Was einst als Gegenreaktion auf die Präsenz rechter Stände auf der Frankfurter Buchmesse begann, ist seither zu einem stetig wachsenden Festival der Schwarzen Kultur herangewachsen. Ein Cafébesuch mit den Macherinnen des „Stories of Color“-Festivals, Saba Afeworki, Rahel Berhanu und Helen Manna.

Unter ihren Wintermänteln tragen Saba Afeworki, Rahel Berhanu und Helen Manna T-Shirts mit der Aufschrift „Stories of Color“. Sommer-T-Shirts mit kurzen Ärmeln, die eigentlich für den Monat September gemacht sind, in dem ihr gleichnamiges Festival auch dieses Jahr wieder stattfinden soll. Bei der Ausgabe im vergangenen Jahr war auch Semeret Micael, Inhaberin des Café Moya, mit einem Buchprojekt zu Gast. Jetzt steht gewissermaßen der Gegenbesuch an. Wir machen es uns in der Sitzecke neben der Eingangstür des kleinen Lokals im Frankfurter Stadtteil Bockenheim bequem. Semeret Micael serviert uns Injera – kleine Sauerteigfladen, belegt mit Rote Bete, Datteln und anderen Köstlichkeiten. Dazu gibt es Tee und äthiopischen Kaffee. Auf dem Tresen liegt ein Buch mit dem Titel „Kindheit hier und woanders“, für das Micael einen kurzen Text geschrieben hat, in dem ostafrikanisches Essen die Hauptrolle spielt.

Aus „Schwarz bewegt“ wurde „Stories of Color“

In prall gefüllten Leinentaschen haben die drei Freundinnen weitere Bücher dabei, darunter zum Beispiel der Sammelband „Schwarz wird Großgeschrieben“. Die Bücher verweisen auf die Anfänge des Festivals, das 2021 als reines Literatur-Event gestartet ist. Schwarze Autor*innen hatten damals die Frankfurter Buchmesse boykottiert, weil dort auch rechte Verlage mit Ständen vertreten waren. Kurzerhand stellte Berhanu im SCHIRN Space eine Gegenveranstaltung unter dem Motto „Schwarz bewegt“ auf die Beine. „Es ging mir darum, Schwarzen Autor*innen und ihrem Publikum einen Raum zu geben, die sich auf der Buchmesse ausgeschlossen fühlten“, erzählt sie. Die Veranstaltung wurde ein Erfolg, Berhanu wollte sie wiederholen und größer machen. „Mir war aber klar, dass es ohne einen Verein im Rücken nicht leicht ist, an Gelder zu kommen, um die Kosten zu decken.“

Rahel Berhanu

Es ging mir darum, Schwar­zen Autor*innen und ihrem Publi­kum einen Raum zu geben, die sich auf der Buch­messe ausge­schlos­sen fühl­ten.

Rahel Berhanu

An diesem Punkt kam Saba Afeworki ins Spiel, die kurz zuvor den Verein BOBA Cities gegründet hatte – die Abkürzung steht für Black Owned Business Association. Ihr erstes Projekt war es, eine Website samt Stadtplan zu erstellen, auf dem Firmen verzeichnet sind, die von Schwarzen Menschen geführt werden. Es ging ihr darum, Erfolgsgeschichten sichtbar zu machen. Auf diese Weise entstand ein Netzwerk mit viel kreativem Potential, das Afeworki nicht ungenutzt lassen wollte: „Ich hatte die Idee, ein Abendprogramm zu veranstalten und Menschen auftreten zu lassen, die sich verschiedenen Künsten widmen.“ Berhanu und Afeworki taten sich zusammen. „Es war ein perfect Match“, sagt Afeworki.

