Ein Streifzug mit Jean-Michel Basquiat durch die Straßen New Yorks, eine Flaschenpost aus den 80ern. Der Film Downtown 81 entstand noch vor Basquiats großem Durchbruch, doch veröffentlicht wurde er sehr viel später.
„Fairy tales can come true“, verspricht eine Stimme noch während des Vorspanns von „Downtown 81“. Die nun folgende Geschichte, fährt die Sprecherin fort, entspreche zwar nicht der Wahrheit, aber sei bei Weitem auch nicht unwahr. Sie spielt im New York der 80er Jahre, genauer in der damals noch verwegenen Lower East Side, die nur wenige Jahre zuvor noch von der Punk-Szene aufgemischt wurde. „We are from the Lower East Side, we don’t give a damn if we live or die“, hatte der Hippie-Punk David Peel Anfang der 70er Jahre noch gesungen. Beim jungen „Jean“ (Jean-Michel Basquiat) ist von dieser Gleichgültigkeit nichts mehr zu spüren, zu viel hat das Leben zu bieten.
Zu Beginn von „Downtown 81“ erwacht er aus einem langen Schlaf im Krankenhaus. „Sie sind geheilt“, teilt ihm ein Arzt mit; doch an welcher Krankheit genau der Protagonist gelitten hat, erfährt der Zuschauer nicht. „Won’t see you again!“ ruft Jean den kichernden Krankenschwestern hinterher, als er frohen Mutes, mit Klarinette in der Hand, das Krankenhaus verlässt.
Ein Tag im Leben von Basquiat
„Downtown 81“ lässt sich am ehesten als eine Art A-day-in-the-life-movie beschreiben, einen ganzen Tag lang begleiten wir den jungen Protagonisten auf seinem Weg durch die Stadt. Vom Krankenhaus in Upper Manhattan macht sich er sich zu Fuß auf den Weg in die Lower East Side und trifft unterwegs auf das Model Beatrice (Anna Schroeder), zu der sich Jean unmittelbar hingezogen fühlt und die ihn in ihrem Cabriolet mit nach Downtown Manhattan mitnimmt. Zu Hause angekommen wartet schon der Vermieter, der ihm aufgrund seiner Mietschulden mit der Räumung droht.
Oh boy, what a day!

Durch den Verkauf eines selbst gemalten Bildes versucht sich der junge Künstler aus der Bredouille zu befreien, streift durch New Yorker Straßen, trifft auf bekannte Persönlichkeiten wie die Graffiti-Künstler Fab Five Freddy und Lee Quiñones, Musiker wie Deborah Harry und Arto Lindsay und landet immer wieder in Clubs, in denen längere Live-Auftritte von Bands wie „Kid Creole and the Coconuts“ oder James White and the Blacks zu sehen sind. Zwischenzeitlich muss er sich noch auf die Suche nach Musik-Equipment machen, das seiner Band aus dem Proberaum geklaut worden ist, und hält derweil Ausschau nach dem Model Beatrice, bei der er für einige Nächte unterkommen will. Unweigerlich denkt man: Oh boy, what a day!
Streifzug durch die Straßen von NY
„Downtown 81“ wurde im Winter 1980/81 gedreht – Jean-Michel Basquiat war zu Drehbeginn gerade einmal 19 Jahre alt und sein großer Durchbruch stand noch bevor. Drehbuchautor und Produzent Glenn O’Brien machte den jungen Künstler, den er zuvor schon in seiner Fernsehsendung „TV Party“ zu Gast hatte, zum Hauptdarsteller und lehnte die Narration lose an dessen Leben an. Der ursprüngliche Titel des Filmes lautete „New York Beat“, die Geschichte um den jungen Jean sollte lediglich die aufwendig aufgenommenen Live-Perfomances, die im Film prominenten Raum einnehmen, miteinander verknüpfen.

Jean-Michel Basquiat und Glenn O’Brien bei TV Party, Image via: artnews.com
Die Post-Produktion des Films zog sich nach Drehschluss einige Jahre hin, bis die Arbeiten am Film schließlich Mitte der 80er Jahre aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten ganz eingestellt wurden. Erst 1999 wurde die Post-Produktion schlussendlich von der Mode-Designerin Maripol Fauque, zu Drehzeiten Freundin des Regisseurs Edo Bertoglio, fertiggestellt. In der Zwischenzeit waren alle Tonaufnahmen, mit Ausnahme der Live-Auftritte, verschüttgegangen, und so mussten sämtliche Dialoge nachsynchronisiert werden. Über zehn Jahre nach Basquiats Tod übernahm so der Musiker und Poet Saul Williams dessen Part. Im Jahre 2000 wurde der Film nun endlich unter dem Titel „Downtown 81“ veröffentlicht.
Eine Flaschenpost aus den 80ern
Vor allen Dingen als Zeitdokument der New Yorker No-Wave Jahre ist „Downtown 81“ faszinierend und beeindruckt. Gleich einer Flaschenpost aus den 80er Jahren sehen wir eine Stadt, die nicht weiter entfernt sein könnte von Rudolph Giulianis New York der 1990er Jahre, dessen Law & Order-Politik das Antlitz der Stadt nachhaltig veränderte. „It can be a jungle and it can be a paradise, too“, hören wir Jean auf dem Weg durch die Lower East Side aus dem Off philosophieren, umgeben von Bauruinen und Drogenhändlern, die am hellichten Tag ungestört ihrem Geschäft nachgehen.
It can be a jungle and it can be a paradise, too.

Basquiat hingegen, der den größten Teil des Jahres 1980 noch ohne festen Wohnsitz in New York verbracht hatte, mimt in „Downtown 81“ den Umständen zum Trotz schon ganz selbstverständlich den Künstler, der er zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch nicht ganz war. Sein Bandkollege Michael Holman fand es so bemerkenswert, „wie prophetisch [der Film] den Aufstieg von Jean zum Star vorausgesagt hat, ohne dass das beabsichtigt war“. Die Bilder, die Basquiat für den Film angefertigt hatte, gehörten zu seinen ersten Arbeiten. Eines davon verkaufte er am Ende der Dreharbeiten Blondie-Sängerin Debbie Harry für gerade einmal 100 Dollar – im Film hingegen überreicht sie dem jungen Jean als gute Fee nach einem Kuss einen Koffer voll Geld. „Luck is really findable“, resümiert kaum überrascht der Künstler in „Downtown 81“. Und in der Tat: Im echten Leben sollte es nur noch ein paar Monate dauern, bis Jean-Michel Basquiat zum Star der Kunstwelt wird.

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