Knapp 50 Jahre hat sie Bruno Gironcoli als Ehefrau, Künstlerin und Freundin begleitet. Christine Gironcoli im Gespräch über Höhen und Tiefen seiner künstlerischen Karriere und ihr Leben mit einem Einzelgänger.

Frau Gironcoli, wie haben Sie und Ihr Mann sich kennengelernt?

Kennengelernt haben wir uns Ende der 1950er Jahre in der Akademie für angewandte Kunst, wie es damals hieß. Wir haben beide die Malklasse von Eduard Bäumer besucht. Mein Mann ist dann durch ein Stipendium 1959/60 nach Paris gekommen und hat dort etwas vorgefunden, das bei uns in Wien noch nicht so bekannt war. Einen großen Eindruck hat ihm zum Beispiel Alberto Giacometti gemacht. Dann haben ihn auch Duchamp und Calder sehr beeindruckt. Eigentlich hat er damals beschlossen, dreidimensional zu arbeiten.

Vorher waren Sie also beide in der Malereiklasse und der Parisaufenthalt hat den Umschwung gebracht?

Ja, mein Mann kam dann zurück und hat begonnen mit Drahtplastiken, mit ein bisschen Plexiglas und überhämmerten Keilrahmen mit Aluminium. Ursprünglich, vor der Akademie, hat er eine Gesellenprüfung als Goldschmied in Innsbruck abgelegt, wo er mit seinem Vater gewohnt hat. Da gibt es frühe Sachen von ihm, die noch niemand gesehen hat. Die wurden auch nicht ausgestellt, das hat niemand gekannt.

Bruno Gironcoli im Frankfurter Kunstverein 1981, Foto: Walter Kranl

Da waren Sie auch beide noch sehr jung.

Ganz jung, ja, er war fünf Jahre älter als ich. Ich war 20 er war 25, da hatten wir schon die kleine Tochter. Das war ein bisschen hart. Ich machte mein Diplom und er war selbständig. Nachdem er aus Paris zurückgekommen war, ist er nicht mehr zurück in die Akademie. Wir hatten eine Wohnung und da war ein Raum, wo er arbeiten konnte. Dort hat er vier Jahre lang Aktzeichnungen von mir gemacht. Jeden Abend war ich Modell, das sind interessante Serien. Er hat sich immer mehr von der Natur abgewendet und im Akt Formen eingebaut, die hoch interessant waren. Und wer konnte schon sagen, wo die hinführen würden? Die nächste Periode waren dann Gipsmodelle, ganz strenge Formen, die er in Polyester abgegossen hat. Die Modelle hatten wir in der Wohnung, bis überall nur mehr Gips war und die Trümmer schon fast die Wohnung zum Einsturz gebracht hätten. Und einmal ist Walter Pichler auf Besuch gekommen und hat dann auch den Monsignore Mauer zu uns geschickt, weil er dachte, dass ihn diese Arbeit interessieren würde. Er war eigentlich sonst sehr, sehr kritisch, weil er ja nur eine kleine Auslese von Künstlern in seiner Galerie hatte, aber er war auf Anhieb begeistert. 

Monsignore Mauer, der die Galerie nächst St. Stephan in Wien geführt hat, hat dann Ihren Mann gefördert?

Ja, er hat ihn überhaupt erst in die Öffentlichkeit gebracht. Und zwar hat er damals Geld aufgetrieben, womit mein Mann die Gipsmodelle in Polyester realisieren konnte. Das heißt, er [Gironcoli] hat gelernt, wie man das macht. Mein Vater hat ihn mit jemandem zusammengebracht, der ihm gezeigt hat, wie man das anfertigt, und innerhalb von einem Jahr war die Ausstellung fertig.

Die Modelle hatten wir in der Wohnung, bis über­all nur mehr Gips war und die Trüm­mer schon fast die Wohnung zum Einsturz gebracht hätten.

Christine Gironcoli

In welchen Räumlichkeiten hat er in dieser Zeit gearbeitet?

Mein Großvater hat schon seit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert eine Wäscherei gehabt. Das waren große Räume, die aufgelassen waren. Dadurch hat es Platz genug gegeben. Dort entstanden die Arbeiten für die erste große Ausstellung in der Galerie nächst St. Stephan. Und dann hat mein Mann immer wieder von großen Skulpturen geträumt – von größeren zumindest – aber er konnte sich damals kein Atelier leisten, um so etwas zu realisieren. Doch dann ist Fritz Wotruba gestorben und mein Mann ist der Nachfolger geworden: Professor an der Akademie der bildenden Künste.

Und durch diese Professur hat er große Atelierräume bekommen?

