet. Auch an der HfG bot Felix Kosok einen Plakatworkshop an, der dem in Nanjing ähnelte. Den Studenten stand dabei offen, ob sie sich positiv oder kritisch auf Karl Marx' Schriften und deren umfangreiche Nachwirkung beziehen.

© Niklas Krieg

Etwa hundert Plakate aus Offenbach und Nanjing sind in der Ausstellung im „Ost-Stern“, einem ehemaligen Autohaus im Frankfurter Ostend, zu sehen. Der Ort könnte nicht passender sein. „Wo früher Luxuskarossen standen, werden jetzt Marx-Plakate präsentiert“, freut sich Kosok. Ergänzt werden die studentischen Entwürfe durch ausgewählte Plakate weiterer Gestalter aus dem HfG-Umfeld. Der Berliner Grafikdesigner Eike König hat ein fotografisches Marx-Porträt mit Zügen von Mickey Mouse versehen. Unter dem Bild findet sich ein denkwürdiger Ausspruch, den er dem US-Marxisten Fredric Jameson zuschreibt: „It's easier to imagine the end of the world than the end of capitalism.“

Natürlich hat auch Felix Kosok ein Plakat beigesteuert. Was ihn dazu motiviert hat, zwei Kurse zu dem berühmten, aber auch denkbar schwer zu rezipierenden Philosophen anzubieten? „Ich wollte unbedingt ‚Das Kapital‘ lesen“, sagt er. Und das hat er auch umgesetzt. „Es hat sich gelohnt!“ Die in Offenbach und Nanjing entstandenen Plakate sieht er als Versuch, jenseits von Dogmatik und haargenauer Auslegung mit dem Marx‘schen Werk umzugehen. Er möchte ihm eine Prise Leichtigkeit geben. Der Begründer des Marxismus, der die Welt nicht nur interpretieren, sondern auch verändern wollte, ist schließlich mehr als nur ein strenger Vater mit Rauschebart.

It's easier to imagine the end of the world than the end of capi­ta­lism.

Fred­ric Jame­son
© Eike König