Im Januar zeigt das Liebespaar und Choreographenduo Wang Ramirez ihr preisgekröntes Stück „AP15“ in der Ausstellung „Giacometti–Nauman“. Das Schirn Mag sprach mit Honji Wang vorher über den Reiz von Wettbewerben, Kunst und Madonnas Arbeitsethos.

Honji Wang (34) kommt aus Frankfurt, Sébastien Ramirez (34) aus Frankreich. Sie sind ein Liebespaar und ein Choreografenduo mit eigener Kompanie, die Wang Ramirez heißt, international erfolgreich und mehrfach ausgezeichnet. Ihre Tanzsprache ist eine Mischung aus HipHop, zeitgenössischem Tanz, Ballett und Kampfkunst. Im Januar zeigen sie ihr Stück „AP15“ in der Ausstellung „Giacometti–Nauman“. Das Schirn Mag sprach mit Honji Wang vorher über den Reiz von Wettbewerben, Kunst und Madonnas Arbeitsethos.

Ich habe mir zur Vorbereitung auf das Interview ein paar Videos von euch angesehen und dachte: Wow, die können fliegen! Wie macht ihr das?

Honji Wang: Mit Wires. Das sind Seile, die in der Filmindustrie für Stunts und Kamerabewegungen benutzt werden. Das Fliegen an den Seilen heißt Rigging. Sébastien hat vor einiger Zeit in Berlin ein paar Leute aus der Filmindustrie kennengelernt und begonnen, das Thema zu recherchieren und zu trainieren. Aber statt großer Explosionen wie im Actionfilm, wollte Sébastien etwas Subtileres kreieren und auf die Bühne bringen. In unserem Stück „Borderline“ (2013) haben wir zum ersten Mal Rigging eingebaut. Auch in „Everyness“, unserem neuesten Stück, benutzen wir Wires. Das ist eine Kunstform, mit der wir noch sehr viel experimentieren wollen. Aber es ist sehr kompliziert und sehr kostspielig.

Wang Ramirez, Borderline © Agathe Poupeney
Wie bist du zum Tanz gekommen?

H. W.: Ich bin in Frankfurt aufgewachsen und mochte schon immer Wettbewerbe. Beim klassischen Ballett ging das los. Das war ein Wettbewerb mit mir selber. Ich wollte jeden Tag besser werden. Am Frankfurter Konservatorium habe ich Ballett studiert, bis ich 15 Jahre alt war.  Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich nicht dafür geschaffen bin, Primaballerina zu sein.  Aber ich hatte auch viele andere Bewegungsinteressen: Turnen und Kampfsport. Ich bin ein Typ, der sich Sachen anguckt und im Kopf speichert. So ist mir Improvisation sehr leicht gefallen.

Perfekte Voraussetzung, um HipHop-Tänzerin zu werden...

H. W.: Genau. Durch die Musik, die ich gehört habe, hatte ich  einen ganz starken Draht zur HipHop-Szene. Und als ich dann in Berlin zum ersten Mal Streetshows sah, merkte ich: Genau das will ich machen. Beim HipHop geht es vor allem um Freestyle und darum, den eigenen Stil zu finden. HipHop lernt man in Communities. Es ist keine akademische Art Tanz zu lernen. In jeder Stadt gibt es eine Untergrundszene: Man trifft sich an bestimmten Orten, da spielt Musik und jeder ist dabei – ob professionelle Tänzer oder Anfänger. Sébastien hat sich in Frankreich auf  B-Boying spezialisiert. Ich habe mit Breakdance angefangen und nachdem ich mir eine Schulter gebrochen hatte, mit Stand Up-Dancing weitergemacht und andere Styles gelernt wie Popping, House und Freestyle.  Als ich dann wieder vollkommen gesund war, hatte ich durch den Unfall zu meinem eigenen Stil gefunden. Außerdem hat mein engster Freund, der Künstler Oguz Sen, mich dazu inspiriert, meinen eigenen Weg zu gehen.

WANG RAMIREZ, EVERYNESS © GHOSTOGRAPHIC
Und wo blieb der Wettbewerb, den du so magst?