Genau, deshalb war das natürlich alles möglich. Er hat zuerst seine Arbeiten alleine gemacht, aber nachdem er für diese Formate eben auch Helfer brauchte, hat er drei Polen angestellt. Der eine konnte gut schweißen, die zwei anderen haben seine Formen dann in Polyester ausgeführt. Er hat dann immer sehr lang gearbeitet und manchmal hat er mich geholt und gesagt: „Schau dir das an.“ Und ich fand es gut und vollständig und er sagte nur: „Nein, da kommt noch was dazu.“ Irgendwann hat er mir seine fertige Skulptur gezeigt, und ich habe kapituliert. Sie war noch besser geworden. (lacht)

Also hat er Ihren Ratschlag als Künstlerin auch gesucht?

Ja schon. Obwohl wir eine Zeit lang geschieden waren. Wir haben zweimal geheiratet, das ging zuerst 10 Jahre und zuletzt dann noch einmal 14 Jahre. Aber den Kontakt haben wir immer gehabt, durch die Tochter und auch durch seine Arbeit,- wo ich immer irgendwie auch involviert war. Und dann sind diese großen Skulpturen entstanden, die oft missverstanden wurden. Viele haben darin nur Maschinen gesehen, das hat ihn gestört. Für ihn war immer der Mensch im Vordergrund und vielleicht das Ausgeliefertsein an die Maschine oder das Leiden des Menschen durch die Maschine. Aber es stand eben immer der Mensch im Mittelpunkt.

Letzt­lich war es so, dass seine Arbeit auch ein Geheim­nis war, das er nicht unbe­dingt preis­ge­ge­ben hat.

Christine Gironcoli
Bruno Gironcoli, Kristian Sotriffer und Christine Gironcoli in einer aufgelassenen Wäscherei © Archiv Bruno Gironcoli, Wien

In den Skulpturen hier in der Ausstellung sieht man auch Weintrauben, Weinblätter…

Ja, es sind auch viele pflanzliche Elemente zu erkennen. Er hatte eine starke Beziehung zur Natur und zu Poesie, Geburt und Tod…

Hat er das Ihnen gegenüber auch so formuliert?

Naja, er hatte zu den allerwenigsten Arbeiten einen Kommentar. Letztlich war es so, dass seine Arbeit auch ein Geheimnis war, das er nicht unbedingt preisgegeben hat. Auch mir gegenüber nicht.

1997 fand dann im MAK die Ausstellung mit dem Titel „Die Ungeborenen“ statt.

Ja, aber davor gab es eine große Ausstellung im Museum des 20. Jahrhunderts. Da wurden seine ersten großen Skulpturen gezeigt und die waren sehr, sehr dicht gestellt. Er wollte alles hineinbringen und hat immer gesagt: „Da ist noch Platz.“ Und wo Platz war, musste etwas hin. [Peter] Noever im MAK hat mit ihm kämpfen müssen, dass er die Ausstellungsfläche nicht wieder vollräumt. (lacht)

Mich erinnert das ein bisschen an diese Aufnahmen, die ich von seinem Atelier im Prater kenne, wo auch fast kein Fleck auf dem Boden freibleibt.

Dort ist gearbeitet worden, emsig. Er wollte den Haushalt und die Arbeit immer beisammen haben. Mit den Gipsmodellen war das schon damals für mich nicht mehr erträglich. Aber es ist ihm gelungen in der Akademie, weil er über dem Atelier eine große Wohnung hatte. Von dort musste er nur eine Treppe hinunter gehen zur Arbeit. Und wenn die Polen nicht weiter wussten, haben sie ihn nicht gerufen, sondern mit Hämmern auf die Traversen geschlagen. Das war so kafkaesk (lacht).

Er war ja dann beinahe 30 Jahre Professor an der Akademie. Viele seiner Schüler sind heute selber große, bekannte Namen. Haben Sie ihn jemals als Lehrer mit seinen Schülern erlebt?

Ich hab nur erlebt, dass seine Art zu unterrichten nicht Vorträge waren, sondern er hat hauptsächlich Gespräche mit den einzelnen jungen Künstlern geführt. Und die haben dann gedauert, manchmal so 2 bis 3 Stunden! Da ist ausführlich über die Arbeit gesprochen worden.

Es wird oftmals gesagt, dass Bruno Gironcoli Einzelgänger war – als künstlerische Position aber auch in der Wiener Szene. Können Sie das bestätigen?

Das stimmt, er hat sich eigentlich nie irgendeiner Gruppe angeschlossen. Ugo Rondinone hat ja damals im Palais de Tokyo diese Ausstellung gemacht für Künstler, die eher zurückgezogen leben und arbeiten. Da hatte er auch einen großen Raum mit drei großen gegossenen Skulpturen. Seine Arbeit hat ihn nicht losgelassen. Bis in die Nacht, sogar am Samstag ist noch gearbeitet worden, nur den Sonntag hat er freigehalten. Er hat eigentlich nur für seine Arbeit gelebt. Privatleben und Familie war für ihn so ganz am Rande. Aber nicht in irgendeiner Art der Vernachlässigung, sondern weil er einfach immer beschäftigt war.

