Seit zehn Jahren lädt die Schirn Film- und Videokünstler*innen ein, ihre Arbeiten im DOUBLE FEATURE zu präsentieren. Zum Jubiläum der Videokunstreihe sprachen wir mit Schirn Kurator Matthias Ulrich. Wie waren die Anfänge von Double Feature? Welche Lieblingsmomente gab es in zehn Jahren Videokunst und was bringt die Zukunft?



DOUBLE FEATURE, die Videokunstreihe in der Schirn, versteht sich als Plattform für verschiedene Strömungen und Ausdrucksformen der Film- und Videokunstproduktion. Jeden letzten Mittwoch im Monat lädt die Schirn internationale Film- und Videokünstler*innen ein, ein Werk aus ihrem eigenen Schaffen zu präsentieren, gefolgt von einem Film ihrer Wahl. Bis heute wurden bereits Filme und Videoarbeiten von 120 Künstler*innen gezeigt.

DOUBLE FEATURE wurde 2012 von den Schirn Kurator*innen Matthias Ulrich und Katharina Dohm ins Leben gerufen. Seit 2017 wird das Programm von einem wechselnden Kurator*innen-Kollektiv konzipiert und begleitet.

Zum zehnjährigen Jubiläum der Reihe lädt die Schirn am 31. Mai die Künstler*innen Jumana Manna, Renzo Martens und Lydia Ourahmane ein, einen Abend lang ihre neuen Langfilmproduktionen im Frankfurter Eldorado Kino zu präsentieren und gemeinsam mit den Besucher*innen zu feiern.

Wir haben aus diesem Anlass mit Matthias Ulrich über die Anfänge, die Zukunft und besondere Momente in der Geschichte des DOUBLE FEATURE gesprochen.

Schirn Kurator Matthias Ulrich, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2017, Foto: Gaby Gerster

Seit zehn Jahren lädt die SCHIRN nationale und internationale Film- und Video­künstler*innen ein, eine Videoarbeit aus ihrem Œuvre zu präsentieren, gefolgt von einem Film ihrer Wahl. Matthias, du warst von Anfang an mit dabei. Wie kam es zu dem Format? Kannst du uns einen Einblick in die Entstehungsgeschichte geben?

Das DOUBLE FEATURE entstand in einer Zeit, in der sich eine Zunahme an künstlerischen Videoarbeiten beobachten ließ, was mit der Digitalisierung und der Vereinfachung von filmischer Produktion zu tun hatte. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits erste junge Sammlungen und Institutionen, die sich ganz der Videokunst widmeten, wie etwa in Deutschland die 2002 gegründete Julia Stoschek Collection in Düsseldorf. Auch die SCHIRN zeigte Film- und Videokunst und stieß damit auf eine große Resonanz beim Publikum, wie etwa mit der großen Solo-Show von John Bock im Jahr 2007 oder der Experimentalfilm-Gruppenausstellung „Zelluloid“ von 2010. Gleichzeitig machte ich in dieser Zeit sehr oft die Erfahrung, dass der Besuch einer Ausstellung, die neben anderen Arbeiten auch Video zeigte, eine andere Logistik erforderte. Weil man einen Videoraum selten am Anfang des Videos betrat, sah man oftmals nur einen Ausschnitt und vergaß dann, die Arbeit komplett anzuschauen. All das mündete in der Idee, die Videos so zu präsentieren und zu konsumieren, wie sonst nur in einem Kino.

DOUBLE FEATURE Vorhang, gestaltet von Michael Riedel, 2012, Foto: Norbert Miguletz

Wie sah die Videokunstszene 2012 aus?

