Die Frankfurter Künstlerin Sandra Mann erforscht mit Fotos, Installationen und Skulpturen soziale Vielfalt und unsere Sehnsucht nach Natur.

„Ich hoffe, Du hast keine Angst vor Hunden“, sagt Sandra Mann, die wegen ihrer Pollenallergie gerötete Augen hat und zur Begrüßung eine Sonnenbrille trägt – auch wenn im Atelier die Jalousien heruntergelassen sind. Drei Hunde springen während unseres Besuchs abwechselnd um sie herum. „Panzer, den wachsamsten, habe ich erst einmal hinten im Bad gelassen. Er hat einen ausgeprägten Beschützerinstinkt“. Wir befinden uns in einem Haus mit blassgelbem Anstrich, das im Frankfurter Stadtteil Fechenheim steht. Vor der Tür ist Industriegebiet.

Sandra Mann tischt Milchkaffee und Apfelkuchen auf. Mein Blick schweift derweil durch den Raum: Über den drei Computerarbeitsplätzen hängt eine Traube Discokugeln unter der Decke. In einer Ecke des Ateliers steht ein Modell der Kunsthalle Gießen, mit der sich die Künstlerin vergangenes Jahr auf ihre Einzelschau „Büchsenlicht“ vorbereitete. Die Wand neben der Sofaecke dient als Experimentierfläche. Zurzeit hängt hier eine Auswahl von Fotos aus der Serie „Waldlife“. Atelierbesucher haben ihre Favoriten mit farbigen Post-its markiert. Ein Bild, auf dem besonders viele davon haften, zeigt eine Frau, die in einem Teich voller Seerosen schwimmt. Man muss sofort an Monet oder Hamlets Ophelia denken. Erst auf den zweiten Blick merkt man, dass es sich bei den Blumen in Wahrheit um zerbeulte Plastikbecher handelt. Das Foto ist typisch Sandra Mann: Es trägt eine starke umweltpolitische Aussage in sich, die aber äußerst subtil und ästhetisch daherkommt.

Einsatz für mehr Vielfalt

Ursprünglich strebte Sandra Mann, heute 47 Jahre alt, einen Job in der Werbung an. Das war noch bevor sie 1992 ihr Studium der Visuellen Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach antrat. „Eine Zeichenlehrerin prophezeite mir damals, dass es bei mir mit der Werbung eher schwierig wird“, sagt Mann. Zu sozialkritisch, zu politisch seien ihre Themen. In ihrer Kunst geht es oft um Grenzen, die manchmal bloß im Kopf existieren „Wir versuchen mit Begriffen Ordnung zu schaffen und konstruieren Gegensätze wie Mann/Frau, Mensch/Tier, krank/gesund. Doch in der Natur gibt es nicht nur Schwarz und Weiß. Es gibt fließende Übergänge und eine große Vielfalt.“

Juni & Sandra Mann © Markus Woelfelschneider
Modell der Kunsthalle Giessen © Sandra Mann

Wir versuchen mit Begriffen Ordnung zu schaffen und konstruieren Gegensätze (...). Doch in der Natur gibt es nicht nur Schwarz und Weiß.

Sandra Mann

Lange bevor Conchita Wurst zum Gesicht der Transgenderbewegung wurde, beschäftigte sich Sandra Mann mit dem vermeintlichen Randgruppenthema. Ihr vielleicht bekanntestes Foto stammt aus dem Jahr 2000 und heißt „Sandra mit Bart“. Das Motiv: eine rauchende Frau, die sich passgenau einen Zeitungsausschnitt vor das Gesicht hält – ein weit aufgerissener Männermund, um den herum die stoppeligen Haare sprießen. 2015 wählte es der „Stern“ unter die besten Fotografien der Gegenwart. „Ich habe lange überlegt, warum ausgerechnet dieses Foto ausgezeichnet wurde“, sagt Sandra Mann. „Vermutlich, weil es einen doppelten Tabubruch darstellt, der als Provokation empfunden wird: Frauen war es lange Zeit verboten, in der Öffentlichkeit zu rauchen.“

Klischees und Tabubrüche im Fokus 

Und was macht ein gutes Foto aus? „Das fragen mich meine Studierenden auch immer“, sagt Sandra Mann, die seit 2009 an der European School of Design in Frankfurt Fotografie und Bildsprache unterrichtet. Regelmäßig kuratiert sie auch Ausstellungen im In- und Ausland und sitzt in Fachjurys. Ihre Antwort: „Manchmal reicht es, wenn ein Bild einfach ästhetisch gut komponiert ist. Ich bevorzuge es aber, wenn Fotos etwas über die Gesellschaft verraten, uns emotional packen oder unsere Wahrnehmung irritieren“. Früher waren Manns Motive oft Fundstücke, die ihr auf Reisen vor die Linse kamen: Der Stamm einer Birke in Paris, in den neben vielen Liebesschwüren auch der Schriftzug „Al Qaida“ eingeritzt ist. Ein Bettler, der mit Pappbecher in der Hand und müdem Gesicht vor einer Mailänder Boutique sitzt, in der unbeeindruckt eine Schaufensterpuppe liegt.

