Kryptowährungen erzählen eine Geschichte von Goldgräberstimmung und von einer Welt, die radikal anders sein könnte. Eine Ausstellung im Berliner Schinkel Pavillon geht dem Phänomen nach.

Das Ausstellungshandbuch sieht aus wie eine jahrzehntealte Gebrauchsanleitung zu einem längst vergessenen Gerät, die man zufällig beim Aufräumen findet. Das Design ist sozusagen prä-digital, aufgeräumt, mithin sehr ansprechend. Ein schraffierter Braunkohlebagger ist auf dem Cover, der gerade Kohle verlädt. Klar, es geht um Bergbau, oder zumindest ums sogenannte „mining“. Im Innenteil sind Schwarz-Weiß-Abbildungen der Arbeiten aus der Ausstellung „Proof of Work“ im Schinkel Pavillon abgebildet. Und ein Glossar: von Bitcoin bis Token.

Diese rätselhaften Begriffe, die eine Welt suggerieren, in der die „ursprüngliche Akkumulation“ das Maß aller Dinge ist, kommen aus der Welt der Kryptowährungen. Bis vor einiger Zeit gab es in dieser Welt nämlich tatsächlich so etwas wie eine Goldgräberstimmung: Die Vorstellung eines dezentralisierten Finanzsystems, das rein digital funktioniert, faszinierte Hacker, Hippies und Libertäre. Aber es ist ziemlich wahrscheinlich, dass viele ihren Erstkontakt mit Kryptowährungen im Kunstkontext hatten.

Die Vorstellung eines dezentralisierten Finanzsystems faszinierte Hacker, Hippies und Libertäre

Auf die Frage, warum das so ist, weist der Ko-Kurator der Schau, Simon Denny (selbst Künstler) auf die Narrative dahinter hin. „Leute, die sich für verschiedene Organisationsformen interessieren, verschiedene Arten der Politik, haben das möglich gemacht, und Künstler interessieren sich für so etwas. Umgekehrt interessieren sich auch Unternehmer, die sich mit Blockchain beschäftigen, für ein weites ideologisches Feld.“

Kei Kreutler, The Pareto Deck: 2 of Swords, 2018 / The Pareto Deck: 5 of Forks, 2018 © Kei Kreutler, Foto: Hans-Georg Gaul
Ausstellungsansicht, Proof of Work, Schinkel Pavillon, 2018, Foto: Hans-Georg Gaul

Denny selbst hat sich mit der politischen Ikonographie im digitalen Zeitalter auseinandergesetzt. Und natürlich mit Bitcoins, Blockchains und Kryptowährungen. „Im Web 1.0 haben die NetArtists mit Browsern gearbeitet. Dann kam das Web 2.0, das war die Zeit, in der ich angefangen habe, Kunst zu machen. Die Kunst ging zurück in die Galerien, die klassischen Gattungen wurden wieder wichtig. Mit dem Web 3.0 gibt es die Krypto basierten Projekte und Kunstwerke, die diese Technologie benutzen.“ Und Web 3.0 bezeichnet den nächsten Schritt, wenn das Internet auch die Finanzströme, bisher in der Hand der Notenbanken, dezentralisiert und transparent macht. So zumindest die Hoffnung.

Mit dem Web 3.0 gibt es die Krypto basierten Projekte und Kunstwerke, die diese Technologie benutzen.

Simon Denny

Natürlich geht es auch ums Geschäft. „Auktionshäuser interessieren sich für die Möglichkeiten, die Aufzeichnung aller Transaktionen für die Provenienzbestimmung hat. Die selbstorganisierte Variante davon ist die Left Gallery, eine auf Kryptowährung basierende Galerie, geleitet von Paloma Rodríguez Carrington und Harm van den Dorpel.“

Doch welche Auswirkungen hat die digitale Welt auf das Klima?