H. W.: Im HipHop gibt es Battles und Competitions weltweit in jeder Stadt. Du fährst da hin und misst dich mit anderen HipHop-Tänzern. Dann kommst du zurück in deine Heimatstadt und trainierst wie wild weiter, weil du die Besten aller Besten gesehen hast und du dir sagst: Okay, ich muss noch besser werden. So bekommt man in unserer Szene Niveau. Und das geht ziemlich schnell. Heute noch schneller als früher, weil es mittlerweile Youtube gibt, wodurch man auch zuhause sehen kann, was für Tricks oder Bewegungen andere machen.

Sébastien und du seid nicht nur ein Tanz-Duo, ihr seid auch privat ein Paar. Habt ihr euch in der HipHop Community kennengelernt?

H. W.: Ja, in Berlin bei einem öffentlichen Trainingsort. Die Szene ist klein. Das heißt, wir sind weltweit vernetzt miteinander. Es spricht sich schnell herum, wenn Tänzer aus anderen Ländern in der Stadt sind. Sébastien war damals schon einer der Top-Tänzer in Frankreich. Er kam nach Berlin, weil er mit Storm Projekte gemacht hat. Storm ist eine B-Boying-Legende. Ich war ziemlich frisch dabei, hatte erst drei Jahre trainiert. Sébastien sah Potential in mir und wollte etwas mit mir ausprobieren, das auf Anhieb funktionierte. 2010 haben wir Sébastiens Kompanie in Wang Ramirez umbenannt, weil wir entschieden haben, dass wir von dem Zeitpunkt an alle künstlerischen Produktionen zusammen machen wollen.

Wie funktioniert des denn, gemeinsam zu arbeiten und ein Paar zu sein?

H. W.: Sehr, sehr gut. Als wir damals zusammenfanden, hatten wir die gleichen Visionen und Ziele. Das ist bis heute so. Wir ergänzen und unterstützen uns gegenseitig.

Wang Ramirez, Everyness © G Cuartero
Du bist Frankfurterin mit koreanischen Wurzeln, Sébastien ist in Frankreich geboren und hat spanische Wurzeln.  Und auch in euren Choreografien kommen Einflüsse aus verschiedenen Tanzrichtungen zusammen: HipHop, Ballett, zeitgenössischer Tanz und Kampfkunst. Beeinflusst euer Backround eure Arbeit?

H. W.: Ja, denn unser Umfeld und persönliche Erfahrungen sind unsere Inspirationen. Vor allem bei unserem ersten Stück spielte die unterschiedliche Herkunft eine Rolle. Am Anfang einer Liebe ist alles leicht, auch wenn man sich nur mit Händen und Füßen verständigen kann. Aber Sébastien hatte Schwierigkeiten, sich in Deutschland zu integrieren. Die Sprache, die Behördengänge, überall stieß er an Grenzen. Mir ist es dagegen leicht gefallen, mich in Frankreich zu akklimatisieren und ich habe schnell französisch gelernt. Aber unsere Eltern hatten keine gemeinsame Sprache. Keiner von ihnen spricht englisch. Meine Eltern können nur deutsch und koreanisch, seine französisch und spanisch. Es war ein großes Chaos. Aber dieses Chaos war für unsere Arbeit eine große Inspiration.

In der Ausstellung „Giacometti–Nauman“ zeigt ihr dieses erste gemeinsame Stück von 2010. Es heißt „AP15“. Was hat der Titel zu bedeuten?

H. W.: AP ist eine Abkürzung für „Amor und Psyche“, unsere erste gemeinsame Kurz-Choreografie. Bei einem Festival in Stockholm sind wir eingeladen worden, eine längere Version zu präsentieren, genauer gesagt: ein Stück von 15 Minuten Länge. Und da wir ziemlich schnell einen Titel einreichen mussten, kam dabei „AP 15“ heraus.

Die Choreografie wurde mit dem New York Bessie-Award ausgezeichnet, einem der international wichtigsten Preise für Tanz...

