Vom 10.-12. Februar öffnet die Städelschule in Frankfurt ihre heiligen Hallen für die Öffentlichkeit und bietet einen Einblick in das künstlerische Schaffen ihrer Studierenden. Wir haben mit fünf beteiligten Künstler*innen vorab gesprochen und zeigen ihre Werke!

Vom 10.-12. Februar öffnet die Städelschule ihre heiligen Hallen für die Öffentlichkeit. Studierende zeigen ihre Arbeiten in der Dürer- und in der Daimlerstraße in Ateliers, auf dem Hof, im Garten, in der Küche oder im DFF, dem Deutschem Filminstitut und Filmmuseum. Gleichzeitig finden Vorträgen, Performances und Filmvorführungen statt. Am Freitagabend ist die Preisverleihung mit Rektorin Yasmil Raymond und den Jurymitgliedern Övül Ö. Durmuşoğlu (Unabhängige Kuratorin), Monika Baer (Professorin für Malerei an der Städelschule) und David Dreyfus (Mitglied des Städelschule Portikus e.V.). Wir haben mit fünf Künstler*innen gesprochen und zeigen ihre Werke.

1. Ian Waelder

Alles beginnt mit einem Opel Olympia aus dem Jahr 1935. Der Großvater mit jüdischen Wurzeln des Künstlers Ian Waelder kann durch den Verkauf seines Auto aus Deutschland flüchten. Waelder ist das erste Familienmitglied, das nach dem Holocaust wieder nach Deutschland zieht. Mit seinem Umzug von Spanien nach Frankfurt beginnt eine Reise in seine Vergangenheit. Er findet Stolpersteine, die ihn in eine neue Beziehung zu seiner familiären Geschichte setzen und schlussendlich zu dem Opel Olympia seines Großvaters führen. Der Fund einer originalen Broschüre für die Bedienungsanleitung des Autos inkludiert der Künstler in seine künstlerische Praxis. Waelder, der erst bei Peter Fischli und dann bei Haegue Yang studiert, stellt beim Rundgang 2023 Gemälde, Skulpturen und ein Wandobjekt aus, die alle einen Bezug zu seiner Biografie aufweisen. Die Serie „Romantic Gestures“ (2022) zeigt anonyme Hände aus der Broschüre des Opel Olympia, die sich der Frage widmet: Wie kann auf ein Auto aufgepasst werden? Wie sollten Einzelteile behandelt werden? Es ist eine Anleitung für Care-Arbeit eines materiellen Gegenstandes, den der Künstler immer und immer wieder neu verhandelt. Auf eine poetische Weise transformiert Waelder ein hartes Material wie Metall, das frei von subjektiven Merkmalen ist, in ein personalisiertes Objekt, das es schafft, entgegen der Kälte des Materials, eine Wärme zu transportieren.

Die Gemälde wiederum referieren auf einen Film, in dem der Opel Olympia eine Rolle spielt. Szenen aus dem Film extrahiert Waelder und lässt Filmstills auf einer Leinwand schweben. Es verlangt Konzentration, damit man das Auto und einen Mann erkennen kann – fast so, als würde sich das Filmstill nur auf der Leinwand ankündigen, nicht aber ganz zeigen wollen. Die Szene erscheint wie eine verschwommene Erinnerung, die es nur per Zufall auf die Leinwand geschafft hat. Waelders Arbeiten sind poetisch, sanft und kommunizieren auf einer Ebene mit den Betrachter*innen, die sich abseits des gesprochenen Wortes abspielt – ganz so, als würde man durch Erinnerungen hindurch miteinander sprechen.

