Was hört Kara Walker in ihrem Studio? Ein persönlicher Soundtrack von ihrer Tochter, der Autorin und Künstlerin Octavia Bürgel.

In Kara Walkers Arbeit wie auch in ihrem Privatleben ist die Musik ein wesentlicher Bestandteil. Als Funktion der Sprache, als Vektor von Gefühlen, als Unterwerfung gegenüber dem Chaos und der Sublimierung von Kultur und Geschichte. Walkers Geschmack kann als eklektisch beschrieben werden – die Klänge, die aus ihrem Studio tönen, umspannen den Globus und spinnen Netzwerke von Gefühlen und Subjektivität über Jahrzehnte hinweg. Der Soundtrack zu ihrer aktuellen Ausstellung „A Black Hole Is Everything a Star Longs to Be“ in der Schirn bewegt sich passenderweise durch eine Reihe von Szenarien und verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie die ausgestellten Werke.

Es geht los mit der Lieblichkeit und Melancholie von Ella Fitzgeralds Version von George Gershwins „Summertime“ aus dem Jahr 1960, die live in der nicht mehr existierenden Deutschlandhalle in Berlin aufgeführt wurde – demselben Veranstaltungsort, der für die Olympischen Spiele 1936 gebaut wurde, an denen der Schwarze US-amerikanische Sprinter Jesse Owens teilnahm, und der sowohl beim US-amerikanischen als auch beim deutschen Publikum für große Bestürzung sorgte.

Beide Ereignisse – Fitzgeralds ikonisches Album und Owens’ Ankunft in Deutschland (und die anschließende Absetzung sowohl durch die US-amerikanische Regierung, die er zu repräsentieren versuchte, als auch durch die Nationalsozialisten, denen er durch seine Anwesenheit Glaubwürdigkeit verlieh) – sind zu zentralen Verbindungselementen zwischen „Black America“ und einer breiteren Identifikation mit beziehungsweise Anerkennung von den unzähligen Schwarzen Erfahrungen in Deutschland geworden, die zudem Schichten unserer innerfamiliären Verbindung zu beiden Staaten offenbaren.  

Die ersten drei Songs des Soundtracks stammen direkt aus Kara Walkers Playlisten und enthalten Musik von Gil Scott-Heron und Grace Jones, die Walker erstmals für ihren Gastauftritt in einer von mir moderierten Radioshow im Jahr 2017 ausgewählt hatte. Da sie diese Tracks als grundlegend für ihre Praxis ansieht, bewegt sich die Auswahl durch die schwermütigen Klänge von Massive Attack aus Bristol und Klein aus Südlondon, unterbrochen von Ranking Ann, der Sängerin, die in den 1970er Jahren in der Londoner Dancehall-Community ihre Anfänge hatte.

Im Dialog mit Walkers groß angelegtem Projekt „Fons Americanus“, das Ende 2019 in der Tate Modern in London präsentiert wurde, wird das gemeinsame und gleichermaßen gegensätzliche Erbe des britischen Kolonialismus auf beiden Seiten des Atlantiks von den zeitgenössischen britischen Musiker*innen Loraine James und Duval Timothy untersucht. Duval Timothys „Slave“ spricht durch Übelkeit anregende Wiederholungen sowohl die anhaltende Gewalt des transatlantischen Menschenhandels an als auch seine heutigen Erscheinungsformen – die Entmündigung Schwarzer künstlerischer Produktion, den Anspruch auf „Eigentum“ durch eine den Autor*innen fremde Instanz. Das anschließende Werk „Uchromia“ von Slauson Malone spricht von einer alternativen (Un-)Versöhnlichkeit oder (Un-)Durchlässigkeit der Sprache in Bezug auf die Subjektivität, die Walker in ihrem Werk kontinuierlich erforscht. Dieses Bemühen um Kommunikation, für und gegen ihre eigenen Grenzen, ist ein Schlüsselelement in Walkers Praxis – wo der Widerspruch eine Tatsache hervorbringt, die ansonsten schwer fassbar bleibt.

Kara Walker, Fons Americanus, Tate Modern, February 2020, Image via WikiCommons

Als ich jung war, hing eine Zeit lang ein in Arbeit befindlicher Druck an den Wänden des Studios meiner Mutter. Darauf stand:

BLUES OF AM-
ISSISIPPI DELTA
VARIETY

„Blues of am“ wurde zu einer eigenständigen Aufforderung – eine Abstraktion, die indirekt die gesamte Argumentation unterstützte. Die letzten drei Songs dieses Soundtracks abstrahieren den Delta-Blues, der wohl die Grundlage aller zeitgenössischen US-amerikanischen Musik darstellt, und verweisen auf den modernen Rap derselben Südküste, die Walkers Jugend und frühes Erwachsensein prägte, voll von dem schwülen, tödlichen Gestank – den Phantomen und Phantasmagorien – des historischen und modernen Südens.

Octavia Bürgerl, Image via www.octaviaburgel.com

KARA WALKER. A BLACK HOLE IS EVERYTHING A STAR LONGS TO BE

15. Oktober 2021 – 16. Januar 2022

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