231100-0002 Sandra mit Bart, 2000 © Sandra Mann
190804-7640 AlKaiida (Paris), 2004 © Sandra Mann

Von Beginn an sind auch Installationen und Skulpturen Teil ihres Werks. Etwa die Arbeit „Expedit“, die Sandra Mann Anfang der Nullerjahre auf dem Festival Junger Talente zeigte – ein in die Wand versenktes Ikea-Regal, vollgepackt mit rund 2000 Schallplatten, in deren Titeln das Wort „Love“ vorkommt. Von außen betrachtet sieht es aus wie ein abstraktes Gemälde. „In einem der Sitzsäcke, die ebenfalls zur Installation gehörten, saß auf einmal Jean-Christophe Ammann, der damals Direktor des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt war“, erinnert sich Mann. „Ammann sagte mir, dass er das Werk kaufen will. Ich war total müde, hatte vom zwölfmonatigen Schallplattensuchen einen krummen Rücken und glaubte zunächst an einen Scherz. Es war aber kein Scherz. Wenn so etwas passiert, ermutigt einen das als junge Künstlerin natürlich ungemein.“

Ein Abstecher ins Badehaus 

Es ist inzwischen früher Nachmittag. Sandra Mann schnappt sich ihre Kamera, ihre Praktikantin Ardesia greift zum Stativ, die drei Hunde bleiben im Atelier zurück. In einem SUV, der beim Fahren leicht quietscht, fahren wir nach Bad Soden, wo in der Stadtgalerie im Badehaus zu dem Zeitpunkt ihre Ausstellung „Waldlife“ zu sehen ist. Dort angekommen, fotografiert Mann ihre eigenen Bilder für dokumentarische Zwecke. Nebenbei komme ich in den Genuss einer ausführlichen Privatführung.

310307-7501 Pärchen (Mailand), 2007 © Sandra Mann
Ausstellungsansicht „Expedit II“, MUCA, Mexiko Stadt © Sandra Mann

„Mein Stil hat sich mit den Jahren verändert“, erzählt Sandra Mann. „Heutzutage fotografiert ja fast jeder mit der Handykamera. Im Internet findest Du eine Flut von Bildern, die unsere Gesellschaft spiegeln. Was früher selten war, ist längst ein Massenphänomen geworden. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Wien inspirierte mich dazu, mich der inszenierten Fotografie zu widmen. Seit 2012 inszeniere ich Motive im Wald. Mit dem Ziel, das Wesentliche, das uns Menschen, Tiere und Natur verbindet, auf den Punkt zu bringen.“

Bilder für mehr Toleranz 

Auf Manns Fotos sieht man Menschen, die alles andere als Durchschnittstypen sind – etwa, den Crossdresser Rolf, der oberkörperfrei mit knappem Camouflagerock und lackierten Fingernägeln zwischen Bäumen posiert. Oder einen blonden Jungen mit außergewöhnlich heller Haut. Letztlich Bilder für mehr gesellschaftliche Vielfalt. Und nicht zuletzt auch um Toleranz. Bei den Protagonisten anderer Fotos handelt es sich um befreundete Künstler und Kulturschaffende. „Die Fotos entstanden immer im Dialog mit ihnen“, sagt Sandra Mann – und erzählt dann die Geschichte jenes Fotos, auf dem Mirek Macke, Leiter des Kunstvereins Familie Montez, sein eigenes Grab schaufelt:

060814-8816 Hommage an Monet (Jessica & „Seerosen“, Buchschlag), 2014 © Sandra Mann

„Vor einigen Jahren besuchte ich Mirek zusammen mit einer Praktikantin. Er fragte nach ihren beruflichen Plänen. Sie antwortete: Kunst studieren. Darauf Mirek: ,Was? Damit schaufelst du dir dein eigenes Grab.‘ So kam es zur Bildidee: Am heißesten Tag des Jahres 2013 buddelten wir mit zwei Freuden von Mirek, die hinterher voller Mückenstiche waren, ein Loch und machten Fotos. Inhaltlich geht es um Aufopferung. Darum, wie man sich als Künstler oft mit viel Energie und wenig finanziellem Background gegen die Verhältnisse stemmt.“ Künstler zu sein, ist einer der schönsten Berufe überhaupt, findet Sandra Mann. Aber auch einer der schwersten.

270713-3296 Mirek Macke gräbt sich sein eigenes Grab (Enkheim), 2013 © Sandra Mann

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