Kuratorinnen Katharina Dohm und Noura John­son blicken auf das Werk von Kara Walker und besprechen die besonderen Hintergründe rund um den Aufbau der Ausstellung.

KATHARINA DOHM: Liebe Noura, schön, dass du da bist. Wir wollen heute ein bisschen über die Kara Walker Ausstellung „A Black Hole is everything a star longs to Be“ sprechen. Diesen Sommer war sie in Basel zu sehen, jetzt hier in der SCHIRN. Was ist der Fokus der Ausstellung?

NOURA PERSEPHONE JOHNSON: Der Fokus sind die Zeichnungen. Kara Walker ist ja sonst hauptsächlich für ihre Scherenschnitte bekannt. Jetzt ist aber ihr Archiv zu sehen, das zum Großteil aus Zeichnungen besteht. Sie beschreibt es als „excavation“, als Ausgrabung. Das heißt, wir betreten einen ganz persönlichen und auch sehr intimen Bereich von Kara Walker.

Es ist auch das erste Mal, dass sie ihr Archiv so öffnet. Und dann direkt in einer großen Ausstellung mit rund 650 Blättern. Wie war es mit Kara Walker zusammen die Ausstellung zu planen und aufzubauen?

Es war eine sehr gute Zusammenarbeit. Man muss dazu sagen, dass die Hängung in Basel eigentlich ausschließlich von Kara gemacht wurde. Da waren wir wenig involviert, was die präzise Hängung angeht. Walker war vor Ort und hat alle Zeichnungen und Werke in den Vitrinen ausgelegt. Es war ein sehr persönliches, emotionales und ruhiges Auslegen der Kunstwerke. Das hätte nur sie machen können, weil es ihre privaten, intimen Zeichnungen sind.

Kara Walker, Success and the Stench of Ingratitude (Detail), 2012 © Kara Walker

Das ist ganz essenziell für unsere Ausstellung hier in der SCHIRN, weil wir die Präsentation der Werke eins zu eins übernehmen – wobei eins zu eins übernehmen natürlich nie so ganz aufgeht. Unsere Räume sind ja anders. Aber der Hinweis, dass es sich um ein emotionales Kuratieren oder Inszenieren handelt, finde ich ganz wichtig. Da mit dem Blick ins Archiv auch automatisch ein Blick in intime Welten gewährt wird. Das Private wird sichtbar. Insofern kann man das wahrscheinlich gar nicht ohne Künstlerin machen, oder? So, jetzt habe ich keine Frage gestellt, sondern ein Statement gemacht. Ist auch nicht schlecht.

[Lachen]

Gut so!

Aber ich glaube, das ist das Wichtige an der Ausstellung. Man bekommt einen einzigartigen Überblick über ihre Zeichnungen der letzten 28 Jahre. Was passiert mit den Werken, wenn sie das Archiv verlassen?

Das geht in eine ähnliche Richtung wie die Inszenierung. Das ist etwas Intimes, auch wenn es um historische, oder politische oder Themen der Gegenwart geht. Und dieses Intime wird jetzt der Öffentlichkeit gezeigt und wird damit verkäuflich und auch dem voyeuristischem Betrachter vorgelegt. Das heißt, naja, ich würde jetzt nicht sagen, es ist wie die Seele verkaufen, aber es findet eine Öffnung statt. Man macht sich eventuell vulnerabel … man macht sich durch das was man schreibt oder zeichnet auch angreifbar. Sie hat ja auch noch etliche Zeichnungen, die sie uns nicht gezeigt hat und uns auch eventuell nie zeigen wird.

Es gibt Zeichnungen, die in den frühen 2000er Jahren entstanden sind, über die Kara Walker sagt, dass sie damals zu virulent waren. Die musste sie machen, konnte sie aber nicht zeigen. Und jetzt zeigt sie sie – der zeitliche Abstand macht es möglich Dann gibt es wiederum Werke, die für die Ausstellung entstanden sind. Siehst du da einen grundsätzlichen Unterschied zwischen diesen Werkgruppen?

Ja, durchaus. Sie befasst sich in den Werken, die sie für die Öffentlichkeit gemacht hat, auf ganz konkrete Art und Weise. Da beschäftigt sie sich mehr mit dem westlichen kunsthistorischen Kontext. Ganz im Gegensatz zu den Arbeiten aus dem Archiv, die gehen eher in Richtung Traumaufzeichnungen oder Kritzeleien, pornographischen Romanzen gemischt mit der Geschichte der Sklaverei und so weiter. Die Zeichnungen aus dem Archiv sind ein bisschen mehr durcheinander und nicht ganz so konsequent oder durchdacht..

Welche Rolle spielte für euch in Basel die Vermittlung im Rahmenprogramm von den Themen? Inwiefern kann man die Kontexte in ihren Werken einem europäischen beziehungsweise deutschsprachigen Publikum näherbringen? Wo sind da die Chancen oder auch Schwierigkeiten?

