Die kulturellen Geheimoperationen der CIA klingen zuweilen wie abenteuerliche Verschwörungsmythen. Oder hat die Popmusik tatsächlich die Sowjetunion zu Fall gebracht?

Was, wenn ein Popsong den Eisernen Vorhang durchbrochen hat oder der Kalte Krieg auf Plattentellern und in osteuropäischen Autoradios, in Jazzclubs in den Hafenstädten Westafrikas ausgefochten wurde? Das klingt natürlich nach einer Verschwörungstheorie: auch, dass beispielsweise die Central Intelligence Agency, kurz CIA, mit Jazz die Ausbreitung des Kommunismus verhindern wollte. Oder, dass die USA Songs in Auftrag gegeben haben, um die freiheitlichen Werte des Kapitalismus zu propagieren.

Es ist aber keine Verschwörungstheorie, dass der US-Auslandsgeheimdienst Kunst benutzte, um sogenannte „soft power“ zu etablieren. Das heißt: Nicht Panzer demonstrieren die Überlegenheit des Westens, sondern beispielsweise Magazine („Black Orpheus“, „Transition“), die um 1960 in gerade von den Kolonialmächten unabhängig gewordenen Westafrikanischen Ländern modernistischer Literatur eine Plattform geben. Nicht Flugschauen und Kampfjets sind dann ein Symbol für Dominanz, sondern Ausstellungen mit Werken des Abstrakten Expressionismus in Europas Metropolen, die als Gegenbild zum ideologiegesättigten Sozialistischen Realismus präsentiert werden.

Abstrakte Malerei als ideologisches Vehikel?

Nur, oft mussten diese Aktionen auch vor den teilnehmenden Künstler*innen geheim gehalten werden. Denen hätte eine solche Instrumentalisierung nämlich – lässt sich vermuten – missfallen. Nehmen wir einmal Barnett Newman, den Maler, dessen Bilder nicht nur Emanzipation von Sujet und Bildraum sind, sondern eine Unabhängigkeitserklärung der Farbe. Warum die Kunstexperten der CIA, die indirekte Verbindungen zum New Yorker Museum of Modern Art unterhielten, der Meinung waren, radikal abstrakte Malerei wäre ein geeignetes ideologisches Vehikel, darüber lässt sich spekulieren. Wahrscheinlich aber wären die abstrakt-expressionistischen Maler*innen nicht damit einverstanden gewesen, dass ihre Arbeit zur Illustration der US-amerikanischen Freiheitsvision genutzt wurde.

Barnett Newman, Who's Afraid of Red, Yellow and Blue II (Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau II), 1967 © Barnett Newman Foundation/ VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Image via staatsgalerie.de/

Deshalb hat die CIA ab den frühen 1950ern eine sogenannte „Politik der langen Leine“ entwickelt. Heißt: Die Finanzierung der Ausstellungen läuft über verschiedene Ecken und über wohltätige Organisation. Der Geheimdienst selbst tritt also nicht in Erscheinung, auch nicht die US-Regierung. Stattdessen erscheint der Name von Mäzenen, die Wanderausstellungen in Europa finanziell unterstützen.

Die Organisation, bei der alle Fäden zusammenliefen, hieß Congress for Cultural Freedom, kurz CCF. Deren Entstehung allein wäre eine eigene Geschichte wert. Hier nur so viel: Ihre Ursprünge liegen im ehemaligen Westberlin und reichen bis nach Paris ins Jahr 1949. Glaubt man der offiziellen Version, die die CIA in ihrer Geschichtsschreibung erzählt – haben sich im CCF zunächst ohne Einflussnahme der Westmächte linke, aber antikommunistische Intellektuelle und Künstler*innen zusammengefunden, die eine kommunistische Machtübernahme in Europa befürchteten, weil sie glaubten, dass der Stalinismus der freien Entfaltung der Kultur abträglich sei. 