Selbstorganisation scheint ein wichtiger Begriff in der Kryptowelt zu sein: Das Echo der kalifornischen Hippie-Utopien ist hier überall zu hören, zum Beispiel in der Arbeit des Kollektivs FOAM, „Tropical Mining Station“. Die Rauminstallation generiert Bitcoins, und mit der Abluft der Rechner wird eine Art Zelt im Ausstellungsraum aufgeblasen. Die Struktur füllt einen großen Teil des achteckigen Raums im Untergeschoss des Schinkel Pavillon, und es ist kein Zufall, dass sie an die utopischen Bauten der 60er erinnert, an Richard Buckminster Fuller und seine geodätischen Kuppeln, an seine autarken architektonischen Welten. Hier treffen sich virtuelle und physische Welt, denn Bitcoins verbrauchen Energie und erzeugen Hitze. Die kritische Frage muss gestattet sein: Welche Auswirkungen hat es auf das Klima, wenn die ganze Welt ein dezentrales Netzwerk von Rechnern ist, die nur damit beschäftigt sind, digitales Geld zu generieren?

terra0 (Paul Kolling, Paul Seidler and Max Hampshire), Premna Daemon, 2018 © terra0, Foto: Hans-Georg Gaul
FOAM (Ryan John King, Ekaterina Zavyalova, Nick Axel and Kristoffer Josefsson), Tropical Mining Station, 2017 © FOAM, Foto: Hans-Georg Gaul

Nicht alle Arbeiten in der Ausstellung befassen sich mit Kryptowährungen. Aria Deans „Blackbox“ ist ein schwarz schimmernder Plexiglasblock, darin eingeprägt sind kodifizierte Zitate des Künstlers Ad Reinhardt. Das ist zugleich eine Kritik an dem amerikanischen Maler, institutionell kanonisiert und weiß, aber auch eine Hommage: „The laying bare of oneself is obscene“, steht da, in Zahlen- und Buchstabencode verwandelt. Oder Mark Lombardis Flussdiagramme, die politische und wirtschaftliche Verstrickungen der frühen 2000er beschreiben: Er visualisiert Fragen, wie die Bush-Familie mit der Öl-Industrie im Nahen Osten zusammenhängt. „Aber hier geht es um Transparenz, essenziell in der Kryptowelt“, sagt Denny.

À propos Transparenz: So soll auch der Prozess des Kuratierens sein. An der Wand unten in der Schinkelklause ist ein Diagramm, das ein Netzwerk von Personen, Gruppen und Institutionen zeigt, möglicherweise inspiriert von Lombardis Arbeit, aber nicht ganz so komplex. Folgt man den Linien, die alles miteinander verbinden, kann man sich vorstellen, wie die Ideen ungefähr entstanden sind: Simon Denny kennt eine Reihe von Künstlern, er spricht mit Harm van den Dorpel, beiden fallen weitere Künstler ein. Daneben schwebt als Wolke NewModels.io, ein Podcast und ein Online-Magazin, betrieben von Künstlern und Theoretikern aus dem Texte-zur-Kunst-Umfeld.

Aber hier geht es um Transparenz, essenziell in der Kryptowelt.

Simon Denny
Mark Lombardi, Paul Helliwell Castle B&T Mercantile (2nd Version), 1999 © Private Collection
Ausstellungsansicht, Proof of Work, Schinkel Pavillon, 2018, Berlin, Foto: Hans-Georg Gaul

Gerade, wenn man glaubt, Bitcoin und Blockchain verstanden zu haben, erklärt Denny, es gäbe nun eine zweite Generation von Kryptowährungen, vertreten von der Firma Ethereum. Die Währung heißt Ether, und sie ist zugleich eine Programmiersprache. Viele der Werke funktionieren schon mit diesem System. Der Äther übrigens, so glaubte die Physik der Frühaufklärung, ist auch das Medium des Lichts, das stets um uns herum ist. Vielleicht wird das kodifizierte, dezentrale Finanzsystem uns eines Tages auch umgeben, ohne dass wir es noch wahrnehmen.

Harm van den Dorpel, Lammer Asbestus, 2018 © Harm van den Dorpel, Upstream Gallery, Foto: Hans-Georg Gaul