Für alle Filmnerds und die, die es gerne werden wollen: Spielfilm-Highlights aus acht Jahren DOUBLE FEATURE in der SCHIRN.

Wer erinnert sich noch ans Double Feature? Wir natürlich! Seit nunmehr acht Jahren stellen inter­na­tio­nale Video­künst­le­r*in­nen ihre Werke in der SCHIRN vor, immer gefolgt von einem weiteren Film ihrer Wahl. Für alle, die diese Filmabende auch so vermissen wie wir, eine Filmliste der besonderen Art: Unsere Highlights der Filme, die von unseren Double Feature Künstler*innen schon einmal ausgewählt wurden.

1. Paris is burning (Jennie Livingston, 1990) 

Bevor „Vogueing“ und Dragqueen-Castingshows im regulären Netflix-Programm liefen, verschaffte die US-amerikanische Regisseurin Jennie Livingston mit ihrem Dokumentarfilm „Paris is Burning“ erstmals einem größeren Publikum Einblick in die „ball culture“ der LGBTQI+-Subkultur und deren überwiegend afro- und lateinamerikanischen Protagonist*innen im New York der 1980er. Während ihres Studiums in New Yorks kam Livingston zufällig mit der New Yorker „ball culture“ in Berührung, drehte zwischen 1987 und 1989 immer wieder auf Veranstaltungen und führte zahlreiche Interviews mit deren Protagonist*innen. „Paris is Burning“ vermittelt sowohl einen Einblick in die vor Lebensfreude strotzende New Yorker „ball culture“, lässt gleichzeitig deren Vertreter*innen ausführlich zu Wort kommen, die schmerzhaft offen über ihre traumatisierenden Erfahrungen von Transphobie, Misogynie, Rassismus, Diskriminierung, Gewalt und Ausgrenzung, teils bis in den engsten Familienkreise, berichten.

2. Posses­sion (Andrzej Żuławskis, 1981)

Der in West-Berlin gedrehte Film „Possession“ des polnischen Regisseurs Andrzej Żuławskis entzieht sich gänzlich einer gängigen Genreeinordnung, könnte vielleicht am ehesten noch als eine Art Psycho-Horrorfilm beschrieben werden. Die filmische tour de force beginnt mit einer Trennung: nachdem Mark (Sam Neill) von einem Geheimdiensteinsatz zurückkehrt, teilt ihm seine Frau Anna (Isabelle Adjani) wortkarg mit, dass sie die Scheidung möchte. Kurzer Hand verlässt sie Ehemann und Sohn, um – wie Mark zumin­dest glaubt – mit einem ande­ren Mann zusam­men­zu­le­ben. Könnte dies vielleicht noch den Anfang eines klassischen Beziehungsdramas beschreiben, entwickelt sich „Possession“ rasant in eine immer bizar­rer wie auch bruta­ler werden­de Geschichte, deren Bild­ge­wal­tig­keit nur durch das aufrei­bende und beein­dru­ckende Spiel der Schau­spie­ler*innen, allen voran Isabelle Adjanis, über­trof­fen wird. Żuławskis, der das Dreh­buch während einer schmerz­haf­ten Tren­nung schrieb, über­setzt das private Kriegs­feld in das Genre des Horror-Films und trans­for­miert die psychi­schen Leiden in physi­schen Gewalt­ter­ror.