Congress for Cultural Freedom, Berlin conference, June 1960. Credit: Wikimedia Commons, Image via thewire.in

In den Nachkriegsjahren war Paris so kurz vor einem kommunistischen Umsturz, dass das Szenario einer Sowjetrepublik Frankreich zumindest vorstellbar schien. Dann erst wurde der Kontakt zur CIA hergestellt, die bereitwillig Geld für die Aktivitäten des CCF dazugab. Schließlich, als die Verbindung 1966 bekannt wurde, sorgte das für einen kleinen Skandal. Ab 1950 wurden all diese Aktionen von der International Organizations Division orchestriert, eine Abteilung, die direkt der CIA unterstand, und geleitet wurde von Thomas Braden. Der war zuvor Generaldirektor des New Yorker Museum of Modern Art. Neben den Initiativen, die moderne Kunst als Werbemittel nutzten, bedienten sich die US-Amerikaner bald der Musik, einer Kunstgattung, die – mutmaßlich – noch mehr Menschen erreicht. Als der CCF zwei Jahre nach seiner Gründung eine Aufführung von Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ mit dem Boston Symphony Orchestra in Paris organisierte, wurde erkannt, dass diese Veranstaltung wahrscheinlich bewegender für die meisten Menschen war als jede Rede von Präsident Eisenhower.

Die CIA als geheim­nis­vol­ler Mäzen

Dann kam: Jazz. Ganz ähnlich wie in der abstrakten Malerei ging es hier um die Freiheit der Ausdrucksmittel. Improvisation war ein wichtiger Bestandteil, Nonkonformismus Teil der Haltung der Jazz-Hörer*innen und Musiker*innen. Die Musik und die Coolness waren nur denkbar im liberalen Westen, so dürfte die Motivation der CIA gelautet haben, um auch hier das Geld zu verteilen wie ein geheimnisvoller Mäzen.

Ausstellungsansicht, Suzanne Treister, CIA. 2011 © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2020, Foto: Norbert Miguletz

Dizzy Gillespie, Trompeter und Miterfinder gleich mehrerer Jazz-Subgenres, verkörperte mit seiner dicken Hornbrille, dem Spitzbart und den eleganten Anzügen den Typus der neuen Coolness. Gillespies Freund, der Schwarze Kongressabgeordnete Adam Clayton Powell junior, überzeugte den Musiker 1956, der erste „Jazz Ambassador“ der USA zu werden. Als er zu einer Vorbesprechung der Tour, die ihn nach Pakistan, Syrien, den Nahen Osten und den Mittelmeerraum führen sollte, gebeten wurde, soll er gesagt haben: „Ich hatte drei Jahrhunderte Vorbesprechung. Ich weiß, was sie mit uns gemacht haben. … Ich gehe nicht auf Tour, um die rassistische Politik Amerikas zu entschuldigen.“

Sein Kollege Louis Armstrong sagte im Jahr darauf die Konzerte in der Sowjetunion ab. Denn Präsident Eisenhower weigerte sich, die Sicherheit von Schwarzen Schüler*innen im Süden der USA zu gewährleisten – erst als Eisenhower Truppen schickte, um die High Schools vor einem rassistischen Mob zu schützen, gab Armstrong wieder Konzerte. Die Sängerin Nina Simone wurde 1961 gleich im Dunkeln darüber gelassen, wer ihr Konzert in Lagos gesponsert hat. Der Geheimdienst leitete die Mittel über die American Society of African Culture um, und diese Verbindung wurde erst 1967 öffentlich bekannt. Bei all dem war Simone sicher keine Patriotin. Sie wanderte später nach Europa aus und nannte die USA die „United Snakes of America.“

[...] Ich gehe nicht auf Tour, um die rassis­ti­sche Poli­tik Ameri­kas zu entschul­di­gen.

