In Frankfurt hat ein neuer Kunstraum aufgemacht: ELVIRA. Was dieser mit der Stadt, mit Rainer Werner Fassbinder und der ewigen Suche nach dem eigenen Ich zu tun hat, erzählt Kuratorin Paula Kommoss im Gespräch.

Mearg Negusse: ELVIRA ist ein nicht-kommerzieller Ausstellungsraum den Du hier in Frankfurt gegründet hast. Seit wann genau gibt es diesen Kunstraum und wie ist es dazu gekommen?

Paula Kommoss: Schon seit einigen Jahren kuratiere ich Einzel- und Gruppenausstellung in enger Zusammenarbeit mit Künstler*innen in Frankfurt. 2019 gründete ich den Projektraum „Taubenschlag“ direkt unterm Dach meiner eigenen vier Wände. Hier präsentierten die Künstler*innen Julian Tromp, François Pisapia und Vera Palme Kunstwerke, die auf einer Idee basierten, im gemeinsamen Gespräch erörtert und kuratorisch umgesetzt wurden. Seitdem bestand der persönliche Wunsch, einen Kunstraum im städtischen Kontext zu finden und ein Programm zu entwickeln, das Künstler*innen aus Frankfurt in einen Dialog mit externen Positionen setzt. Im Mai 2021 war es dann soweit, ein kleiner Blumenladen in der Gutleutstraße 14 zog aus und ich konnte die Räumlichkeiten für fünf Monate nutzen und mit ELVIRA beginnen.

Was verbirgt sich hinter dem Namen Elvira? 

Der Name Elvira hat einen direkten Bezug zu Frankfurt. Elvira ist die Hauptprotagonistin von Rainer Werner Fassbinders „In einem Jahr mit 13 Monden“ (1978). Der Film nimmt seinen Ausgangspunkt hier im Frankfurter Bahnhofsviertel. Nachdem ihr Freund Schluss macht, besucht Elvira einige der wichtigsten Orte und Menschen ihres Lebens in Frankfurt. Sie bewegt sich durch die Stadt, um eine Antwort auf ihre Ungewissheit zu finden, kommt aber nirgendwo an.

Nooshin Askari, Walking, 2019, Courtesy the asrtist, Photo (c) Elvira

Und würdest du sagen, dass dieser Gedanke konzeptuell im Programm von ELVIRA mitgedacht wird?

Ja, es zieht sich eigentlich wie ein roter Faden durch das Programm. Alles fing mit dem Moment der Fortbewegung an. Als ich Nooshin Askari von meinem Vorhaben erzählte, machte Askari direkt mit dem Film „Walking“ (2019) bei dem Projekt mit. In dem Film bewegt sich ein Avatar vor zwei Rennfahrern auf einer Rallye-Straße kontinuierlich vorwärts. Ein mit der Wirbelsäule verlängerter Schwanz fungiert als schwungvoller Rückwärtskompass. Im Loop wiederholt sich die Szene immer und immer wieder und verdeutlicht den Akt des restlosen Schreitens. Das war ein guter Auftakt, da das Werk durch die bodentiefe Fensterfront von außen zu sehen war und rund um die Uhr lief – Passant*innen konnten dem Werk spontan begegnen, blieben stehen und man kam ins Gespräch.

Dann folgte die Ausstellung „Von Unten“ mit Arbeiten von Beth Collar und Shaun Motsi. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit diesen Künstler*innen? 

Shaun Motsi ist ein Absolvent der Städelschule mit dem ich schon seit Längerem über eine Zusammenarbeit nachdenke. Sein Werk „Automat_3 (Extinction Rebellion OST)“ beschäftigt mich schon seit einer Weile. In Form einer Geldautomaten-Skulptur zeigt Motsi Momentaufnahmen im öffentlichen Raum – eine Marionette spielt auf einer Geige und niemand bleibt stehen. Zusätzlich war ich mit Beth Collar im Gespräch. In der Arbeit „Cloaked Output Vol 2: Spirals of Focus“ versammelt Collar filmische Detailaufnahmen von männlichen Monumentalskulpturen aus Rom, Berlin und Sheffield. Die Perspektive ist immer von hinten und unten gewählt. In der Ausstellung war das einseitige Bemühen um Kommunikation ein wichtiges Moment. Beim Betrachten der Bildschirme fand man sich in der Perspektive eines Einzelgängers wieder.

