Von Politik bis hin zur Historienmalerei und dem Black Arts Movement. Im Essay erklärt KARA WALKER, was sie bewegt hat, die kommende Ausstellung zu realisieren. Ab 15. Oktober in der SCHIRN.

Zu Beginn lag dieser Ausstellung kein fester Plan zugrunde. Aus dem Impuls entstanden, einen Teil meiner eigenen Geschichte zurückzuerlangen, ließ ich den Instinkt den Intellekt überwältigen – jetzt werde ich gebeten, dafür geradezustehen. „Lasst doch die Arbeit einfach für sich selbst sprechen!“, entrüstet sich eine Stimme in meinem Inneren. Mit etwas mehr als 650 Exponaten – Schnipseln, Notizen, Zeichnungen, Fragmenten und Texten – wird da schon ganz schön viel gesprochen, geschrien und geflüstert. Oh, aber lasst mich noch mehr preisgeben, ich werde mehr dazu sagen.

Ich verspüre eine gewisse Verwunderung, nicht nur angesichts dieser Überfülle an Material, sondern auch aufgrund meines Impulses, dieses aufbewahren zu müssen, in Aktenordnern mit dem Vermerk „Bildquellen“ oder in Archivschachteln mit Arbeiten ab den frühen 1990er Jahren bis in die 2010er Jahre. Ich erachtete einige der textbasierten Arbeiten nach ihrer Schaffung als ungeeignet für den menschlichen Konsum. 

Kara Walker, Porträt, 2021, Foto: Ari Marcopoulos

Bislang verbarg ich sie und verriet damit den Drang, später darüber zu sprechen, einen Drang in Richtung radikaler Offenheit, die jede echte und studierte Künstlerin lieber unter Kontrolle halten würde. Dort drinnen befindet sich eine Vielzahl an Stimmen, und als ich mich durch Gruppen von Aquarellen und kleinen Collagen grub, packten mich die Hintergrundgeschichten, die diesen eingeschrieben sind. Ich werde hier nur über die relevanteste sprechen.

Es ist anmaßend zu glauben, dass ich eine gerettete handschriftliche Notiz mit den Worten „A Black Hole Is Everything a Star Longs to Be“, die ich an eine Wand geklebt hatte, als Denkmal betrachten würde. Ich kritzelte sie in der Hoffnung hin, dass sich mir ihre Bedeutung später erschließen würde. Der Satz war ursprünglich Teil einer langen Rolle von Bildern und Notizen, die um 2012 entstanden waren, wobei der gesamte Satz folgendermaßen begann: „The Sweet Sweet Smell of Success and the Stench of Ingratitude … A Black Hole Is Everything a Star Longs to Be“. Das Bild, das diesen Satz begleitet, ist das einer Schwarzen Frau – nackt, zusammengekrümmt –, die sich auf den Schuh eines Weißen Mannes erbricht, welcher den Fuß auf einen Schuhputzschemel gestellt hat und Macht ausstrahlt (er ist bekleidet, zeigt mit dem Finger und blickt finster).

Kara Walker, Success and the Stench of Ingratitude (Detail), 2012 © Kara Walker
Kara Walker, Success and the Stench of Ingratitude (Detail), 2012 © Kara Walker
Kara Walker, Success and the Stench of Ingratitude (Detail), 2012 © Kara Walker

Es ließe sich folgern, dass diese Zeichnung in ihrer Kleinheit eine Absage an die blinde Unterwürfigkeit gegenüber patriarchalen Ansprüchen darstellt, die Kunst und Künstlerin am Markt ausrichten, am Mann/Menschen, an der Kunstgeschichte, am Maßstab oder an all dem, was nicht ihrer eigenen Herstellung entspringt. Ich schwelge in der widersprüchlichen Pose der unterwürfigen Miss, die zwar gibt, aber „nicht das, was er verlangte“. Die private Zeichnung befriedigt den öffentlichen Drang auf abführende Art und Weise. In diesem Satz geht es auch um den Anti-Kunst Star, der mehr Versprechungen in den dunklen Gravitationskräften des Schwarzen Loches findet.

