Die Videotour gibt beeindruckende Einblicke in die kanadische Malerei, und verrät, warum es so wichtig ist, die Werke der Group of Seven aus heutiger Perspektive zu betrachten.

Die Ausstellung „Magnetic North. Mythos Kanada in der Malerei 1910-1940“ bringt erstmals die Kunst der kanadischen Moderne nach Europa. Aus Anlass des Ehrengastauftritts Kanadas bei der Frankfurter Buchmesse ist die Schau aus einer Zusammenarbeit mit der Art Gallery of Ontario, Toronto und der National Gallery of Canada, Ottawa in dreijähriger Vorbereitungszeit entstanden. Im Zentrum der Ausstellung steht die Kunst der „Group of Seven“ und ihres Umfeldes. Die Künstlergruppe hatte sich 1920 in Toronto gegründet und bestand – mit wechselnden Mitgliedern – bis 1933. Die Maler verband das Ziel, eine spezifisch kanadische Kunst ins Leben zu rufen, welche im Wesentlichen die kanadische Landschaft zum Inhalt hatte. Gemeinsam bereisten die Künstler die Gegend um Toronto und schufen vielfältige Naturansichten, ohne jedoch einen einheitlichen Stil auszubilden.

Land oder Landschaft?

Auch vermitteln die meisten Bilder der Group of Seven ein unvollständiges Bild der damaligen Gegebenheiten. Die Malerin Emily Carr aus British Columbia, eine enge Vertraute der Gruppe, etwa widmete einen Teil ihrer Karriere den Kulturerzeugnissen der Indigenen Völker Kanadas, die sie zu dokumentieren versuchte. Schon lange Zeit vor der Entdeckung durch europäische Siedler*innen war das Territorium des heutigen Kanadas die Heimat von zahlreichen Völkern, die in enger Verbindung zum Land lebten. Das unterscheidet sie grundlegend von der europäischen Sichtweise auf die „Landschaft“, einem ästhetisch geordneten Gebiet, das man besitzen oder beherrschen kann. Das Beispiel der kleinen Ortschaft „Blunden Harbour“ an der Nordwestküste Kanadas macht die Veränderungsprozesse und damit verbundenen Probleme und Traumata durch europäische Besiedlung deutlich.

1930 hielt Emily Carr den Anlegesteg des Ortes mit drei monumentalen Totems in ihrem Bild „Blunden Harbour“ fest. Sie verfolgte damit den Anspruch, die in ihren Augen untergehende Kultur der dort ansässigen Kwakwaka’wakw vor dem Vergessen zu bewahren – eine Einstellung, die man heute kritisch sehen kann. Bereits 1914 war Blunden Harbour der Schauplatz des Filmes „In the Land of the Head Hunters“ (später „In the Land of the War Canoes“) unter Regie des weißen Filmemachers Edward Curtis mit Indigener Beratung und ausschließlich Indigenem Cast, der heute wegen seiner akkuraten Darstellung Indigener Riten und Kleidung, die damals im Zuge des Indian Act verboten waren, ein wichtiges Zeitzeugnis ist. Der anthropologische Film „Blunden Harbour“ von Robert Gardner zeigt das Leben in der Siedlung um 1951. Es ist geprägt von der Verbindung zum Wasser doch schon mit der Moderne verschränkt. 1964 schließlich wurde die Gemeinschaft von Blunden Harbour zwangsweise umgesiedelt. Lisa Jackson ging dieser Geschichte 2013 in ihrem Film „How a People Live“, welcher als Auftragsarbeit der Indigenen Community entstand, nach.

Thomsons Skizzen beweisen ein besonderes Sensorium für die Natur

Der Künstler Tom Thomson verkörperte wohl am stärksten die Ideale der Group of Seven. Da er bereits 1917 auf mysteriöse Weise ums Leben kam, war er kein offizielles Mitglied der sich neu gründenden Gruppe, hatte jedoch großen Einfluss auf ihre Mitglieder. Er verbrachte einen großen Teil des Jahres im Algonquin National Park, wo er eindrückliche Skizzen vor Ort schuf, von denen er nur wenige später in große Leinwandgemälde übersetzte. Seine Skizzen beweisen ein besonderes Sensorium für die Natur und bezeugen seinen meisterhaften Umgang mit Farbe. Die Motive, die er wählte, sind heute als absolute Ikonen der kanadischen Kunstgeschichte bekannt.

Der geografische Norden übte auf viele eine besondere Magie und Anziehungskraft aus. Künstler wie Lawren Harris erkannten darin eine spirituelle Quelle und künstlerische Kraft, die sie in ihre Bilder zu übertragen suchten. Harris, der maßgeblich an der Bildung der Gruppe beteiligt war, beschrieb seine Ideen und Ziele in vielen Aufsätzen und Artikeln. Seine Darstellungen von schneebedeckten Gipfeln der Rocky Mountains und schwimmenden Eisbergen in der Arktis bezeugen sein malerisches Talent. Auch in dem Motiv der Polarlichter zeigt sich die Faszination des Nordens. Das mystische Naturschauspiel wurde wiederholt in experimenteller Malweise festgehalten, die sich den Grenzen der Abstraktion annähert.

Von der Idee des Nordens bis hin zur Industrialisierung

Zwar zeigen die als typisch empfundenen Bilder der Group of Seven eine vermeintlich unberührte Landschaft, doch sah die Realität zu Beginn des 20. Jahrhunderts ganz anders aus. Holz und Bodenschätze wurden in großem Stil abgebaut und diese Industrie vereinzelt auch von Künstler*innen ins Bild gesetzt. So etwa von Yvonne McKague Housser, die verschiedentlich mit der Gruppe ausstellte, und die Bergbaustadt Cobalt in Tag- und Nachtszenen abbildete. Aus Anlass eines Streiks der Bergarbeiter reiste auch Lawren Harris 1925 nach Glace Bay in Nova Scotia und malte die Häuser der Bergleute in expressionistischer Malweise. So birgt die kanadische Moderne viele Überraschungen und speist sich aus verschiedensten Einflüssen, um schließlich etwas Eigenes zu schaffen.

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