Es gab natürlich schon seit etlichen Jahren die bis heute einflussreichen Videokünstler*innen, wie etwa Lynn Hershman Leeson, Harun Farocki, Chantal Akerman, Bill Viola oder Nam June Paik. Künstler*innen der späteren Generation, wie etwa Anri Sala oder Doug Aitken, etablierten eine aus dem Expanded Cinema bekannte Einheit aus Raum, Sound und Bild, das heute als immersive Videokunst bekannt ist. Gerade für DOUBLE FEATURE bedeutungsvoll ist eine wieder spätere Generation von Videokünstler*innen, für die die Produktion in erster Linie aus der Arbeit am Computer besteht, weil diese neue Technologie günstig in der Anschaffung war und mit weit weniger Aufwand Videos gemacht werden konnten. Dieser Generation gehören zahlreiche Künstler*innen an, die auch im DOUBLE FEATURE zu Gast gewesen sind, darunter Ed Atkins, Heather Phillipson, Mohamed Bourouissa, Agnieszka Polska, Melanie Gilligan und zahlreiche mehr.

In der SCHIRN wurden bereits Filme und Videoarbeiten von über 120 Künstler*innen gezeigt. Erinnerst du dich noch an die allererste DOUBLE FEATURE-Veranstaltung, wer war zu Gast?

Die erste Ausgabe war einer Frankfurter Künstlerin gewidmet, die bei Ausstellungseröffnungen immer ihre Super8-Kamera dabeihatte und Mitgründerin des Kunstvereins Familie Montez ist, Anja Czioska. Sie absolvierte die Städelschule und studierte u.a. in der Klasse von Peter Kubelka, der dort Experimentalfilm sowie Kunst und Kochen lehrte. Wir hatten auch danach noch öfter Künstler*innen zu Gast, die auf 8 oder 16mm drehten und für deren Screening wir extra einen Spezialisten aus der Umgebung Frankfurts dazuholen mussten.

Was die Internationalität der Künstler*innen betrifft, reichte das Budget häufig nicht so weit, wie wir hinaus wollten. Das war aber von Anfang an klar und so kam es damals dank Skype auch schon mal zu Interviews mit in New York lebenden Künstler*innen, wie etwa im Jahr 2016 mit Liz Magic Laser, was aber auch sehr unterhaltsam war. Vielleicht hat dieser „Fehler“ sogar dazu geführt, dass wir während des ersten Corona-Lockdowns kurzerhand ein ZOOM-Festival mit neuen Arbeiten und Interviews von früher bereits aufgetretenen DOUBLE FEATURE -Künstler*innen auf die Beine gestellt haben.

Wie wurde das Format anfänglich in Frankfurt angenommen? Was waren eure Hoffnungen in Bezug auf das neue Angebot und inwiefern wurden diese bestätigt oder widerlegt?

Das Format besteht ja von Anfang an in der Hauptsache aus drei Teilen, nämlich dem Screening einer – zumeist der neuesten – Videoarbeit der eingeladenen Künstler*in, gefolgt von einem kurzen Interview und Fragen des Publikums sowie zum Schluss der Präsentation eines von der Künstler*in gewählten Filmes – hier sprachen wir anfangs immer von ihrem oder seinem Lieblingsfilm. Das Programm wurde von Anfang an sehr gut angenommen, wobei unsere Erwartungen dazu andere waren als bei einem üblichen Ausstellungsprogramm. Zudem war Videokunst zu der Zeit noch nicht so populär, und das breite Publikum ist ja bis heute mit Videokunst nicht so einfach zu gewinnen. Wir hatten in dem Raum, wo DOUBLE FEATURE stattfand, gerade mal 50 oder 60 Sitzplätze, und ich schätze, dass im Durchschnitt so um die 30 Personen anwesend waren.