Astronomisch betrachtet reißt ein schwarzes Loch das bekannte Universum auseinander; es erschüttert die Grundfesten dessen, was die Wissenschaft erfassen kann (und wird deshalb ironisch als „schwarz“ abgewertet) und bezeichnet das potenzielle Schicksal jedes Sterns in uns bekannten Himmelssphären. Ich entdeckte die Rolle mit diesem Kommentar wieder, kurz nachdem zum ersten Mal die photographische Aufnahme eines Schwarzen Loches gelungen war – eine verschwommene Aufnahme, doch ein letztendlich faszinierendes Bild, welches das Hubble Teleskop von dieser fernen Anomalie aufgenommen hatte. Plötzlich war dieser poetische kleine Satz genau zur rechten Zeit zur Stelle, und ich schrieb ihn rasch neu und befestigte ihn an der Wand, als Erinnerung daran, dass er bereit war, zu seinem Recht zu kommen, seinen dunklen Zauber zu vollführen, als Aufschrift und als Aktion.

Kara Walker, Success and the Stench of Ingratitude (Detail), 2012 © Kara Walker
Kara Walker, Success and the Stench of Ingratitude (Detail), 2012 © Kara Walker
Kara Walker, Success and the Stench of Ingratitude (Detail), 2012 © Kara Walker
Kara Walker, Success and the Stench of Ingratitude (Detail), 2012 © Kara Walker

Die Aktion: Die Geister aus meinem Archiv sollten herauskommen und sich mit neuen Zeichnungen vermischen, vielleicht zu einer Supernova, in einer Überfülle, die an die Büchse der Pandora erinnert und an meinem eigenen bekannten Universum zerren könnte. Dieses Universum umfasst Kunst- und Identitätspolitik, meinen narrativen Impuls, Figuration, Abstraktion, Volkskunst versus bildende Kunst, Historienmalerei, politische Kunstbewegungen wie das Black Arts Movement oder die Dritte Welle des Feminismus, Vorstellungen von Privatem im Gegensatz zu Kollektivem, Debatten zur Zeichnung im Gegensatz zum Gemälde (im Gegensatz zur Wahl, keines von beiden zu machen) und viele andere Kosmologien. Für mich ist jedes Fitzelchen Papier der Ereignishorizont – die Grenze zwischen der geordneten Welt und dem Chaos. Die skizzierte Zeichnung oder das Geschriebene navigieren über diese Ränder und deren Umsetzungen.

Mehr habe ich nicht zu sagen.

Ich möchte all jenen danken, die daran beteiligt waren: Anita Haldemann für die Organisation, dafür, dass sie angesichts dieser Mengen an Bestand einen kühlen Kopf bewahrt hat und auch für das Teilen einiger unglaublicher Arbeiten aus dem Kupferstichkabinett des Kunstmuseum Basel. Wie immer gilt mein Dank Brent Sikkema, Scott Briscoe, Meg Malloy, Sascha Feldman, Jim Barber und dem Registrar Matthew Droege bei Sikkema Jenkins in New York, sowie Monika Sprüth und Philomene Magers in Berlin. Ich danke auch Allison Calhoun und Barb Smith in meinem Atelier für die Hilfe bei der Organisation des Chaos’ und dem freien Assistenten Mike Koller für den Entwurf der modularen Vitrinen. Bedanken möchte ich mich auch bei Gilles Gavillet für die herausragende Buchgestaltung. Danke an Ari Marcopoulos, dafür, dass du mein Freund, mein Resonanzboden und mein Komplize bist.

KARA WALKER. A BLACK HOLE IS EVERYTHING A STAR LONGS TO BE

15. Oktober 2021 – 16. Januar 2022

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