3. Ayneh (Jafar Panahi, 1997)

In Jafar Panahis 1997 veröf­fent­lich­ten Film „Ayneh“ beglei­tet die Kamera die Erst­kläss­le­rin Mina (Mina Moham­mad Khani) nach Schul­schluss auf dem Nach­hau­se­weg: Vergeb­lich wartet das junge Mädchen auf ihre Mutter, die sie jeden Tag von der Schule abholt. Als diese nicht auftaucht, macht sich Mina schließ­lich – teils mit Hilfe von Erwach­se­nen, teils auf sich allein gestellt – auf den Weg nach Hause. Ungefähr zur Mitte des Films dann die Zäsur: Mina durch­bricht mit einem Mal die vierte Wand, blickt also direkt in die Film­ka­mera und prokla­miert, dass sie keine Lust mehr habe, in dem Film mitzu­spie­len. Der Blick wird nun frei­ge­ge­ben auf das komplette Film­team samt Regis­seur Jafar Panahi, das fortan versucht, das junge Mädchen zum Dreh einer weite­ren Szene zu über­zeu­gen. Die Hand­lung der ersten Hälfte des Films wieder­holt sich im Folgenden erneut, nun aller­dings als vermeint­li­che Doku­men­ta­tion. So arbeitet Panahi in „Ayneh“ geschickt die doku­men­ta­ri­schen Anteile eines Film-Dramas und im Umkehr­schluss die drama­ti­schen Elemente einer Doku­men­ta­tion heraus, während er gleichzeitig einen Einblick in die iranische Alltagswelt bietet.

4. Celia (Ann Turner, 1989)

Das psychologisch komplexe Drama „Celia“ aus dem Jahr 1988, gleichzeitig das Spielfilmdebut der australischen Regisseurin Ann Turner, entspinnt sich um die neun­jäh­rige Celia, die in den 1950er Jahren im Melbour­ner Vorstadt­ge­biet aufwächst. Inmit­ten der poli­tisch aufge­heiz­ten Stim­mung um die Kommu­nis­ten-Hatz der Nach­kriegs-Ära und während einer immer aggres­si­ve­ren Hasenplage, ereig­net sich ein persön­li­ches Drama: Die geliebte Groß­mut­ter des Mädchens verstirbt. Im Unver­ständ­nis über das Verhal­ten der Erwach­se­nen, im Beson­de­ren das ihres Vaters, kann Celia zuneh­mend schwe­rer zwischen Reali­tät und Fanta­sie unter­schei­den, was eine folgen­schwere Ketten­re­ak­tion in Gang setzt.

Nicht zu Unrecht wurde der Film als eine Art Vorgänger von Guillermo del Toros „Pan‘s Labyrinth“ bezeichnet, dessen Fantasy-Parabel über den Faschismus die Grenzen zwischen Märchenwelt und grausamer Realität auslotete. Unauf­ge­regt und über­aus sensi­bel zeigt Turner so Wahr­neh­mungs­welt und Alltags­er­le­ben des Mädchens, das sich auf die Strapazen der gesell­schaft­li­chen Reali­tät einen ganz eige­nen Reim macht und immer weiter in eine Traumwelt abdriftet.

Ann Turner, Celia (Filmstill), 1989

Ann Turner, Celia (Filmstill), 1989, Image via www.sensesofcinema.com

5. La Noire de… (Ousmane Sembène, 1966) 

Ousmane Sembènes Spielfilmdebut „La Noire de …“ gilt als einer der ersten subsaharischen Filme, der inter­na­tio­nale Aufmerk­sam­keit auf sich ziehen konnte. In einer durch Rückblenden geprägten Geschichte erzählt „La Noire de …“ von der jungen Sene­ga­le­sin Diouana (Mbis­sine Thérèse Diop), die von einem reichen fran­zö­si­schen Paar in Dakar zunächst als Kinder­mäd­chen ange­stellt wird. Als das Paar schließlich zurück an seinen Wohnsitz im französischen Anti­bes kehrt, erhält Diouana das Angebot, auch dort für sie zu arbeiten. Das Leben, das sie dort erwartet, gleicht dann aber viel eher dem einer Leibeigenen: statt sich um die Kinder zu kümmern, die ohnehin fast nie vor Ort sind, soll Diouana ausschließlich Hausarbeiten übernehmen, wird Freunden des Ehepaars als „exotische Sensation“ präsentiert und zunehmend besonders von der Ehefrau schikaniert und drangsaliert. Während das Ehepaar hier in Personae ehemaliger Kolonialherren auftritt und Diouana entsprechend objektivierend behan­deln, rückt Sembène seine Protagonistin und ihre Lebensrealität, in Antibes wie in Dakar, als handelndes Subjekt in den Fokus.