Adam Clay­ton Powell

Der naive Glaube, dass man nur die richtigen Künstler*innen unterstützen muss, um die Freiheit des Westens zu demonstrieren, kann also nach hinten losgehen: Die Lehre hätten CCF und CIA aus dieser Erfahrung ziehen können. Trotzdem griff die CIA in der Zeit des Kalten Kriegs immer wieder in die Produktion von Filmen, Literatur und Pop ein – so wurde das Ende der Verfilmung des George-Orwell-Romans „1984“ verändert, um ein Happy End und einen Sieg über den dystopischen Kommunismus der Romanvorlage möglich scheinen zu lassen.

Eine Kunst der Missverständnisse

Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs wurde unterdessen Kunst importiert, mit Bedeutung gefüllt. Das ging auch mit Missverständnissen einher. Zwar kann man zum Beispiel glauben, dass in den 60ern die Rockmusik angetreten war, um die bürgerlichen Moralvorstellungen des Westens zu zersetzen, aber im Osten wäre diese Art des Nonkonformismus wahrscheinlich gar nicht möglich gewesen. Denn bei aller Rebellion hat Rock’n’Roll gerade da seinen Ort, wo Kommerz und Verweigerung paradoxerweise nicht ohne einander auskommen. 

Filmposter zu Richard Burtons 1984 Verfilmung, Image via www.imdb.com

Der Schriftsteller Salman Rushdie kolportierte einmal, dass Václav Havel, erst Regimekritiker und nach der Samtenen Revolution schließlich letzter Präsident der Tschechoslowakei, ihm von seiner Liebe zu der Band Velvet Underground erzählte. In den USA der 60er standen die nihilistischen New Yorker aus dem Umfeld von Andy Warhol für Pop und seine Abgründe, in der Prager Bohème wurden sie zum Symbol für den Aufstand gegen das kommunistische Regime (sehr wahrscheinlich ohne Unterstützung der CIA). „Why do you think we called it the Velvet Revolution?“ , soll Havel gesagt haben.

Für viele Europäer ist ein gepfiffener Refrain untrennbar mit dem Fall des Eisernen Vorhangs verbunden: Ausgerechnet der Ohrwurm „Wind of Change“ von der Hannoveraner Rockgruppe Scorpions, die im Liedtext die Stadt Moskau evozieren und über ein vages Gefühl von Freiheit und Einigkeit singen ist zur Begleitmusik für das Ende der Sowjetunion geworden. Zwar sind die Hannoveraner Rocker in Nordamerika so gut wie unbekannt, aber sie füllen in den ehemaligen Sowjetstaaten bis heute Stadien. Und es gibt Vermutungen, dass der Song von der CIA in Auftrag gegeben wurde: Klaus Meine, Sänger der Band, hat das Stück geschrieben, obwohl er sonst nicht als Autor in Erscheinung tritt.

Die Scorpions während der Tour durch die ehemalige Sowjetunion, Foto: Lars Wulff, Image via Wikimedia

In Stimmung und Aussage erinnert es wenig an die anderen Songs der Gruppe. Wenn es stimmt, dass eigentlich die CIA das Stück geschrieben hat (wie der Journalist Patrick Radden Keefe in seinem gleichnamigen Podcast nahelegt), dann war das die erfolgreichste Pop-Operation des Geheimdienstes. Der Sänger übrigens streitet die Behauptung in einem kürzlichen Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ab. Aber er räumt ein: „Wenn das so wäre, dann würde das doch nur noch stärker die emotionale Power von Musik unterstreichen.“

Manchmal wird Kunst zum Symbol für Freiheit, manchmal zum widerwilligen Botschafter eines Systems, und die ideologischen Bruchlinien und Interessen verlaufen viel komplexer als bloß zwischen Ost und West. Vielleicht eignet sich Popmusik deshalb so gar nicht zur Geheimdienstarbeit: Sie ist universell missverständlich.

Wenn das so wäre, dann würde das doch nur noch stärker die emotionale Power von Musik unterstreichen.

Klaus Meine

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