Was macht eigentlich ein Archiv aus? Kara Walker zeigt in der SCHIRN ihre persönliche Arbeitsweise und ihren kreativen Nährboden in Form von über 600 zeichnerischen Werken der letzten 30 Jahre.

In der Schirn öffnet die Künstlerin Kara Walker ihre Arbeitsstätte. Dazu baut sie weder ihr Atelier auf, noch können die Besucher*innen ihr bei der Arbeit über die Schulter sehen. Walker zeigt uns mehr als ihren Arbeitsplatz. Sie zeigt uns ihre Arbeitsweise und ihren kreativen Nährboden in Form einer umfassenden Selbstarchivierung über rund 600 ausgestellte Werke. Vorrangig sind es Zeichnungen, die wie grafische Notizzettel, malerische Hinweise und bildstarke Post-its einen eigenen Kosmos dokumentieren. Jede Zeichnung verbildlicht ihre Gedanken.

Walkers Archiv folgt einer eigenen Logik und macht Leerstellen, Überlagerungen deutlich. Doch zurück auf Anfang: In der Regel entscheiden Kurator*innen und Archivar*innen, was ins Archiv kommt. Das vorab definierte Sammlungsprofil zeigt, was ins Archiv kommt. Meist wird der Anspruch nach Vollständigkeit laut. Soweit der Vorsatz, doch dabei treten viele Häuser an ihre Grenzen. Kommt ein Stück ins Archiv, wird es zunächst datiert, benannt, vermessen und in ein Verzeichnis aufgenommen. Hierbei lassen sich erste Hierarchien und Wertungen erkennen, wird beispielsweise der männliche Fotograf benannt, die porträtierte weibliche Person jedoch nicht.

Archive erscheinen wie Kapseln der Zeit­lo­sig­keit

Die Zeugnisse aus der Vergangenheit werden durch die Archive in die Gegenwart gebracht. Damit erscheinen Archive wie Kapseln der Zeitlosigkeit und die Archivalien gewinnen damit eine gewisse Originalität, Authentizität und Ursprünglichkeit. Doch trügt der Schein. Schließlich wurde nicht alles aufgehoben oder manches galt als irrelevant. Zudem ging über die Jahre Vieles verloren oder wurde von vornherein als schwer dokumentierbar aussortiert. Was gesammelt und in dieser Zeitkapsel den Status authentischer Zeitlosigkeit bekommt, ist kein natürlicher Mechanismus, sondern ein sozialhistorisches Konstrukt mit politischer Tradierung.

Kara Walker, Untitled, aus der Serie mit 9 Werken © Kara Walker

Das Archivierte ist ein Zeugnis seiner Zeit, doch vor allem verrät es auch, was den Sammler*innen wichtig war. Um das zentraleuropäische Geschichtsdenken einmal auf den Kopf zu stellen, braucht es im Zweifel keinen spektakulären Fund. Womöglich reicht bereits die kritische Frage, was in den Archiven eigentlich nicht vorhanden ist oder was seit Hunderten von Jahren vergessen in einer Schublade liegt.

Walkers eigenes Archiv ist nun ausgestellt und hat es ins Rampenlicht geschafft der Öffentlichkeit präsentiert. Walker macht ihren privaten Fundus der Allgemeinheit zugänglich und damit wird sichtbar, was häufig verborgen bleibt. Der museale Arkane ist meistens das Archiv: Es befindet sich im Keller oder an einem fernen „Außenlager“, meist weiß nur ein ausgewählter Kreis an Leuten was sich dort an welchem Standort befindet. Archive sind nicht einfach einsehbar und damit entfacht oft der Streit um Besitz, Wissensteilung und Teilhabe rund um sensible Objekte, also Gegenstände, die beispielsweise kolonial tradiert sind. Die Öffnung von Walkers Archiv lässt sich auch als Antithese zur Geheimdunkelei westlicher Archive lesen.

Kara Walker, Untitled, 2016, aus der Serie mit 31 Werken: Only I can solve this (The 2016 Election) © Kara Walker
Kara Walker, Untitled, 2012, aus der Serie mit 28 Werken: Trolls © Kara Walker

Walker befasst sich mit der Geschichtsschreibung Schwarzer Menschen, konkret mit ihrem Platz, ihrer Zeit und Rolle in der Kunst(geschichte). Kara Walker behandelt alle ihre Werke gleich. Damit gelingt, dass sie die Zeichnungen immer wieder neu miteinander verknüpfen kann. Je tiefer wir eindringen, desto reichhaltiger werden die synaptischen Verdichtungen und schließlich entsteht ein piktorales Gedächtnis. Dabei ordnet sie nicht nur ihre eigenen Arbeitszeugnisse immer wieder neu. Wesentlich ist, dass sie das zentraleuropäische Narrativ irritiert.

Walker irritiert bestehende Geschichtsnarrative

Oftmals wird Archivgut in seiner Einzigartigkeit betont. Ein besonderer Fund, ein tolles Dokument mit umfassender Geschichte wird ausgeleuchtet, erhält einen Nimbus und wird ästhetisiert. Dabei transformiert sich der historische Beleg zum Kunstwerk und erhält eine neue Qualität. Walker präsentiert ihre Werke in Clustern und entgeht dem Vorwurf eines auratisch aufgeladenen Einzelwerkes. Sie überzeugt mit der Masse an Material, wodurch aus einem einzelnen Ereignis eine neue Ordnung gesetzt wird. Rassismus, Sexismus, Xenophobie werden hier nicht „entsammelt“ oder als nicht dokumentierbar kategorisch abgelehnt. Walker ernennt diese Themen ganz dezidiert zum Sammlungsschwerpunkt. Damit gewinnt ihr künstlerisches Archiv auch zeithistorische Relevanz. Ihr Archiv erdrückt nicht durch die Vielzahl, viel eher verstärkt die schiere Masse ihre Aussagekraft. Relevanz. Ihr Archiv erdrückt nicht durch die Vielzahl, viel eher verstärkt die schiere Masse ihre Aussagekraft.

Kara Walker, Untitled, 2019, aus der Serie mit 36 Werken: Notebooks 2019 © Kara Walker
Kara Walker, Untitled, 2019, aus einer Serie mit 44 Werken: Ohne Titel © Kara Walker

KARA WALKER. A BLACK HOLE IS EVERYTHING A STAR LONGS TO BE

15. Oktober 2021 – 16. Januar 2022

Mehr Infos & Tickets