Ian Waelder, Romantic Gestures, 2022
Ian Waelder, Background vehicle (Background stares), 2022
2. Thuy Tien Nguyen

Die Arbeiten von Thuy Tien Nguyen sind im Garten, der Küche, Mensa und in ihrem Studio in der Städelschule der Dürerstraße verteilt, wodurch die Künstlerin mit den Betrachter*innen „Hide & Seek“ spielt und sie zur Suche ihrer Kunstwerke animiert. Die Mitarbeit in der Mensaküche der Akademie habe ihre künstlerische Praxis beeinflusst, so die Künstlerin. Den Menschen Essen zu servieren und gleichzeitig die essenden und trinkenden Leute zu beobachten hätten sie geprägt. Vom Arbeiten mit Salz kam die Künstlerin zum Zucker als künstlerisches Material, mit dem sie seit zwei Jahren arbeitet. In der Küche geht es viel um repetitive Abläufe, die sie in der Werkserie mit den Zuckerplatten überführt hat. Was aussieht wie Marmor, liegt als Zuckerplatte auf einem Rolltransporter. Die Struktur der Zuckerobjekte ist fragil, zart und leicht zerbrechlich. Nguyen erzählt, dass sie versucht habe, mit den Einheiten zu spielen und so zu einer Art Massenproduktion von Zuckerplatten gekommen sei, eine Arbeitsweise, mit der sie auch in der Küche vertraut sei.

Auch ihre Kunstwerke in der Mensa weisen Spuren dieser Küchenarbeit auf, jedoch nicht länger in Form des Zuckers, sondern in Gestalt des Geschirrhandtuchs, das zum Printmotiv für eine Aluminiumplatte wird. Das weiche Tuch bildet einen Kontrast zum harten Metall, das dadurch gebrochen wird. In der Küche arbeitet man nicht nur mit Lebensmitteln, die serviert werden; die Lebensmittel müssen auch transportiert, weggeräumt und von einem Ort zum nächsten bewegt werden. Die körperliche anstrengende Arbeit – ganz gleich, ob im Büro, in der Küche, als Lieferant*in oder ähnliches – und die damit oft einhergehenden Rückenschmerzen sind der Ausgangspunkt für Nguyens Kunstwerk im Garten. Ein Metallring um einen Baum hält einen Schaumstreifen, der sich gekrümmt dem Boden nähert, aber ihn nicht berührt: Abstrakter Schmerz, der in einem humoristischen Objekt verarbeitet wird.

Thuy Tien Nguyen:late notes on being short, at times tender, 2022-2023
Thuy Tien Nguyen, Slicky slide for super strong spine (or on looking at chronological back pain), 2022-2023
3. Tomás Maglione

Tomás Maglione zeigt drei Arbeiten, die alle im letzten Jahr entstanden sind. Viele seiner Zeichnungen haben Fußabdrücke auf dem Papier. Die Spuren seiner Füße fungieren als eine Art „Starting-Point“, von dem aus Maglione via verschiedener künstlerischer Medien „weitergeht“. So inkorporiert er die Stadt, seine Spaziergänge und alles, was dazwischen passiert etwa auf einem losen und leeren Blatt Papier. Die daraus entstehenden Bleistiftzeichnungen haben ein klassisches A-4 Format. Auf einer dieser Arbeiten sind zwei Beine dargestellt, wobei ein Fuß als Schuh der Marke „Crocs“, der andere Fuß als Spitze eines ICEs angedeutet wird.

Das Gehen, beziehungsweise die Fortbewegung durch die Stadt, haben den Künstler in jüngster Zeit beschäftigt. So zeigt die ausgestellte Videoarbeit, wie Maglione einen Ball durch Frankfurt kickt, in dem eine Kamera versteckt ist. In Slow Motion folgt man dem Ball, wie er sich über die Zeil beziehungsweise Hauptwache hinweg bewegt. Vom Himmel zum Bordstein und zurück sehen wir zwischendrin zahlreiche Fußgänger*innen. Beim Betrachten des Videos kann einem schwindelig werden, so sehr überträgt sich die Perspektive des Hamsterrads der Stadt auf die Zuschauenden. Ergänzt werden die Zeichnungen und das Video durch vermeintliche Sitzobjekte, die im Studio verteilt sind. Sie changieren zwischen Kunst und Möbelstück. In den Cubes sind Lampen inkludiert, wobei eine spezifisch als Lavalampe identifiziert werden kann – eine Lampe, die den Künstler aufgrund ihrer Eigenschaft als günstige Lichtquelle besonders interessiert. 