Aus „Schwarz bewegt“ wurde „Stories of Color“. Bald gehörten nicht nur Lesungen, sondern auch Konzerte, Poetry-Slams, Performances, Comedy-Events und Partys zum zweitägigen Programm, das an gleich zwei zentral gelegenen Orten veranstaltet wurde: in der SCHIRN und im Frankfurter Kunstverein. Die Abschlussveranstaltung beim SoC-Festival 2023 war ein Radical-Self-Care-Workshop, der so gut ankam, dass er sich zu einer eigenständigen Reihe außerhalb des Festivalprogramms entwickelte. Auch ein Buchclub, der sich im vergangenen Jahr erstmals zu Diskussionsrunden im Café des Mousonturms traf, wurde gegründet. „Wir wollen zeigen, wie positiv und lebendig Schwarze Kultur ist“, sagt Afeworki. „Wir wollen den Fokus nicht nur auf den Schmerz legen, der durch die Erfahrung von Kolonialismus und Rassismus zu unserer Geschichte gehört, sondern auch auf die Freude.“

Saba Afeworki, Foto: Neven Allgeier

Wir wollen zeigen, wie positiv und lebendig Schwarze Kultur ist.

Saba Afeworki

Bei der Durchführung des Festivals werden Afeworki, Berhanu und Manna von rund 25 ehrenamtlichen Helfer*innen unterstützt. Die drei Freundinnen stehen vor der Herausforderung, ihr Engagement für das Festival mit ihren Vollzeitjobs zu vereinen: Afeworki ist studierte Entwicklungsökonomin, arbeitet hauptberuflich in der Frauenbildung und gibt in ihrer Freizeit Yoga-Kurse. Über das gemeinsame Hobby Yoga haben alle drei sich übrigens kennengelernt. Berhanu hat Steuerrecht studiert und einen Job in der hessischen Finanzverwaltung. „Ich habe keine Berührungsängste mit Förderanträgen und Finanzplänen“, erzählt sie. „Das hilft mir bei meiner Arbeit für das Festival.“ Manna sitzt gerade an ihrem Master in internationaler Betriebswirtschaftslehre. Sie kümmert sich unter anderem um die Social-Media-Kanäle des Festivals. Alle wichtigen Entscheidungen treffen die drei Freundinnen gemeinsam. Das ganze Jahr über halten sie Kontakt. „Unsere WhatsApp-Gruppe ist niemals still“, sagt Manna.

Kunst und Kultur sind Privilegien

Dass alle drei Quereinsteigerinnen sind, dass keine von ihnen ursprünglich aus der Kulturbranche kommt, ist für Afeworki kein Zufall. „Kunst und Kultur sind Privilegien“, sagt sie. „Für Menschen mit Migrationsgeschichte, deren Eltern aus der Arbeiterklasse stammen, ist es alles andere als selbstverständlich, sich damit zu beschäftigen. Unsere Eltern hatten zum Beispiel nicht die Möglichkeit, uns in den Klavierunterricht zu schicken. Und wir hatten auch nicht die Kraft und die Kapazitäten, es uns selbst beizubringen, weil wir voll und ganz mit unserem sozialen Aufstieg beschäftigt waren. Unser Leben drehte sich hauptsächlich darum, einen ordentlichen Schulabschluss zu machen, um anschließend studieren zu können.“

Helen Manna, Foto: Neven Allgeier

Wir leben – besonders in Frankfurt – in einer multikulturellen Gesellschaft, die sich in der Kulturszene allerdings nicht widerspiegelt.

Helen Manna

Manna pflichtet ihr bei. Und erzählt von ihrer Begeisterung für eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Poetry meets…“, die sie in Berlin kennengelernt hat. In der Stadt hat sie eine Weile gelebt. „Dort habe ich das erste Mal viele Schwarze Künstler*innen mit unterschiedlichen Talenten auf einer Bühne gesehen. Das war eine beeindruckende Erfahrung und hat mich enorm empowert. Als People of Color sind wir es gewohnt, in bestimmten Räumen nicht wirklich vorzukommen. Wir leben – besonders in Frankfurt – in einer multikulturellen Gesellschaft, die sich in der Kulturszene allerdings nicht widerspiegelt. Veranstaltungen wie unser Festival sind auch deshalb so wichtig, weil sie versuchen, Hürden zu überwinden.“ Afeworki nickt und ergänzt: „Und ganz wichtig: Es passiert nicht an Orten, die irgendwie versteckt sind oder sich an der Peripherie befinden, sondern mitten im Herzen der Stadt.“

Foto: Neven Allgeier

Stories of Color-Festival

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