Kann man Gegenständen einfach neue Namen zuweisen? In seinen Wort-Bildern bediente sich Magritte der sprachwissenschaftlichen Theorien Ferdinand de Saussures – und hinterfragte das komplexe System der Sprache.

„Le Ciel“ - Der Himmel – steht in geschwungener Schrift auf schwarzem Grund. Über den Worten ist zu sehen: Eine braune Reisetasche. An den unteren Bildrand hat der Künstler das grüne Blatt eines Baumes gemalt, untertitelt mit „la table“, der Tisch. Was ist hier schief gelaufen?

Hat Magritte während des Malens von „L’interprétation des rêves“ (Die Traumdeutung) versehentlich die Begriffe vertauscht? Als Betrachter des Gemäldes bemerkt man einen sofortigen Widerstand, der Gedanke „Aber das ist doch eine Tasche und kein Himmel!“ wird laut, bevor sich leise Verwirrung breit macht. Und Magritte hat schon sein Ziel erreicht.

Er verbannt jegliche Logik

„Kein Objekt ist so fest mit seinem Namen verbunden, dass man ihm nicht einen anderen geben könnte, der besser zu ihm passt“, schreibt Magritte 1929 für die hauseigene Publikation der Surrealisten „La Révolution surréaliste“ in einer Art Definitionskatalog namens „Les mots et les images“ (Die Wörter und die Bilder) - und liefert damit gleich eine Erklärung für seine rätselhaften Bilder, in denen Gegenstände und deren Bezeichnungen auf verwirrende Art und Weise nicht zueinander passen.

René Magritte, Le palais de rideaux III, 1928/29, The Sidney and Harriet Janis Collection Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Er tritt damit in die Fußstapfen der Künstler aus dem Kreis um André Breton, die jegliche Logik aus den surrealistischen Gedichten und Malereien verbannt hatten: In ihrer Kunst sollten Wörter niemals das bedeuten, was sie normalerweise bedeuteten. Denn die Verbindung zwischen einem Gegenstand und seiner Bezeichnung ist absolut willkürlich und beide sind nicht voneinander abhängig: Wer einen Stuhl sieht, denkt „Stuhl“, wer das Wort „Stuhl“ hört, sieht vor dem inneren Auge das Bildnis eines Stuhls.

Ein Baum heiße nur durch Zufall Baum

Der Name eines Gegenstandes macht die Darstellung desselben überflüssig, weiß Magritte – und malt einen eckigen Kasten, in dessen Mitte das Wort „Ciel“ zu lesen ist, ohne dass irgendwo ein Himmel zu sehen ist. In einem Vortrag über seine „Wort-Bilder“, den er 1937 in London hält, bringt er den Beweis für seine These, indem er in einem Text von André Breton das geschriebene Wort „Sonne“ durch die Zeichnung einer Sonne ersetzt – und es trotzdem von allen verstanden wird.

René Magritte, La lecture défendue, 1936, Royal Museums of Fine Arts of Belgium, Brussels, Photo: J. Geleyns - Ro scan / Charly Herscovici, with his kind authorization – c/o SABAM-ADAGP, 2016 © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Es ist höchst wahrscheinlich, dass der Künstler während der Entstehung der „Wort-Bilder“ bestens mit den Theorien der Sprachwissenschaft von Ferdinand de Saussure vertraut war, die nach dessen Tod 1916 von ein paar seiner engagierten Studenten veröffentlicht worden waren. „Das Band, welches das Bezeichnete mit der Bezeichnung verknüpft, ist beliebig“, war schon Saussure überzeugt. Ein Baum heiße nur durch Zufall Baum und könne genauso gut anders genannt werden.

Sprache ist ein fließender Prozess

Ein Blick auf die unterschiedlichen Bezeichnungen in anderen Sprachen bestätigt dies, hier heißt das Bezeichnete „Tree“, „Arbre“ oder „Árbol“ und könnte genauso gut „Larn“ oder „Wälk“ lauten. Und doch haben wir als Individuum nicht die Möglichkeit, Sprache bewusst zu verändern, uns heute dafür zu entscheiden, dass ein Baum ab morgen anders heißt. Sprache ist zwar ein ständig fließender Prozess – doch dieser verläuft unbewusst und ist erst dann nachvollziehbar, wenn sich die Veränderung schon vollzogen hat.

The Swiss linguist Ferdinand de Saussure (1857–1913), photo by "F. Jullien Genève", maybe Frank-Henri Jullien (1882–1938) (Indogermanisches Jahrbuch) [Public domain or Public domain], via Wikimedia Commons

Magritte spielt in seinen Bildern mit der willkürlichen Verbindung von Gegenstand und Bezeichnung, um den Betrachter zum Nachdenken anzuregen und nicht nur alltägliche Gegenstände und ihre Namen, sondern auch die automatischen Mechanismen des Denkens zu hinterfragen. Passt der Begriff überhaupt zu diesem Gegenstand? Bekommt der Begriff „Schrank“ nicht etwas seltsam fremdartiges, wenn man ihn mehrere Male vor sich hinmurmelt? Und handelt es sich nicht sowieso bei allen Bezeichnungen nur um eine Vorstellung des Bezeichneten?

Kann man Magrittes Pfeife stopfen?

„Ceci n’est pas une pipe“, eines der bekanntesten Wort-Bilder Magrittes, lässt den Betrachter genau mit dieser These auflaufen. „Natürlich ist das eine Pfeife, was denn sonst?“, denkt man, Pfeifen hat man schon oft gesehen und die meisten ähnelten der gemalten bis ins Detail. Und genau da liegt die Lösung: Es ist eben nur eine gemalte Pfeife, keine echte, die sich anfassen ließe. „Ein Bild ist nicht zu verwechseln mit einer Sache, die man berühren kann. Können Sie meine Pfeife stopfen? Natürlich nicht! Sie ist nur eine Darstellung. Hätte ich auf mein Bild geschrieben, dies ist eine Pfeife, so hätte ich gelogen. Das Abbild einer Marmeladenschnitte ist ganz gewiss nichts Essbares“, sagt Magritte.

Ein Bild ist nicht zu verwech­seln mit einer Sache, die man berüh­ren kann [...]

René Magritte
René Magritte, This is not a pipe, 1935, Private collection © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Indem Magritte einen alltäglichen Gegenstand, auf dessen Bezeichnung wir ohne großes Nachdenken zurückgreifen können, von dieser Bezeichnung löst und ihm eine andere verpasst, regt er zum Nachdenken an: Warum heißt ein Schuh eigentlich Schuh und nicht Lampe? Warum denken wir bei der Buchstabenfolge „Baum“ alle ungefähr an das gleiche Objekt und nicht jeder an etwas komplett Unterschiedliches? Und wieso stiftet eine simple Feststellung – dies ist keine Pfeife – so viel Verwirrung?

Hintertürchen und Stolpersteine

Magritte wollte die Seh- und Sprechgewohnheiten im Betrachter seiner Bilder ad absurdum führen – doch er tat dies nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit einem verschmitzten Lächeln. Dem Künstler saß der sprichwörtliche Schalk im Nacken und die unbändige Lust am Spiel mit Wörtern inspirierte ihn; eine Leidenschaft, die noch aus seiner dadaistischen Phase stammt, wo die Dekonstruktion der normierten Sprache im Vordergrund stand. Unsere Sprache ist ein fein verästeltes System mit vielen Hintertürchen und Stolpersteinen und wir sollten sie nicht für selbstverständlich nehmen. Magritte wusste das.

René Magritte, L’Art de la conversation, 1950, Oil on canvas, New Orleans Museum of Art, Gift of William H. Alexander, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017