H. W.: Wir waren sehr überrascht, dass wir überhaupt dafür nominiert worden sind. Neben uns standen viele große Namen auf der Liste, wie zum Beispiel William Forsythe. Die Nominierung war eine schöne Form der Anerkennung für uns als Newcomer mit HipHop-Hintergrund. Dann auch noch zu gewinnen war natürlich wow! Es hat uns unglaublich motiviert, weiterzumachen.

Wovon handelt das Stück?

H. W.: Von Begegnungen – und von Anziehung und Abstoßung. Mit dieser Energie spielen wir in der Chorografie. Bei der Ausstellung begegnen sich ja auch die Werke zweier unterschiedlicher Künstler.

Ihr tanzt nicht nur in euren eigenen Stücken, sondern kollaboriert auch mit vielen bekannten Künstlern, wie Akram Khan, einem Weltstar der zeitgenössischen Tanzszene. Und 2015/16 habt mit Madonna zusammengearbeitet. Erzähl mal, was ihr da gemacht habt...

H. W.: Es war immer mein Traum, eines Tages für Michael Jackson oder Madonna  zu tanzen. Und als Madonna in Paris eine Audition für ihre „Rebel Heart Tour“ machte und wir gerade in der Stadt waren, habe ich Sébastien, der kein großer Fan vom Backround-Popstar-Tanzen ist, dazu überredet, mit mir hinzugehen. Wir tanzten also vor und kamen in die Finalrunde, in der wir eigene Stücke und Improvisationen gezeigt haben. Daraufhin wurden wir nach New York zur Kreationsphase von Madonnas Tour eingeladen. Madonna hat uns damit beauftragt, die Workshops der Backround-Tänzer zu choreografieren. Sébastien hat außerdem eine Choreografie für ihre Tour entwickelt, und ich wurde als Tänzerin gebucht. Ich habe aber abgesagt, weil wir so viele Auftritte in der ganzen Welt mit unserer eigenen Kompanie zugesagt hatten. Beides zusammen ging nicht. Also habe ich mich für unsere Kompanie und gegen die Madonna-Tour entschieden.

Wang Ramirez, MONCHICHI, Grant Halverson © ADF
Wie ist Madonna denn?

H. W.: Sie trifft alle künstlerischen Entscheidungen selbst. Das hat mich sehr positiv überrascht. Sie sucht persönlich ihre Tänzer aus, ist bestens informiert,  hochprofessionell und schaut auf jedes Detail. Zum Beispiel wusste sie, dass Sébastien und ich ein Paar sind. Sie arbeitet sehr hart an sich selbst – und erwartet denselben Einsatz von allen um sie herum.

Jetzt haben wir so viel über das Tanzen gesprochen. Interessierst du dich eigentlich auch für bildende Kunst?

H. W.: Mehr und mehr. Am Anfang waren wir so sehr in unserer eigenen Tanzwelt, dass wir keinen Platz für Dinge von außen hatten. Jetzt entdecken wir bildende Kunst und andere Kunstformen als Inspirationsquelle. Denn bildende Kunst ist einfach nur eine andere Ausdrucksform als Tanz. Die Inhalte sind oft gar nicht so weit voneinander entfernt.

Company Wang Ramirez

Artistic direction, conception, choreography, dance: Wang Ramirez
Music: Alva Noto, Ryuichi Sakamoto
Costumes: Honji Wang
Press France/Image Consulting: Matilde Incerti
Rehearsal Assistant: Oguz Sen
Bookings: Dirk Korell/ Manon Martin booking@wangramirez.com
Executive production: Company Wang Ramirez, Clash66

Support: Dansens Hus Stockholm, Regional Cultural Affairs Directorate Occitanie
Kompanie Wang Ramirez - Clash66 erhält Strukturförderungen der Regionalleitung für kulturelle Angelegenheiten Occitanie, des Regionalrats Occitanie / Pyrénées-Méditerranée sowie vom Départemental-Rat Pyrénées Orientales. 
Die Kompanie erhält eine Förderung der Fondation BNP Paribas. 
Sébastien Ramirez und Honji Wang sind associate artists am Staatstheater Archipel in Perpignan (Frankreich) für die Spielzeiten 2014/15, 2015/16 und 2016/17. 

www.wangramirez.com
www.facebook.com/WangRamirez