Wie steht es um die Rolle der Frau in unserer Gegenwart? Jovana Reisinger gibt uns mit ihrer exklusiven Kurzgeschichte auf dem MAG einen ersten Einblick.

Für das SCHIRN MAG hat die Künstlerin, Filmemacherin und Buchautorin Jovana Reisinger eine exklusive Kurzgeschichte geschrieben. Darin wirft die Schriftstellerin, die am 19. Mai mit einer Lesung aus ihrem autofiktionalen Essay-Band „Enjoy Schatz“ und als Expertin beim SCHIRN BOOKCLUB in der SCHIRN zu Gast sein wird, einen ebenso klugen wie humorvollen Blick auf die Lebenswirklichkeit alleinstehender Frauen.

Jovana Reisinger: Enjoy Schatz, KORBINIAN Verlag 2022, Image via thalia.de

GOOD MORNING, SCHATZ!

Die Schriftstellerin frühstückt. Das tut sie gern, wacht sie doch meist mit Magenknurren auf. Der kürzlich durchgeführte Schlaftiertyptest hat ergeben, sie ist ein Bär. Das wurde ihr genauso vorausgesagt und so sollte es dann auch sein. Der Liebhaber hat ihr den Test geschickt. Ihre Schlafrhythmen passen nicht zusammen. Zumindest kann er sie richtig einschätzen. Das ist auch was wert. Er hat sich offensichtlich Gedanken über sie als Einzelperson und über sie beide als Beziehungskonstrukt gemacht. Sonst wäre er da gar nicht draufgekommen. Das ist wirklich erfreulich. Sie braucht die Gewissheit, dass Männer sich Gedanken machen. Sie tut schließlich kaum etwas anderes.

Hotelfrühstück. Manchmal ist es exorbitant gut. Dann gibt es köstliche vegane Alternativen. Meist ist es recht gut, dann steht da eine Person und bereitet für alle frische Eierspeisen zu und der Cappuccino mit Hafermilch ist nicht völlig misslungen. Das hier ist eher schlecht. Mittelgroße Stadt in der Mitte Deutschlands. „Hafermilch”, flötet die Frühstücksperson, „das hätten Sie wirklich anmelden müssen!” und geht wieder. Die Wurstauswahl übertrifft quantitativ die Käseauswahl, die immer noch größer ist, als das dargebotene Frischobst. Dabei wissen wir doch, Obst macht fit! Das steht manchmal so lässig auf den Plastiktüten, die sie beim Supermarkt bekommt. Einmal schrieb sie einen Text über Früchte, der hat niemanden interessiert.

Die alleinstehende Frau

Zumindest liegt da die perfekte Serviette an ihrem Platz. Die mit der mild grinsenden Sonne drauf, die hat sogar Lachfalten an den Augen und Brauen, kleine Grübchen. Sehr freundlich, bisschen high vielleicht. Wirklich, ganz und gar nicht unsympathisch. Im Kreis angeordnet steht da um sie herum · Guten Morgen · Good Morning · Buenas Dias · Bonjour ·.

Die Sonne begrüßt uns mehrsprachig, multilingual, inklusiv. Für einen guten Start in den Tag. Die Serviette gibt es selten. Das kann die Schriftstellerin mit einer gewissen Überzeugung sagen, ist sie doch seit Jahren in wirklich vielen Hotels gewesen und hat beinahe genauso häufig in ihnen gefrühstückt. In seltenen Fällen versäumt sie es. Dann sind es die Umstände, die sie daran hindern, sich der sicherlich nicht eingebildeten Beobachtung zu stellen, die in so einem Frühstückssaal stattfindet. Die Schriftstellerin ist es mittlerweile gewohnt, alleine an Tischen zu sitzen, in einem Buch zu lesen, sich Notizen zu machen und dabei von Mitarbeitenden oder anderen Gäst*innen betrachtet zu werden. Das Phänomen der alleinstehenden Frau. Einer, der es nichts auszumachen scheint. Überzeugende Darstellung, gut gemacht. Besser, als einem Mann gegenüber zu sitzen, der meint, nur weil er sich in einem Hotel befindet und vermutlich selbst für dieses Frühstück zahlte, jetzt Würste mit Eiern und Speck essen zu müssen. Sie bekommt das Frühstück bezahlt. Das fühlt sich nach einem Unterschied an, weniger dringlich, sie kann das Geschenk auch ablehnen. Manchmal, wenn es wirklich früh ist, gibt es solidarische Begrüßungsfloskeln von Männern in Anzügen. Businessreisende in Businesshotels. Professionelle Erscheinung und Performance. Der frühe Vogel. Die armen Würmer, die das noch nicht verstanden haben.