Momentan läuft die Ausstellung „Dritte Person“ mit Arbeiten von Claude Cahun, Hannah Fitz und Atiéna R. Kilfa. Wie kam es zu dieser künstlerischen Zusammenstellung?

Die Ausstellung „Dritte Person“ betrachtet Aspekte der Transformation von Identität.

Hier steht das Selbst im Vordergrund und eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Rollenbildern. Claude Cahun widmet sich in ihrem literarischen Hauptwerk „Aveux Non Avenus“ (1930) der Suche nach dem Ich und dieser Suche gehen auch zwei zeitgenössische Künstlerinnen nach, die neben Cahuns Fotocollagen zu sehen sind. Wenn man die Ausstellung betritt wird in Hannah Fitzs „Mirror“ (2021) der Blick auf das eigene Spiegelbild nur bedingt möglich. Hierdurch entsteht eine Unterbrechung der spiegelnden Oberfläche, die zu einem monochromen Grau wird–zu einer Art neutralen Projektionsfläche.

Hinzu kommt Atiéna R. Kilfa’s fotografische Serie „You Look Lonely“ (2021), in der drei Frauen in einer Wohnung abgelichtet wurden – alle von der gleichen Schaufensterpuppe verkörpert. Die hier dargestellte Person ist eine andere, eine dritte, ohne Selbstbestimmung. Sie befindet sich auf einer Grenze von Subjekt und Objekt. Es war mir wichtig, dass die Ausstellung unterschiedliche Auseinandersetzungen mit dem Selbst anspricht – von einer ambivalenten Darstellung des eigenen Ichs, hin zum Spiegelbild oder einer Doppelung und dann zu einer Projektionsfläche. Eine historische Position mit zeitgenössischen zu verbinden ist ein großes Privileg. Denn in dieser kleinen Konstellation ermöglicht es einen freien und assoziativen Zugang.

Könntest Du ein bisschen über Deine kuratorische Praxis in Bezug auf den Ausstellungsraum sprechen?

2020 war das Jahr in dem ich das Konzept für den Ausstellungsraum entwickelt habe. Es war ein Jahr voller Unsicherheiten – coronabedingt musste eine große Gruppenausstellung abgesagt werden. Gerade deshalb war es mir wichtig, mit einem Projektraum zu starten, der als geschlossene Ausstellungsreihe fungiert. Die Screenings und Ausstellungen bauen thematisch aufeinander auf. Mitunter von Fassbinders Figur Elvira inspiriert, spielen vor allem soziale Begegnungen im urbanen Raum, die Frage nach dem Sinn des eigenen Ichs und unterschiedliche Blickwinkel auf die Stadt Frankfurt selbst eine wichtige inhaltliche Rolle. Ich habe mit einem Screening begonnen, konnte dann mit drei Ausstellungen inhaltliche Schwerpunkte zu setzen und werde das Projekt mit einem finalen Screening schließen. Ein filmischer Moment schwingt im kuratorischen Konzept auch mit: die ausgestellten Werke werden zu Elementen und Bildern, die miteinander interagieren. 

Kannst Du uns noch einen Ausblick darauf geben, was die Besucher*innen als nächstes erwarten können?

Die aktuelle Ausstellung läuft noch bis Mitte des Monats, am 15. August wird es eine Finissage geben­. Auf was ich mich besonders freue ist das Sommer-Screening am 4. September mit filmischen Werken von unter anderem Georgia Sagri und Annika Kahrs. Die finale Ausstellung eröffnet am 4. September mit den Künstler*innen Bogdan Ablozhnyi, Judith Hopf, Phung Tien-Phan und Matt Welch. ELVIRA endet in der letzten Septemberwoche mit einem Screening von Isa Genzkens „Chicago Drive“ (1992).

ELVIRA

Gutleutstrasse 14 60329 Frankfurt am Main, Newsletter-Anmeldung unter elviraspaceinfo@gmail.com

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