Uns war es von Anfang an wichtig, einen Ausstellungsraum zu schaffen, der weitestgehend ohne Erklärung auskommt. Stattdessen bieten wir einen Dialog zwischen dem, wie ich oben gesagt habe, Lieblingsfilm der Künstler*in und seiner oder ihrer eigenen Arbeit an. Vielleicht hatten wir den öffentlichen Charakter dieses Ortes unterschätzt, weil schnell klar wurde, dass die meisten Künstler*innen nicht ihren Lieblingsfilm auswählen, sondern den Folgefilm quasi dazu kuratieren. Was uns die Wirklichkeit auch schnell zeigte: Die Hauptsache für das Publikum waren die künstlerische Videoarbeit und das Interview mit der Künstler*in. Heute besteht DOUBLE FEATURE daher auch aus vier Teilen, nämlich den bereits genannten plus einem tiefer gehenden Interview, das wir vor dem Abendevent mit den Künstler*innen führen und an einem zur Videoarbeit passenden Ort in Frankfurt filmisch aufnehmen. Eine geschnittene Version wird anschließend auf dem Youtube Kanal der Schirn veröffentlicht.

 

Gab es besonders witzige Begegnungen oder Momente in der Geschichte von DOUBLE FEATURE, die dir ewig in Erinnerung bleiben werden?

Zunächst einmal hatten wir mit diesem speziellen Format die seltene Möglichkeit, von uns persönlich geschätzte Künstler*innen im Monatsrhythmus auszustellen und persönlich kennenzulernen bzw. sie dem Publikum näherzubringen. In manchen Fällen hat diese Begegnung auch zu Freundschaften und zu weiteren Zusammenarbeiten geführt, etwa bei Heather Phillipson und Neïl Beloufa zu Solo-Ausstellungen in der Rotunde der Schirn.

Der in meiner Erinnerung jedoch komischste Moment in der Geschichte von Double Feature war der Abend mit Phil Collins. Man kann es eventuell schon erahnen: Als ich die Treppe an dem Abend hochlief, um in den Raum von DOUBLE FEATURE zu kommen, hörte ich hinter mir jemanden sagen, dass sie es kaum glauben kann, heute hier Phil Collins zu sehen. Ich vermute, dass an dem Abend, an dem über 120 Menschen zum DOUBLE FEATURE kamen, die Hälfte wegen eines Missverständnisses da war. Keine*r ließ es sich aber anmerken und alle blieben bis zum Schluss der Veranstaltung.

In den letzten 10 Jahren ist viel passiert: Die Digitalisierung schreitet großen Schrittes voran, die (Kunst-)Welt wird endlich etwas diverser, wir haben einer globalen Pandemie mit entsprechenden Einschränkungen getrotzt. Was für einen Einfluss hatten und haben diese gesamtgesellschaftlichen Veränderungen auf das DOUBLE FEATURE-Format?

Tatsächlich gehört mindestens eine Videoarbeit heute in jede Gruppenausstellung zeitgenössischer Kunst. Längst ist die Spezialisierung auf ein einziges sogenanntes Medium in der Kunst obsolet. Fast jede Künstlerin, jeder Künstler arbeitet hinsichtlich eines bestimmten Themas und verwendet dafür das passende Medium, ob Skulptur, Gemälde, Zeichnung, Performance oder eben Video. Das verändert die Kunst allgemein und die Videokunst im Besonderen, und führt zu einem deutlich wachsenden Pool an in DOUBLE FEATURE passende Künstler*innen.

Darüber hinaus hat die Globalisierung den Kanon und überhaupt jeden Kanon in Frage gestellt und mit gutem Grund zerstört. Das ist aber für ein Format wie DF auch ein großer Gewinn, da wir Video nie aus einer bestimmten Perspektive betrachtet und bewertet haben, sondern es eher als eine Plattform verstanden haben, um jenen, die mit Video arbeiten, zuzuhören und zuzusehen. Auch innerhalb des Teams von DOUBLE FEATURE haben sich Veränderungen ereignet, von ursprünglich einem und dann lange Zeit zwei Kurator*innen, sind wir heute zwischen drei und fünf Kurator*innen plus hin und wieder externen Gast-Kurator*innen, die das Programm festlegen, unterschiedliche Generationen, unterschiedliche Geschlechter und unterschiedliche, kulturelle Prägungen.