Foto: Tomás Maglione
Foto: Tomás Maglione
4. Samuel Linus Gromann

Kanaldeckel – besser bekannt als Gullydeckel - gehören zum Stadtbild in Frankfurt ebenso wie der Main oder die Wolkenkratzer. Doch während unsere Blicke für die Architektur der Stadt in die Höhe schweifen, bleiben die Straßen oder Fußgängerwege Mittel zum Zweck und sind ästhetisch für die meisten wohl eher uninteressant. Künstler Samuel Linus Gromann aus der Klasse Judith Hopf setzt genau da an, wo manch anderer keinen weiteren Gedanken verlieren, sondern schlichtweg darüber hinweglaufen würde. In der Lichthalle der Städelschule liegen drei Kanaldeckel – einer ist maßstabgetreu, die anderen haben kleinere Durchmesser. Doch anders als auf den Straßen, sind diese Objekte co-abhängig vom Innenraum. Sie sind aus Gips, Holz und Zeitungspapier und würden sich in Berührung mit Wasser auflösen. Die Arbeiten stehen dem gemeinhin aus Eisen gefertigten Kanaldeckel also konträr gegenüber, sind fragil, ephemer und kurzlebig.

Der Titel der Arbeit „Mark“ verweist auf die Funktion der Arbeit, etwas zu markieren, aber auch auf den männlichen Vornamen „Mark“ und somit auf den menschlichen Körper. Eine Schnittstelle von Urbanismus und menschlichen Körper entsteht durch den Eindruck, man könne durch den Deckel in eine tiefere Eben hinabsteigen. Die Objekte schaffen eine Verbindung von Ober- und Unterwelt, von Innen und Außen. Der mögliche Transfer in eine anderen Eben verweist auch auf ein Netzwerk, dass unter dem Ausstellungsraum existieren könnte. Zugleich wohnt den Kunstwerken eine gewisse sexuelle Konnotation inne, so sagt der Künstler, der Deckel könne als Symbol für eine Körperöffnung verstanden werden.

Samuel Linus Gromann, Mark, 2023
5. Amalie Lorentzen

Ein Raum, zwei Menschen; diese abwesend und anwesend, laut und leise: Der Film „Erhöre mich" von Amalie Lorentzen könnte auch mit „Zusammen allein“ betitelt werden. Die 12-minütige Videoarbeit zeigt einen Mann und eine Frau an einem sommerlichen Tag in einer Altbauwohnung. Sie reden miteinander, doch verstehen sie sich nicht. Sie sprechen verschiedene Sprachen: Türkisch und Dänisch. Doch es macht den Anschein, als würden sie beide auf eine eigene Art und Weise miteinander in Kontakt treten wollen. Der Mann ist wie paralysiert, er schaut mit leeren Augen in die Ferne, an der Frau vorbei, und sitzt auf einem Stuhl – manchmal wechselt die Kameralinse in einen Modus der „Überwachung“. Der Eindruck wird dadurch evoziert, dass man den Mann wie durch einen Fernseher sieht und so eine geradezu voyeuristische Perspektive einnimmt. Das Prinzip folgt dem der Scheibe, durch die man nur von einer Seite hindurch schauen kann, da die andere Seite verspiegelt ist.

Der Mann stellt sich und der Frau existentielle Fragen, scheint dabei jedoch passiv, in sich gekehrt und alleine zu sein, obwohl sie doch bei ihm ist. Seine theatralische und abwesende Art steht der aktiven Rolle der Frau im scharfen Kontrast gegenüber. Sie bewegt sich durch den Raum, schaut aus dem Fenster, singt und scheint zu versuchen, einen Weg der Kommunikation zu finden – zu ihm,  aber auch darüber hinaus, um mit der Situation umgehen zu können. Die Klammer der beiden Personen ist der Raum, in dem sie gemeinsam verharren. Das Leben zu navigieren scheint für die beiden so unterschiedlichen Personen nur auf verschiedene Weise umsetzbar, doch schließt dies nicht aus, miteinander zu koexistieren.

Amalie Lorentzen, Erhöre mich, Filmstill, 2023
Amalie Lorentzen, Erhöre mich, Filmstill, 2023
Amalie Lorentzen, Erhöre mich, Filmstill, 2023

Städelschule Rundgang 2023

10.–12.02.2023, täglich 10:00–20:00. Freier Eintritt

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