Bruno Gironcoli in seinem Atelier, Kurzbauergasse, Wien, 1997, Architekturzentrum Wien, Sammlung, Foto: Margherita Spiluttini

Sie haben sein Leben und seine Arbeit ja sehr lange begleitet, was ist in Ihren Augen sein größter Erfolg gewesen? Auch für ihn persönlich?

Sein größter Erfolg war eigentlich die Biennale in Venedig. Damals war er schon krank. Er ist 1993 operiert worden, er hatte einen Tumor an der Hypophyse. Aber er hat sich dann wieder erholt und die Biennale in Venedig hat ihn natürlich unheimlich gefreut. Er wollte im Hotel Des Bains logieren, das er aus dem Film „Tod in Venedig“ kannte. Diesen Wunsch hat man ihm erfüllt.

Seit 2004 gibt es ständige Präsentationen seiner Werke im Gironcoli-Kristall der STRABAG und auch im Bruno Gironcoli Museum Herberstein.

Das kam zustande, als er das große Atelier in der Akademie nach seiner Emeritierung räumen musste. Er wusste lange nicht wohin damit. Das Museum in Herberstein, das für ihn gebaut wurde, war grade fertig geworden, sodass die Arbeiten von der Akademie direkt dorthin gewandert sind und natürlich auch ein größerer Teil zur STRABAG. Mein Mann hat eigentlich bis zum Schluss gearbeitet. Das konnte er nicht lassen. Er hat dann kleinere Sachen gemacht, nicht mehr die ganz großen Skulpturen. Zuletzt hat er immer sein Werkzeug im Bett neben sich liegen gehabt. Ich musste das Bett immer überziehen, abräumen und dann wieder draufräumen. Dann ist er 2010 gestorben, genau vor neun Jahren, am 19. Februar 2010. Das war eine traurige Zeit.

2014 wurde die Bruno Gironcoli Werkverwaltung gegründet, an der Sie ja großen Anteil haben. Was bedeutet es für Sie, den Nachlass Ihres Mannes zu verwalten?

Nach dem Tod meines Mannes hab ich Gott sei Dank zwei große Skulpturen verkaufen können, weil eine Menge Schulden da waren, und das konnte ich damit bezahlen. Unser Rechtsanwalt, Herr Dr. Kahlig, den mein Mann schon zu Lebzeiten kannte, ist auch ein großer Kunstfreund und kennt die Arbeit sehr gut. Er, Frau Mag. Bettina Busse und ich sind es, die diese GmbH aufrechterhalten.

Mein Mann hat eigent­lich bis zum Schluss gear­bei­tet. Das konnte er nicht lassen.

Christine Gironcoli

Der Gironcoli-Kristall mit 9 Polyesterskulpturen Bruno Gironcolis, Foto: Rudi Froese Photography, Image via www.strabag-kunstforum.at

Häufig wird die schwierige Logistik rund um die Arbeiten Bruno Gironcolis beschrieben. Es gibt Geschichten darüber, wie eine Wand eingerissen wurde, um eine Skulptur in eine Ausstellung zu bringen. Das ist sicherlich auch eine Herausforderung im Umgang mit seinen Werken?

Naja, es gibt den Kunsttransport, der sich hs art nennt. Da ist ein gewisser Herr Prietl, der die Arbeit so gut kennt. Der misst genau aus, wo etwas hineingeht und wo nicht. Den muss man immer hinzuziehen. Er macht es auch gern, obwohl er jetzt schon in Pension ist, und war ja auch in Frankfurt.

Ja, das hat auch hier wunderbar funktioniert.

Vor einigen Jahren war eine Ausstellung in Genf im MAMCO. Da musste man große Fabrikfenster herausnehmen und die Arbeiten sind mit dem Kran hineingekommen. Wenn Herr Prietl dabei ist, bin ich immer sicher, dass den Arbeiten nichts passiert.

Liegt Ihnen der Nachlass Ihres Mannes auch persönlich am Herzen?

Ich bemühe mich die ganze Zeit. Das ist schon eine Aufgabe für mich. Fast wie ein Beruf, aber ich hab immer Anteil an seiner Arbeit genommen und das ist für mich eigentlich selbstverständlich. Ich wollte zwar immer, wenn ich mal alt und in Pension bin, in einem südlichen Land überwintern, aber ich bin bis heute nicht dazu gekommen. (lacht)

BRUNO GIRONCOLI

PROTO­TY­PEN EINER NEUEN SPEZIES

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