Jovana Reisinger (c) Thomas Gothier

Der erste Bissen. Morgenstund hat Gold im Mund. Die Wichtigkeit einer ausgewogenen Ernährung. Hier geht das nicht. Wie auch, es gibt ja nichts. Haferflocken, Joghurt, Obstsalat, Käse und glücklicherweise Pumpernickel. Sie ernährt sich grundsätzlich schlechter auf Lesereise. Aber das ist Teil ihres Jobs. Berufsrisiko. Sie hat sich schon beinahe damit abgefunden. Die Ansprüche heruntergeschraubt. Das hat sie auch bei den Männern getan. Dabei hat sie sich fest vorgenommen, sie wieder anzupassen. Die Ansprüche, nicht sich. 

Die Frühstücksperson fragt, was sie denn nun trinken will.
Schwarzer Kaffee, Tee, Orangensaft.
Na also, geht doch. Warum so kompliziert? Was denkt sie eigentlich, wer sie ist? 
Die denkt gar nicht, um genau zu sein. Die steht irgendwo neben sich, hängt fest. Guckt auf das Buch, statt in es hinein. Duras „Der Liebhaber“, ständig nimmt sie es mit. Zu Ende liest sie es nie.

Warum ist sie heute so unkonzentriert? Das liegt am Schlafdefizit. Sie möchte behaupten, sie hätte die ganze Nacht gearbeitet, gefeiert, getanzt, geballert, gevögelt oder zumindest geschrieben – aber sie lag einfach nur rum. Halbschlaf. Immer wieder die ganz großen Gedanken. Immer wieder diese Person im Kopf. So ärgerlich. Sie denkt an ihre Therapeutin. Annehmen, anschauen, was lernen, weiter machen. Wenn ihr nichts einfällt, worüber es zu sprechen gilt, gibt es immer noch die Traumbeschreibung.
Was hat sie in letzter Zeit so geträumt?

Träume und Schäume

Sie träumte vom Exmann und vom Exlover, mit beiden aß sie einen Topf Miesmuscheln. Dabei war sie am meisten von den Muscheln begeistert. Sie träumte von Urlaub. Von frisch gepressten Säften. Von einem großen Filmset. Davon, dass es ein 7-Gänge-Menü bei ihrer Theaterinszenierung gibt und ständig die Dramaturgie mit Kostproben auftaucht, beispielsweise in der U-Bahn oder auf der Straße. Sie träumte, dass sie mit dem neuen Lover ein Stück inszeniert. Dabei hat sie wirklich genügend Arbeitsbeziehungen.

Die Frühstücksperson bringt Tee und Kaffee. Den Orangensaft kann sich die Schriftstellerin schließlich selbst holen. Der kommt aus einer Granini Saftmaschine. Ach so.

Das dünne Papier. Die gleiche Sorte gibt es in Eisdielen. Mehr Deko als saugfähiges, nützliches Produkt. Diese Serviette, so ist sich die Schriftstellerin sicher, ist camp. Die Papierqualität ist schlecht. Alles an ihr ist richtig. Jedes Mal, wenn Sie die Serviette in einem Hotel bekommt, macht das was mit ihr. Ein Gefühl von Zugehörigkeit vielleicht, oder von Trost. Was letztendlich das Gleiche ist. Sie möchte einmal einen ganzen Text über diese Serviette schreiben. Wem könnte sie ihn anbieten? Ihre Reaktion auf zu viel Arbeit ist noch mehr Arbeit. Das lässt auch die Therapeutin nicht unkommentiert.