Für das 10-jährige Jubiläum, das am 31. Mai im Frankfurter Eldorado Kino stattfindet, brecht ihr gewissermaßen mit dem etablierten Konzept und zeigt ein Format der Videokunst, für das es bislang im DOUBLE FEATURE keinen Raum gibt: Künstlerische Langfilme. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Ist es ein neueres Phänomen, das sich Videokünstler*innen Langfilmen widmen?

Tatsächlich erlebt der Langfilm in der Kunst aktuell eine Differenzierung und eine Konjunktur. Lange erkannte man künstlerische Filme, die man in der Regel nur in Museen, Ausstellungsräumen und Galerien sehen konnte, auch an ihrem kurzen Format von nur wenigen Minuten. Heute ist die Länge einer Arbeit keineswegs mehr ein Kriterium für die Unterscheidung zwischen Kunst und Nicht-Kunst. Die Digitalisierung und der technologische Fortschritt von Aufnahmeapparaten hat diese vor allem budgetäre Grenze inzwischen überschritten. Zudem spielt in vielen neueren Arbeiten der experimentelle Charakter von Videokunst inzwischen eine untergeordnete Rolle gegenüber der Erzählung einer Geschichte oder der kritischen Analyse eines Phänomens, die ein längeres Format einfordern. Einen großen Einfluss auf die Produktion hat aber auch die Möglichkeit der Präsentation und der Verbreitung von Videokunst außerhalb der Kunstinstitutionen, nämlich über viele Streaming-Dienste, angefangen bei Vimeo und Youtube bis hin zu MUBI. Hier tauchen plötzlich zahlreiche Namen auf, die im internationalen Kunstbetrieb bereits eine Karriere vorzuweisen haben, etwa Martine Syms oder Mika Rottenberg.

Was erwartet die Besucher*innen des Jubiläums?

Das Jubiläum findet als Gastspiel in dem ältesten noch existierenden Kino Frankfurts statt, dem Eldorado ehemals Scala Lichtspielhaus aus dem Jahr 1912. Es war in gewisser Weise folgerichtig, mit dem Langfilmformat in ein Kino zu gehen, und mit dem Team der Arthouse Kinos Frankfurt hatte die SCHIRN in der Vergangenheit immer sehr gute und freundschaftliche Erfahrungen gemacht. Drei Kurator*innen des DOUBLE FEATURE Teams haben sich für drei recht unterschiedliche Arbeiten ausgesprochen mit drei sehr zeitgemäßen Themen: einmal das Thema Klimawandel und die daraus hervorgehende Entstehung von Wüste, dann die komplexen Hinterlassenschaften der kolonialistischen Ausbeutungen von Landschaften und Kulturen gleichermaßen und schließlich die politische Instrumentalisierung von Natur zugunsten der Stabilisierung einer Ideologie.

Darüber hinaus haben wir noch einige Überraschungen vorbereitet, die wir erst vor Ort aus dem Hut zaubern werden.

Ich würde das Interview gerne mit einem Blick zurück nach vorn abschließen. In wenigen Worten: Mit welchen Ansprüchen seid ihr damals in das Format reingegangen und was wollt ihr in der Zukunft?

Wir wollen das fortsetzen, was wir angefangen haben, nämlich eine Plattform bauen, auf der zeitgenössische Videokünstler*innen ihre Werke präsentieren können, um so ein wachsendes Netzwerk zu knüpfen, interessante Gespräche zu führen und gemeinsam mit den Künstler*innen und den Besucher*innen etwas Spaß haben. Zudem denken wir immer wieder mal an eine Website mit einem Archiv und die Möglichkeit, das Projekt auch auf diese Weise weiter zu denken.

10 YEARS OF DOUBLE FEATURE

31. Mai 2023, 17 Uhr im ELDORADO-Kino Frankfurt

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