Ousmane Sembène, La Noire de...(Filmstill), 1966, Image via www.trigon-film.org

6. A woman under the influence (John Cassavetes, 1974)

Der 1974 uraufgeführte Film “A woman under the influence” des amerikanischen Independent-Regisseurs John Cassavetes hinterlässt auch über 36 Jahre nach seiner Entstehung noch immer einen tiefen Eindruck. Der Film erzählt ausschnittshaft aus dem Leben des Ehepaars Nick (Peter Falk) und Mabel Longhetti (Gena Rowlands): Im Aufbau einem Theaterstück ähnelnd, begleiten wir die Familie in längeren Szenen rundum Mabels Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Cassavetes fokussiert in seinem Film insbesondere den Einfluss von gesell­schaft­li­chen Normen auf das Privat­le­ben der Protagonisten: Vor allem Mabel Longhetti kann die ihr zuge­schrie­be­nen normativen Rollen als Ehefrau, Mutter, Lieb­ha­be­rin, Toch­ter und den damit einher­ge­hen­den Erwar­tun­gen nicht miteinander in Einklang bringen und droht an ihnen zu zerbre­chen. Jenseits jeglicher Klischees skizziert Cassavetes eine Art psychologisches Soziogramm, bleibt hierbei jedoch voller Empathie bei seinen Protagonist*innen, die nicht im Sinne eines Lehrstücks vorgeführt werden.

John Cassavetes, A Woman under the Influence (Filmstill), 1974, Image via mubi.com

7. Hail the new puritan (Charles Atlas, 1987)

Der fiktionalisierte Dokumentarfilm „Hail the New Puritan“ des US-amerikanischen Videokünstlers und Regisseurs Charles Atlas war erstmals 1986 im britischen Fernsehen zu sehen. Die Mockumentary präsentiert ausschnitthaft 24 Stunden im Leben des schottischen Tänzers und Choreographen Michael Clark. Wir sehen den Künstler und sein Ensemble bei den Vorbereitungen zu dem Stück „New Puritans“, beim Herumalbern mit Kolleg*innen und Freund*innen, bei Presseinterviews, folgen ihm durch das Nachtleben Londons und landen schließlich wieder am Ausgangspunkt, seinem Wohn- und Arbeitsloft. Getragen von längeren Tanzsequenzen, welche größtenteils mit der Musik von Mark E. Smith und seiner Post-Punk Band „The Fall“ untermalt sind, entwickelt „Hail the New Puritan“ einen ekstatischen Sog, in dem die Körper der Tänzer*innen zur direkten Ausdrucksplattform ihrer selbst zu werden scheinen und die sprachliche Ebene mitsamt deren grammatikalischen Begrenzungen hinter sich lassen.

Charles Atlas, Hail the New Puritan, 1987, Image via www.riffraff.ch

8. L’Eclisse (Michelangelo Antonioni, 1962)

Michelangelo Antonionis „L’Eclisse“ aus dem Jahr 1962 stellt den Abschluss einer Trilogie dar, dem die Filme „L’Avventura“ (1960) und „La Notte“ (1961) vorangegangen waren.  Der Film beglei­tet die junge Vitto­ria (Monica Vitti), die zu Beginn des Filmes ihre lang­jäh­rige Bezie­hung mit Riccardo (Fran­cisco Rabal) been­det. An der römi­schen Börse, wo ihre Mutter sich als Speku­lan­tin versucht, lernt sie den jungen Makler Piero (Alain Delon) kennen, mit dem sich schon bald eine Liai­son anbahnt.