Wir haben das Rahmenprogramm ziemlich knappgehalten, im Gegensatz zu eurem großen Programm. Wir hatten zwei Kunsthistoriker, zwei Kara Walker Expertenmit Lectures zu dem Thema und dann hatten wir noch eine Kooperation mit dem Baseler Ballett. Das hat unter Richard Wherlock die Performance „Telling Bodies“ geschaffen. Es war großartig und sehr berührend auf eine nicht kitschige Art und Weise. Das lief so ab, dass wir mit dem Ballett herausgearbeitet haben, was die Kunst von Kara Walker bedeutet und worum es im Archiv überhaupt geht. Im nächsten Schritt ging es dann darum, welche körperlichen Bewegungen zu diesen sehr sexuellen, aggressiven Walker‘schen Machtspielen passen könnten. Die Choreographen haben dann daraus noch mal Kunst gemacht.

Darüber hinaus hatten wir auch Führungen und Anti-Rassismus-Workshops, aber darauf hatten wir nicht so einen großen Fokus. Das fehlt mir persönlich oft bei Schwarzen Künstler*innen, dass man sie als Künstler*innen sieht. Bei Kara Walker ist kein moralischer Fingerzeig da und der sollte bei ihr bewusst rausgelassen werden. Was nicht heißt, dass man Antirassismus rauslassen sollte, der muss auch benannt werden. Aber das ist nicht Walkers Hauptanliegen. Es gibt keinen Aufruf à la „Check you white fragility“ und „decolonize the white museum“. Überhaupt nicht. Es ist wichtig, dass man genau hinschaut mit was sie sich beschäftigt. Das ist nicht nur Sklaverei in den USA, sondern vor allem Folter, rassistische Pornografie und Romanzen, quasi die Welt von Marquis de Sade, nur gezeichnet.

Die Themen, die Walker behandelt, sind Themen, wie Ungerechtigkeit und Unterdrückung in jeglicher Weise. Das ist das Besondere und auch Schwierige an ihrem Oeuvre: Man kann es nicht greifen und deshalb auch nicht einfach sagen, es geht hier nur um die Versklavung und Unterdrückung von Schwarzen Menschen und auf der anderen Seite die „bösen Weißen“, vielmehr macht Walker beide Seiten sichtbar. Man muss die Ambivalenz im Werk aushalten. Einerseits thematisch, andererseits im Stil. Da wäre meine nächste Frage: Wie ist das beim Publikum angekommen? Das kann ja im ersten Moment auch überfordernd wirken mit 650 Blättern, die vielen Themen, und dann noch die verschiedenen Stile. Renaissance, ein bisschen Barock, Shakespeare kommt auch noch im Titel vor, mit Barack Obama als Othello. Wie waren die Reaktionen?

Was mir auffiel, war wie Besucher*innen darüber geredet haben, dass es eine Ausstellung über Versklavung und US-amerikanische Geschichte ist. Das ist schade. Also ich kann natürlich nicht für das ganze Publikum sprechen, aber das ist bei mir hängengeblieben, das fand ich nicht gut. Wenn ich Schulklassen getroffen habe, dann ging es auch immer wieder um die Versklavung in den USA. Als moralischer Fingerzeig, weil natürlich Schulen eine Chance sehen über dieses Kapitel in der Geschichte zu sprechen. Kann man auch machen. Aber wenn das Einzige ist, was von Kara Walker hängen bleibt, dann ist es sehr schade.

Dem wollten wir im Rahmenprogramm entgegenwirken. Wir wollen zeigen, dass die Themen sehr wohl etwas mit uns zu tun haben. Die Ausstellung hat sehr viel mit uns und unserer Gegenwart zu tun. Walker sagt in eurem Ausstellungsfilm über sich selbst: „There is a lot of attention, being payed to the outer experience of oneself“. Und weiter „Die Schwarze, die US-Amerikanerin, die Künstlerin. But then there is still this just being“. Das hat mich sehr getroffen, weil ich dann auch bemerkt habe, dass Kara Walker nie in diesem Zustand des „just being“ gesehen wird. Man traut es sich vielleicht auch gar nicht. Ob ich Schwarz bin oder weiß bin oder ob die Künstlerin weiß oder Schwarz ist, kann man das überhaupt ausblenden?

Man sollte es versuchen. Sie sagt ja selber „The Black body is overburdened with history“. Die Frage ist also, inwiefern die Identität mit der Hautfarbe, die einem aufoktroyiert wird, von der Geschichte getrennt werden kann. Kara Walker sagt selbst, das sei ihre Hauptfrage. Um ein paar Beispiele zu nennen: Wann kommen wir dahin, dass wir eine Peitsche oder Handschellen oder eine Baumwollpflanze sehen, ohne an Versklavung zu denken. Also wie kann man einfach den Menschen als Menschen sehen? Als Schwarze Frau, befreit von der Geschichte. Denn der Körper ist nicht die Geschichte. Die Peitsche und alles was angeblich mit Versklavung zu tun hat, hat eigentlich nichts mit mir zu tun. Wann kann sich der Körper oder die Hautfarbe und die Identität von der Geschichte befreien?

Das ist doch ein schöner Abschluss, regt auf jeden Fall zum Denken an. Vielen Dank, liebe Noura.

KARA WALKER. A BLACK HOLE IS EVERYTHING A STAR LONGS TO BE

15. Oktober 2021 – 16. Januar 2022

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