Die Schriftstellerin frühstückt als Einzige alleine. Eigentlich frühstückt sie in jedem Hotel alleine. Selbst wenn die Liebhaber bei ihr übernachten, nimmt sie die nicht mit runter. Ah, da erinnert sie sich an eine besonders gute Nacht in einer mittelgroßen Stadt im Süden Deutschlands. Die Frau, mit der sie die Nacht verbrachte, durfte mit zum Frühstück. Sie haben so unverschämt geturtelt, dass sie nicht einmal für die zweite Portion zahlen mussten. Der frische Glow der Verliebten. Sie hat das schon oft bemerkt, wenn sie mit jemanden, die*den sie mag durch die Straßen geht. Diese Veränderung in der Wahrnehmung. Das Lächeln fremder Menschen. Die Geschenke. Sie bekommt ohnehin viel geschenkt. Ein jedes Mal hofft sie, dass es nicht das letzte gewesen sein wird. Bekamen sie dieses Hotelfrühstück wirklich geschenkt oder haben sie es schlichtweg gestohlen? Die Ignoranz der frisch Verliebten. Wie viel würde sie jetzt für dieses Gefühl geben? Wenig tatsächlich. Sie hat sich doch gegen die Liebe entschieden. Das hat sie auch in mehreren Interviews gesagt. Dann wird es schon stimmen.

Synchronizität. Schicksal. Magie

Als sie das letzte Mal in dieser Stadt war, schlief sie nicht in diesem Hotel, aber bei jemandem. Das war aufregend, schön, hinreißend, alles. Es hat sich nicht noch einmal ergeben. Schade, dabei waren sie sich beide einig, dass das magisch war. Magisch, das ist auch so ein Wort, mit dem sie eigentlich nichts anfangen kann. So wie mit Schicksal. Immer wieder schießen ihr diese Worte in den Kopf, rutschen ihr heraus, wenn sie die Geschichte dieser Begegnung erzählt. Manche erleben ständig diese überromantischen Situationen. Vermutlich können sie einfach besser erzählen. Ein Leben wie im Groschenroman. Ästhetisch ist das durchaus interessant.

Zwei Stunden bis zur Abfahrt. Nächste Stadt, nächstes Hotel, immer offen für Begegnungen. Die Schriftstellerin hat richtig Lust. Letzte Woche schlief sie mit einem sechs Jahre jüngeren Mann. Sie hat es genossen, wie sehr er sie begehrte. Zehrt immer noch davon. Diese Blicke, diese Küsse, diese Gier. Bald ist sie Mitte Dreißig. Sie hofft inständig, dass es ihr nichts ausmachen wird.

Sie verabschiedet sich von der Frühstücksperson, die sich über ihren Platz hermacht. „Fertig?" fragt sie ohne zu warten und räumt ab. Alle wollen ihre Aufgaben zu Ende bringen. Etwas streichen auf der ewigen To-do-Liste. „Danke”, sagt die Schriftstellerin und steht auf, trinkt dabei noch aus. Die Serviette nimmt sie mit, wird sie ein paar Monate in ihrem Notizbuch aufbewahren und irgendwann verlieren. Vielleicht wird sie der Person, die sie gerade nicht loslassen kann, ein Foto davon schicken. Aber seine Antwort wird mittelmäßig ausfallen. Lieber auf Instagram teilen, da haben mehr Leute was davon.

Dann klingelt das Telefon und er sagt: „Guten Morgen, mein Schatz.”

Na toll, denkt sich die Schriftstellerin, Synchronizität. Schicksal. Magie.

SCHIRN BOOKCLUB

FREITAG, 19. MAI, 18 UHR

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