Die zentralen Themen von Liebesunfähigkeit, Kontaktlosigkeit und Vereinsamung inszeniert Antonioni jedoch weniger durch Dialoge denn durch die Kameraarbeit: Minu­ten­lange Einstel­lun­gen der klassischen wie modernen römischen Architektur scheinen in den kontrast­rei­chen Bildern jene emotionalen Zustände zu vermit­teln, derer sich die Prot­ago­nis­ten ausge­setzt sehen, ohne ihnen irgend­et­was entge­gen­set­zen zu können. Das vom faschis­ti­schen Dikta­tor Benito Musso­lini ab 1938 errich­tete neue Stadt­vier­tel „Espo­si­zione Univer­sale di Roma“, kurz EUR, in dem Groß­teile des Films gedreht wurden, mutet in seiner kalten und menschen­lee­ren Insze­nie­rung so wie die archi­tek­to­ni­sche Mani­fes­ta­tion der Isolation und Vereinsamung der Protago­nis­t*innen an, derer sie niemals zu entkommen scheinen.

Michelangelo Antonioni, L’Eclisse (Filmstill), 1962, Image via www.theguardian.com

9. Bad Timing (Nicolas Roeg, 1980)

Als Krimi erzählt Nicolas Roeg in „Bad Timing“ die Liebes- und Leidens­ge­schichte der jungen US-Ameri­ka­ne­rin Milena Flaherty (Theresa Russell) mit dem Psycho­ana­ly­ti­kers Alex Linden (Art Garfun­kel).  In einer fulmi­nan­ten, nicht chronologischen Montage legt der Film nach und nach offen, wie es zu dem Selbst­mord­ver­such seiner Protagonistin kam. Der Film wurde 1980 in nur weni­gen Kinos gezeigt und die Produk­ti­ons­firma „The Rank Orga­ni­sa­tion“ zog ihr bekann­tes Logo aus dem Abspann zurück. Trotz des misslungenen Kinostarts erlangte „Bad Timing“ aufgrund häufiger TV-Ausstrahlungen schon in den 1980er-Jahren einen gewissen Kult­sta­tus, während die Home Release-Version erst 2005 in den USA auf den Markt kam. Ambi­va­lent wie kompro­miss­los schil­dert Nico­las Roeg so in „Bad Timing“ eine Liebes­ge­schichte voller Leiden­schaft und Obses­sion und seziert jene Mecha­nis­men, die aus verlieb­ter Zunei­gung sexu­elle Beses­sen­heit werden lassen.

10. Beau Travail (Claire Denis, 1999)

Auf nicht gerade wenigen Kritikerfilmlisten über die besten Filme der 1990er Jahre nimmt der 1999 erschienene „Beau Travail“ der französischen Regisseurin Claire Denis einen sehr prominenten Platz ein.  Der Film befasst sich mit einer Gruppe junger Legio­näre, die am Golf der Repu­blik Dschi­buti statio­niert sind. Im Fokus steht der Feld­we­bel Galoup (Denis Lavant), dessen ganzes Wesen vollkommen im Soldatendasein aufgeht. Durch die Ankunft des jungen Rekruten Gilles Sentain (Grégoire Colin) sieht Galoup das streng einge­spielte Gefüge der Gruppe einschließ­lich seiner eige­nen Stel­lung bedroht und beschließt, den jungen Solda­ten mit allen Mitteln loszu­wer­den.

In ruhi­gen, langen Sequen­zen zeigt Denis in dieser filmischen Studie über Geborgenheit und Fremde den Alltag der Legio­näre und deren Übun­gen, die sie wie moder­nen Tanz insze­niert. Der männ­li­che, solda­ti­sche Körper erscheint hier in der dem Mili­tär inne­woh­nen­den homo­ero­ti­schen Konno­ta­tion eher melan­cho­lisch denn als gestähltes Staats­ei­gen­tum: Der Sinn und Zweck der Legio­närs­gruppe ist kaum nach­voll­zieh­bar und scheint mehr dem einer Selbst­hil­fe­gruppe als der staat­lich orga­ni­sier­ter, gewalt­sa­mer Durch­set­zung von poli­ti­schen Zielen zu dienen.

Video Still aus Beau Travail, Claire Denis, 1999, Image via blueprintreview.co.uk

Video Still aus Beau Travail, Claire Denis, 1999, Image via: bfi.org.uk

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